Hochtaunus (gt). Der Druck der Zeitungen des Hochtaunus Verlags war am Mittwochmittag voriger Woche gerade angelaufen, da lud Landrat Ulrich Krebs mit knapp 90 Minuten Vorlaufzeit zu einer Pressekonferenz ein, in der er mitteilte, dass der Kreis vom Land Hessen den Einsatzbefehl erhalten hat, Notunterkünfte für 1000 Flüchtlinge aus der Ukraine an höchstens zwei Standorten bis Samstag 14 Uhr einzurichten. Es wurden Sporthallen an der Altkönigschule in Kronberg und an der Grundschule am Hasenberg in Neu-Ans-pach ausgewählt. Der Landrat hatte bereits die jeweiligen Bürgermeister und Schulleiter persönlich informiert. Die Hallen dienen als Erweiterung des Erstaufnahmezentrums in Gießen, das auch federführend für die Unterkünfte sein wird. Der Sportunterricht an den betroffenen Schulen soll auf umliegende Hallen verteilt werden. Die prüfungsrelevanten Fächer für die Abiturienten werden nach Königstein verlegt.
Bereits am Donnerstag morgen begannen die Hilfskräfte des Katastrophenschutzes und der Feuerwehren aus dem ganzen Hochtau- nuskreis, die Hallen einzurichten. Im Schichtsystem haben die Oberurseler Feuerwehren am Aufbau mitgewirkt. sie waren am Donnerstagabend in Kronberg im Dienst. Die Böden wurden zum Schutz abgedeckt, Klappbetten aufgebaut, 560 in Kronberg und 255 in Neu-Anspach. Das ergibt in der Summe zwar noch keine 1000, damit hat aber jede Person vier Quadratmeter für sich, und es gibt trotzdem Platz für die Essensausgabe und für die Fluchtwege. Kurzfristig sei die Aufstockung auf 1000 aber möglich, erklärte Jürgen Hirzel, stellvertretender Leiter des Fachbereichs Katastrophenschutz im Hochtaunuskreis bei einem Ortstermin am Freitag Nachmittag. Trennwände wurden zwischen den Betten noch am Freitagnachmittag aufgebaut, provisorisch bestehen sie aus Bauzäunen mit Planen. Ladestellen für Mobiltelefone sind eingerichtet.
Landrat Ulrich Krebs erzählte, er habe ein „Déjà vu“-Erlebnis, wenn er die vielen Betten sieht. Er verglich die Situation mit den Hallen in Oberursel im Jahr 2015 und erklärte, der Aufbau sei dieses Mal einfacher vonstatten gegangen, da man die Betten nicht erst organisieren musste. Sie waren sie nach dem Einsatz an der Erich-Kästner-Schule in Oberursel eingelagert. Essen in den Hallen wird vom Taunus-Menü-Service aus Neu-Anspach geliefert. Dort hat die Küche eine Kapazität von 10 000 Mahlzeiten pro Tag, derzeit ist sie nur zu 50 Prozent ausgelastet. Mittagessen gibt es nach dem Schulspeiseplan, abends eine Auswahl als Nudeln, Wurst, Käse und Salat. Die medizinische und psychologische Betreuung wird in den ersten zwei Wochen vom DRK übernommen, für die Zeit danach wird nach einem Betreiber gesucht.
In Kronberg und Neu-Anspach werden jeweils tagsüber fünf Kräfte eingesetzt sein, nachts zwei bis drei. Notfallmedizinisch ausgebildetes Personal ist ständig vor Ort. Für kleinere Verletzungen und einfache gesundheitliche Probleme steht in beiden Hallen eine kleine Krankenstation zur Verfügung. „Wir stellen uns aber auch auf sehr viele schwer traumatisierte Menschen ein, das ist eine ganz andere Ausgangssituation als in der Flüchtlingskrise 2015/2016. Sollte es erforderlich sein, steht das Team unserer psychosozialen Notfallversorgung ständig in Rufbereitschaft und auch die Kollegen vom Kriseninterventionsteam sind auf den jederzeitigen Einsatz vorbereitet“, erklärt Rotkreuzbeauftragter Uwe Riehl. Das gelte aber auch für die ehrenamtlichen Hilfskräfte, für die der Einsatz mit Sicherheit sehr emotional und mental belastend sei.
Der Landrat betonte, dass man keine Sachspenden an die Hallen bringen soll, dafür gebe es keinen Lagerplatz. Dafür hat der Kreis die Sammelaktion am Impfzentrum verlängert und nimmt dort Sachspenden für die Notunterkünfte an. Vor allem werden Hygieneartikel, neue Haarbürsten und -kämme benötigt.
Wer als Freiwilliger helfen möchte, sollte sich per E-Mail an das Landratsamt wenden. Am Sonntagvormittag rief der Landrat auf Facebook dazu auf, dass Dolmetscher, die Ukrainisch sprechen, sich direkt an der Halle in Kronberg, Le-Lavandou-Straße 4, melden sollen.
