Unruhe an der Neumühle und am Urselbach

Ortsbesichtigung im Ödland am Rand der Urselbachaue. Von Pecan-Geschäftsführer Markus Brod lassen sich Bürgermeister Hans-Georg Brum und Stadtplanungschef Arnold Richter (v. l.) über den Stand der Dinge bei der Boden- und Grundwassersanierung unterrichten. Im Hintergrund der Schutzstreifen am Bachrand, der wohl auch zum Teil abgetragen werden muss. Foto: js

Von Jürgen Streicher

Oberursel. Die Großbaustelle für das Projekt „Neumühle“ am Zimmersmühlenweg zwischen Rewe-Markt und Urselbachaue ist durch ungeklärte Verunreinigungen und tote Fische im Urselbach in den Fokus von Stadt und Regierungspräsidium (RP), von Naturschützern des BUND und jetzt auch des Stadtparlaments gerückt. Dieses hat einen Bericht des Magistrats über den „aktuellen Sachstand“ in einem Dringlichkeitsantrag einstimmig eingefordert. Die Behörden sehen keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Baustellensanierung und toten Fischen im Bach.

Die toten Fische im Urselbach auf Frankfurter Gemarkung unterhalb der Kläranlage im Ortsteil Weißkirchen hatten beim BUND die Alarmglocken schrillen lassen. Der Vorfall liegt bereits knapp drei Wochen zurück, von einer Betriebsstörung aufgrund eines Schadstoffzuflusses war die Rede. Die Stadt identifizierte eine giftige Substanz, die durch das Kanalnetz in die Kläranlage gelangt sei und deren Funktion „massiv gestört“ habe. Die biologische Klärstufe sei kurzfristig zusammengebrochen, ungeklärtes Abwasser in den Bach gelangt, erklärt Stadtplaner Arnold Richter. Es sei „ziemlich sicher“, dass die Schadstoffe aus der Kanalisation kamen, sagt Bürgermeister Hans-Georg Brum, die Baustelle sei bisher gar nicht an die städtische Kanalisation angeschlossen. Auch der Investor weist jeden Verdacht zurück, die Boden- und Gewässerschützer beim RP sehen das ebenfalls so. Gemeinsam hatten Stadt und Investor vergangene Woche zur Aufklärung auf das drei Hektar große Gelände geladen.

Auf dem wüstenartig anmutenden Areal staubt es bisweilen mächtig, wenn sie vorfahren, die Schwerlaster, die gesammeltes Bodenmaterial abfahren und frischen Boden mitbringen, Muttererde, um die entstandenen Löcher wieder zu verfüllen. Vor allem dort, wo jetzt alte Mauerreste zu erkennen sind, die noch weggeschafft werden müssen. Überall riesige Erdhaufen, sortiert nach Schadstoffen, meist sind sie in den Schotterbergen festgebunden. Das macht es leichter, die spitz zulaufenden Berge dürfen offen in der trockenen Landschaft stehen. Daneben ein Wasserloch mit Schläuchen, hier wird bald Grundwasser abgepumpt.

Sauber ist das Baustellen-Gelände am Zimmersmühlenweg nicht, die Verpflichtung zur Bodensanierung seitens des Investors wurde im städtebaulichen Vertrag nicht von ungefähr eingearbeitet. Die „Neumühle Oberursel GmbH“, eine Tochtergesellschaft der Pecan Development GmbH, hat sich im Rahmen des Vertrags auch verpflichtet, für deren Kosten aufzukommen. „Man findet das eine oder andere im Boden und im Bauschutt“, formuliert der Bürgermeister vorsichtig, es gebe „latente Lasten, die Probleme verursachen“. Aufgrund der Geschichte des Geländes war das zu erwarten, auch Pecan-Geschäftsführer Markus Brod war davon nicht überrascht. Bisher habe es jedenfalls „keine bösen Überraschungen gegeben“. Trotz düsterer Vergangenheit mit einer Bronzefabrik in den 30er- und 40er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die im Zweiten Weltkrieg auch der Rüstungsproduktion diente. In der Nachkriegszeit entstand „Hessenglas“, eine bekannte Glashütte, aufgebaut und betrieben von Vertriebenen aus dem Osten auf den Trümmern der Bronzefabrik. Auch dadurch gelangten unappetitliche Stoffe in den Boden, Schwermetalle wie Cadmium und Blei.

