„Ein würdiger Abschied ist möglich“

Pfarrer Reiner Göpfert auf dem Alten Friedhof Oberursel: „Die begrenzte Anzahl von Trauergästen ist für manchen ein Problem.     Foto: js

 

Von Jürgen Streicher

Hochtaunus. Die Morgensonne am strahlendblauen Himmel spielt schon Frühling. Aber es ist frischkalt hier draußen auf dem Alten Friedhof am Ortsrand von Bommersheim. Ein eisiger Wind weht zwischen Bäumen und Gräbern, Ortsgärtner Krammich pflanzt nahe der verwaisten Trauerhalle hunderte Frühblüher. Die vier Gärtner arbeiten in angemessenem Abstand, in diesen Zeiten ist alles anders. Unten am Südrand des Friedhofs haben gerade Menschen einen ihrer Lieben zu Grabe getragen. Eine überschaubare Gruppe, auch sie achtet auf Abstand untereinander, ehe sie doch unmerklich fast ein wenig näher zusammenrückt. „Der Mensch braucht das“, sagt Pfarrer Reiner Göpfert nur.

Mit vom Wind zerzausten Haar entfernt sich der Pfarrer im schwarzen Talar langsam zwischen den Gräbern von der frischen Grabstätte. „Die Menschen brauchen das, die Nähe, Kontakt, Berührung. Das ist eine ganz schwierige Situation jetzt“, sagt der Pfarrer der evangelischen Christuskirchengemeinde nachdenklich. Das Coronavirus verändert das Leben und den Abschied vom Leben. Seit der vergangenen Woche sind die Trauerhallen auf den Friedhöfen geschlossen. Zum Schutz der Bürger und der Mitarbeiter der Friedhofsverwaltung, weil der Kontakt der Menschen dort zu dicht ist. Keine Trauerfeiern mehr im geschlossenen Raum, keine Abschiednahme vor dem aufgebahrten Sarg oder der Urne mit Blumen und Bildern des Toten. Trauerfeiern, möglichst zügig, können nur noch direkt an der Grabstätte abgehalten werden. Mehr als 25 Menschen dürfen nicht dabei sein. So hat es die Stadt Oberursel verordnet, in Bad Homburg empfiehlt die Stadt „dringend, die Zahl der Trauergäste so klein wie irgend möglich zu halten“.

Mehr Trauergäste sagen ab

Zum würdigen Abschied gehört für viele Menschen die Feier in der Trauerhalle, mit Reden, mit Musik, mit letztem Gruß vor Sarg oder Urne in geschützter Atmosphäre. Auf der anderen Seite habe sich bei vielen Menschen der Stellenwert von Abschied verändert, so Reiner Göpfert. Nicht zuletzt durch die wachsenden Kosten für Beerdigungen im Gesamtpaket, die viele nicht mehr bezahlen wollen oder schlicht nicht können. „Die Zahl der Beistellungen hat zugenommen“, so Göpfert. So heißt das, wenn ein schlichter Urnengang reichen soll. Aber: „Der Mensch soll gewürdigt werden und würdig verabschiedet werden. Ein würdiger Abschied ist auch jetzt möglich.“ Die Begrenzung der Anzahl sei zwar für manche ein Problem, aktuell löse sich das durch die Absagen, die sich häufen. Göpfert nennt das Beispiel einer Familie, die einen großen Abschied angemeldet habe, am Ende seien sieben Trauergäste übrig geblieben. Persönliche Einschränkungen, Gefährdungen durch Vorerkrankung, Anreiseprobleme von fernen Familienangehörigen, Angst vor dem Virus, es gibt viele Gründe.

„Würdig und so persönlich wie möglich soll der Abschied am Grab sein“, sagt Pfarrer Andreas Unfried von der katholischen Pfarrei St. Ursula in Oberursel und Steinbach. Eine „Herausforderung“ für die Seelsorger, aber auch klare Prämisse, dass „keine Gesundheitsgefahr“ von einer Feier ausgehen dürfe. Eine Liturgie wie in der Trauerhalle sei in verkürzter Form je nach Wetterlage auch am Grab möglich. Diesen Abschied hält Pfarrer Unfried für „sehr wichtig für den Beginn des Trauerprozesses“. Man spürt seine Skepsis, wenn jetzt die ersten Anfragen kommen, ob eine Urnenbeisetzung etwa auf Mitte Mai verschoben werden könne. Solche Verschiebungen findet auch Pfarrer Göpfert mit Blick auf die „Trauerphase“ problematisch.

Auch in Friedrichsdorf bleiben die Trauerhallen geschlossen, eine Erdbestattung am Grab ist aber noch möglich. Mit limitierter Gästezahl und mit dem verordneten Abstand. Pfarrerin Gundula Guist von der evangelischen Kirchengemeinde im Stadtteil Burgholzhausen würde in dieser Ausnahmesituation zu jeder innovativen Idee Ja sagen. „Was ich mir vorstellen könnte“, sagt die Pfarrerin und Pfarrersfrau, „wäre ein kleiner Film von der Feier, den man anschließend an die Angehörigen und Freunde schicken kann, die zur Feier nicht kommen konnten.“ Auch das könne „ein Stück Anteilnahme“ sein, mit einem zeitgleichen Gebet etwa. Das Persönliche einer Trauerfeier müsse durch virtuelle und mentale Teilnahme nicht ganz verloren gehen.

Und was wird mit Ostern?

Auch unter schwierigsten Umständen muss für Pfarrer Reiner Göpfert ein würdiger Abschied mit dem tröstenden Zuspruch des Evangeliums möglich sein. Kommt keiner mehr, auch das kam schon mal vor, dann ist der Gottesmann da und vollzieht das Ritual im Beisein von Bestatter und einem Friedhofsangestellten. „Hier soll keiner begraben werden wie ein Hund.“ Gemeinschaft, Zuspruch, geistlicher Zusammenhalt sind gefragt in diesen Krisenzeiten. „Die Nachfrage ist groß, manchmal komm ich kaum weg vom Telefon“, so der Seelsorger. Bis 2 Uhr in der Nacht war er am Tag vor der Beerdigung im Gespräch, jetzt hat er eine Stunde Pause bis zum nächsten Beerdigungsgang auf Abstand. Und wie der katholische Kollege Andreas Unfried schon Ostern im Sinn, das große Kirchenfest im Jahreslauf. „Wie wir Ostern erlebbar machen können, darüber denken wir heftig nach“, so Pfarrer Unfried.



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