Nach der Registrierung in den Hallen werden die Flüchtlinge auf die Landkreise verteilt. Die Kommunen sind aufgefordert, Wohnraum für sie zu finden. Am Wochenende kamen bereits die ersten 400 Menschen aus der Ukraine an der Notunterkunft an. Davor waren bereits etwa 300 Menschen im Kreis privat oder vom Kreis selbst untergebracht.
Auch wenn der Landrat auf seiner Facebook Seite versicherte, dass es möglich sein werde, auf dem Gelände in Kronberg Haustiere unterzubringen, startete Ramona Köhler von der Facebook Gruppe „Tiersicherung Frankfurt/Main-RheinMain-Hessen“ bereits am Samstag eine große Aktion im Netz, um private Unterkünfte für Menschen mit Tieren zu finden, um ihnen die Situation in der Notunterkunft zu ersparen. Der Tierschutzverein Bad Homburg bietet eine Erstversorgung für Tiere aus der Ukraine an. Sie bekommen Futter, Decken, Kissen, Körbe, Näpfe, Leinen, Bürsten und Spielsachen als „Welcome Package“. Die Kleintierpraxis in der Dornbachstraße in Oberursel bietet für Hunde und Katzen aus der Ukraine eine kostenlose allgemeine Untersuchung und Bestimmung des Tollwut-Antikörperspiegels an. Schließlich bietet die Tierklinik Kalbach kostenlose Impfungen gegen Tollwut an und versorgt Verletzungen und akute Erkrankungen.
Auch die private Hilfe für die Flüchtlinge in und aus der Ukraine lässt nicht nach. Die Integrierte Gesamtschule Stierstadt (IGS) startete eine Aktion in Zusammenarbeit mit der Hilfsorganisation „Deutsche Humanitäre Hilfe Nagold“ (DHHN) und sammelte haltbare Lebensmittel, die idealerweise in Bananenkartons mit Deckeln gepackt sind. Eine genaue Liste steht auf der Facebook Seite der Schule facebook.com/igs.stierstadt. Die DHHN unterhält Standorte in der Ukraine und hilft mit den Lebensmitteln den Menschen am Ort. Schüler geben ihre Spenden im Raum C16 ab. Personen, die nicht zur Schulgemeinde gehören, können ihre Spenden beim Sekretariat abgeben.
Markus Kotkowski und Melly Schiller vom Verein „Wandern und Walken für den guten Zweck Hochtaunus“ haben zu einem virtuellen „Xtrem Marsch“ aufgerufen. Mit dem Erlös wollen sie Hygiene- und Verbandsmaterial, sowie Medikamente für die Ukraine finanzieren. Die Strecke kann sich jeder selbst aussuchen, Medaillen werden aus der Saison 2021 benutzt, um Kosten zu sparen. Infos und Tickets gibt es im Internet unter https:// wuwhochtaunus.de.
Für Flüchtlinge, die schon in Oberursel angekommen sind, fanden im Oberurseler Forum auf Facebook auch weitere Aktionen statt. Die dringende Suche nach 20 Wäschesäcken, vier Wäscheständern und einer Waschmaschine für eine Unterkunft war zwar etwas größer als sonst, dennoch konnte alles innerhalb von acht Stunden organisiert werden.
Der Omnibusbetrieb Lossa aus Oberursel und Gutacker Reisen aus Schmitten waren selbst an die polnisch-ukrainischen Grenze gefahren und kehrten mit 93 Flüchtlingen zurück, darunter waren auch vier Männer. Gutacker Reisen plant bereits eine neue Fahrt und ruft auf Facebook zu Sachspenden für die Fahrt auf, hauptsächlich Verpflegung und Hygieneartikel, aber auch Bilderbücher und Spielsachen, um die Kinder während der 17 Stunden im Bus auf der Rückfahrt zu beschäftigen.
Die „Ur-Oberurseler“ Däusi und Werner Erbacher haben am Wochenende sortiert, was noch als Neuware größtenteils original verpackt von ihrem früheren Army-Shop in der Eppsteiner Straße vorhanden war. Drei Freunde – Kerstin Meckl, Martin Ott und Gerd Saßmannshausen – halfen dabei und packten mit ihnen 86 große Umzugskisten mit Schlafsäcken, Jacken, Hosen, Schuhen, Stiefeln und vielem mehr im Wert von mehreren tausend Euro. „Wir wollten die Ware noch auf Flohmärkten verkaufen, aber mir war das eh zu mühsam. In der Ukraine erfüllen die Sachen einen guten Zweck. Die Leute dort können sie wirklich gut gebrauchen“, sagte Werner Erbacher der Oberurseler Woche, während am Montagmittag der Lkw einer Offenbacher Umzugsfirma vorfuhr, auf den die außergewöhnlich großzügige Spende verladen wurde. Sein Ziel ist ein Ort in Polen direkt an der Grenze zur Ukraine.
!Die Situation ändert sich täglich. Ständig aktualisierte Informationen zu den Spende- und Hilfsmöglichkeiten finden sich im Internet unter obu.li/ukraine.