Ende der 80er-Jahre wurde die Produktion bei „Hessenglas“ aufgegeben, seitdem ist das Gelände mit Anschluss an die Urselbachaue eine Brache, die zuletzt ziemlich grün war. Aus den 1990er-Jahren datiert eine frühere Grundwassersanierung auf dem Grundstück, in die Tiefe gegangen ist man dabei wohl nicht. Denn jetzt hat Pecan bei seinen Grabungen gemauerte Kanäle und Teile alter Keller ausgebuddelt, deren Lage zuvor unbekannt war. „Es gibt keine zuverlässige Dokumentation der unterirdischen Bauwerke mehr“, so Markus Brod, „fast täglich stoßen wir auf Bauteile und Kanäle, die in keinem Register verzeichnet sind.“ Deshalb werde jeder neue Sachstand „in engster Abstimmung mit dem Regierungspräsidium“ aktuell bewertet und das weitere Vorgehen verabredet.

Bis zum Grundwasser sind die Bagger inzwischen vorgestoßen, es fließt zum Teil durch einen der alten Kanäle ab, der nach Auflage des RP freigelegt wurde, damit er zurückgebaut werden kann. Altes Backsteingemäuer, demnächst soll das Grundwasser abgepumpt werden, damit der Boden noch tiefer ausgegraben und anschließend wieder verfüllt werden kann. Das Wasser soll dann in das städtische Kanalnetz eingeleitet werden. Brod: „Unser Ziel ist es, am Ende ein sauberes Grundstück für die geplante Bebauung vorzubereiten.“ Mehrfach betonen Stadt und Investor beim Ortstermin, dass es unbedenklich sei, das Grundwasser auch in den Urselbach zu leiten. Da sei es die vergangenen 30 Jahre auch hingeflossen, weil der Bach tiefer liege als das Grundstück.

Es wird noch dauern bis zum sauberen Grundstück. Während der aktuellen Bodensanierung wird in Abstimmung mit den Versorgungsträgern die Erschließungsplanung erstellt, die Vergabe soll im dritten Quartal erfolgen, unmittelbar anschließend sollen die Erschließungsarbeiten beginnen. Mit Hochbauten kann nach derzeitigem Planungsstand in der ersten Jahreshälfte 2022 begonnen werden, Ende 2023 sollen laut Markus Brod bereits erste Bauten fertig sein. Wie mehrfach berichtet, geht es um mehrere Büro- und Gewerbegebäude auf rund drei Hektar Fläche, um den Bau von insgesamt 97 Wohnungen, darunter 78 Wohnungen in viergeschossigen Mehrfamilienhäusern und 19 zweigeschossige Einfamilienhäuser zur Urselbachaue hin. „Enorm wichtig für die Stadt“, so Brum, der geplante Neubau der Ketteler-La Roche-Fachschule für Sozialpädagogik mit angrenzendem Wohnheim und eine ebenfalls vorgesehene Kindertagesstätte. „Wir planen das, wir wollen das“, verspricht Pecan-Geschäftsführer Brod, die Verhandlungen seien im Fluss.

Enorm wichtig für die Stadt und die Entwicklungsgesellschaft ist aber auch, dass sie den potenziellen Käufern sauberes Bauland nachweisen können. Ein weiteres Problemfeld könnte der zehn Meter breite „Schutzstreifen“ entlang des Urselbachs werden. Denn beim Abtragen des verunreinigten Bodenmaterials wurde festgestellt, dass Belastungen „wahrscheinlich“ auch in diesem Bereich zu finden sind, wie es offiziell heißt. Das RP empfiehlt das Unruhe an der Neumühle und am Urselbach Abtragen des belasteten Bodens, der Schutzstreifen muss dann wieder neu aufgebaut werden. Bis das gesamte Gelände „freigemessen werden kann“, wie das in der Fachsprache heißt.

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