Wer war der Mann aus dem Schloss ohne Mäuse?

Das „Literarische Quartett“ mit Olaf Velte, Axel Dielmann, Carolin Callies und Hans Goswin Stomps (v. l.) redet über das schriftstellerische Werk des Herrn auf dem großformatigen Foto im Hintergrund, Victor Otto Stomps. Foto: js

Oberursel (js). Die einzige Zeitzeugin, die richtig nah dran war an Victor Otto Stomps und seiner wilden Literatenbande im legendären „Schloss Sanssouris“ zu Stierstadt kommt leider nicht zu Wort bei der posthumen Geburtstagsfeier zum 125. von „VauO“ Stomps. Sie ist anwesend, bleibt aber bedeckt im Hintergrund bei der kleinen Hommage an den unorthodoxen, in literarisch versierten Kreisen aber wohl bekannten und gelittenen Verleger und eher unbekannten Autoren. Auch ein paar ältere Herren outen sich erst im Nachgang als Zeitzeugen am Rande, haben noch rudimentäre Bilder der Zeit im Dorf im Kopf, als die erst seltsam beäugten, dann aber akzeptierten Fremdlinge Einzug hielten im beschaulichen Stierstadt und natürlich seinen Dorfkneipen.

Das schriftstellerische Werk des „V.O.“ sollte im Mittelpunkt des kleinen, feinen Erinnerungsabends mit Tisch und Stuhl und Kaltgetränk im Kulturzentrum „Portstrasse“ stehen. Nicht das vermeintlich wilde Leben am Bahndamm in den 50er- und 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. So weit schon weg diese Welt, aber so nah noch für die bescheidene Tochter des einstigen Hausherrn Adam Krämer, der dem aus Frankfurt gekommenen Verleger preisgünstig Obdach bot und auch gegen stets präsente Genossen im Geiste keine Einwände hatte. Eine „Bohème-Gesellschaft“, so nennt es Autor Olaf Velte heute, es ist spürbar, wie gerne er damals live dabei gewesen wäre.

Das „Schloss“ in der Stierstädter Straße existiert noch heute, der langgestreckte niedrige Fachwerkbau, in dessen Speicher man nur gebeugten Hauptes umherklettern konnte. Viele Bilder und Filmausschnitte hatte die Einladung zu Ehren der „Verleger-Legende in Oberursel“ versprochen, man hätte sich mehr gewünscht, um vielleicht ein bisschen mehr von der damaligen Szene inhalieren zu können. Oder eben ein paar O-Töne, den Sound der leeren Schnapsflaschen, die über lose Dielen rollen, wenn der Schnellzug nach Frankfurt oben auf dem Damm vorbeirauscht, den Ton der alten Druckerpresse, die so oft technische Nachhilfe braucht. Zuviel der Distanz, wo so viele Schätze nur kurz hervorgezogen werden und schnell wieder verschwinden.

Von 1954 bis 1967 währt der Literaten- und Verlegertraum am Bahndamm zu Stierstadt, dann zieht es Victor Otto Stomps nach Berlin, wo er drei Jahre später stirbt. Die Arbeit mit der „Neuen Rabenpresse“ währt nur kurz. Die Krämer-Tochter bewahrt die Geschichten aus dieser Zeit diskret. „Ich grabe mich gern ein. Es gibt noch viel zu entdecken“, sagt indes der forschende Literat Olaf Velte, „total fasziniert“ von stundenlangen Gesprächen im Garten mit Nachkommen der Vermieter-Familie, beseelt vom Geist jenes „Outcast“ Stomps, wie ihn der Verleger Axel Dielmann beschreibt. Das habe ihn „attraktiv und aufregend gemacht für junge Leute“, so Dielmann. Für Leute wie Horst Anthes und Gabriele Wohmann, Guntram Vesper und Günter Bruno Fuchs, für Hans Neuenfels, Christoph Meckel, Klaus Staeck und so viele andere später namhafte Wort- und Bildkünstler.

Wer war dieser Victor Otto Stomps? Die Frage steht auch an diesem Abend stets im Raum. Olaf Velte, Axel Dielmann, die Lyrikerin Carolin Callies und „VauO“-Sohn Hans Goswin Stomps bilden auf der kleinen Bühne das „Literarische Quartett“, welches beim vom Kulturverein „LiteraTouren“ organisierten Abend das schriftstellerische Werk des Verlegers ins rechte Licht rücken sollte. Für den Werbeblock ist Axel Dielmann zuständig, das ist verständlich, er hat die „Stomps-Kassette“ verlegt, die von nun an auf dem Tisch steht, immerhin vier Bände, ungefähr 1600 Seiten, Gedichte, Romane, Essays. Den Unwissenden enthüllt er außer Stationen der verlegerischen Biografie des Geehrten, dass dieser einst die Ehrenplakette seiner Geburtsstadt Krefeld bekam und 1965 mit dem Fontane-Preis ausgezeichnet wurde. Die Anekdote dazu kommt von Hans Goswin Stomps, der auch von „VauO“ spricht. Den Vater hat der heute 81-Jährige bei seinen wenigen Besuchen im „Schloss Sanssouri“ als „freundlich und höflich distanziert“ erlebt, in seinen „Stierstadter Notizen“ von damals notiert er ein „eigenartiges Gebäude“, erinnert sich an „schmutziges Geschirr“. Die Einladung zur Fontane-Preisverleihung im Charlottenburger Schloss empfand der Sohn als einen „Höhepunkt der besseren Beziehung zum Vater“. In einem von Adam Krämer geliehenen schwarzen Anzug ist Vater Stomps da aufgetreten.

Die Lyrikerin Carolin Callies, „wahnsinnig fasziniert von der Figur VauO“, hat Stomps „an der Schnittstelle zwischen Verleger und Autor abgeholt“, sie liest ein paar kurze Essays und handelt auch die Genitive ab. Mit Olaf Velte wird das Lesen aus Stomps‘ Werk frisch und flott, der Autor, Dichter, Journalist, Schafzüchter und Oberaufseher einer Merino-Landschafstammherde in Wehrheim liest mit Kraft und Saft, endlich ein paar in den Abend geschleuderte Worte und ein „Gedicht, das gelesen werden möchte“. Was ihm aber auf der Seele brennt, die Sache mit den Stierstädter Gasthäusern, in denen man angeblich „eins auf die Mütze bekommt“, bleibt ungeklärt. „Noch Fragen?“, fragt der Moderator nach ungefähr 100 Minuten Unterhaltung von der Bühne ins Publikum. Es bleibt still. War scheinbar zu spät oder zu intim für Fragen. Niemand meldet sich.



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