Vom Goetheturm zum gemütlichen Abend beim Apfelwein

Die Wanderer legen im Frankfurter Stadtwald einen Zwischenstopp am Königsbrunnen ein.

Hochtaunus (bg). Müssen es wirklich immer Strand und Meer, Berge und Schluchten sein? Ferien zu Hause können mindestens ebenso spannend und aufregend, erholsam und entspannend oder beeindruckend und bildend sein wie weite Reisen in ferne Länder. Wer diese Erfahrung nicht schon längst gemacht hat, wird vielleicht von Corona dazu genötigt, die nähere Umgebung zu entdecken – und wird überrascht sein, was die Heimat alles zu bieten hat. In einer kleinen Serie wollen wir beleuchten, was „Mein schönster Ferientag“ sein könnte. Im sechsten Teil geht es in den Frankfurter Stadtwald mit Abschluss in der Orscheler Kelterei.

Raus ins Grüne, das war sogar im strengen Lockdown erlaubt. Viele entdeckten so das Wandern für sich und damit ihre nähere Heimat, den Taunus. Nach Alexander von Humboldt ist er „Das schönste Mittelgebirge der Welt“. Vor gar nicht allzu langer Zeit wurden Wanderer, ausgestattet mit Rucksack, Kniebundhosen und einem Wanderstock müde belächeltet. Wandern war mega-out. Das hat sich seit einigen Jahren gründlich geändert. Waldbaden heißt das neue Zauberwort. Es ist nachgewiesen, das sich der Blutdruck bei längeren Touren durch den Wald senkt. Mediziner empfehlen schon seit langem Wandern als gesunden Ausdauersport. Am besten noch in einer Gruppe, denn Gemeinschaftserlebnisse sind gut für die Seele und damit genauso wichtig wie die körperliche Fitness.

So reihe mich ein in die Serie über den schönsten Ferientag mit einem Bericht über einen ganz außergewöhnlichen Tag. Prall gefüllt mit erstaunlichen Ereignissen, so etwas hatte ich bisher noch nicht erlebt, weder auf langen Urlaubsreisen noch bei einem Wandertag durch den Taunus. Er wird mir unvergesslich bleiben. An diesem besonderen Tag würde ich endlich meinen Enkel Jannis, der in Hamburg lebt, wiedersehen. Aber zuvor auf Wanderschaft gehen, denn Dienstag ist immer Wandertag, dieser Termin ist sakrosankt, da gibt’s nichts anderes. Außerdem hat genau an diesem Tag mein langjähriger Freund Andy, mit dem ich gemeinsam in Bommersheim aufgewachsen bin, Geburtstag. Keinen gewöhnlichen, was an diesem Tage ohnehin schon nicht geht, nein einen runden. Er ist etwas jünger als ich, aber nur ein halbes Jahr, und jetzt sind wir beide 70. Das sollte alles unter einen Deckel passen? Mal sehen ob das klappt. Aber der Reihe nach.

Wandern mit den „Bergabberern“

Der Tag begann ganz normal nach dem Motto „Zieh an die Wanderschuh und setzt den Rucksack auf“. Aber halt, so geht das nicht bei der Wandergruppe des Turnvereins Bommersheim. Sie wurde im Jahre 2004 von dem langjährigen TVB-Mitglied Helmut Kasper, Naturliebhaber, Wanderfreund und Gitarrenspieler, aus der Taufe gehoben – als neues Angebot für Mitglieder der Coronar-Sportgruppe des TVB. Die „Bergabberer“ vom TVB, wandern bei Sonne, Regen, Eis und Schnee und gehen jede Woche auf Tour. Dabei machen sie nicht nur den gesamten Vor- und Hintertaunus unsicher, sondern unternehmen auch Streifzüge durch das gesamte Rhein-Main-Gebiet. Durch öffentliche Verkehrsmittel wird der Aktionsradius immer wieder erweitert. Wie zuletzt durch das Seniorenticket, das alle eifrig nutzen.

Vernetzt ist die Gruppe inzwischen per Whats-App. Nach der Zwangspause durch Corona wurde erst kürzlich der Wanderbetrieb aufgenommen. Gerade rechtzeitig, um ein einmaliges Highlight zu erleben. Den Aufbau des Goetheturms im Frankfurter Stadtwald. Das wollten sich alle nicht entgehen lassen. Groß war das Entsetzen, als der alte Turm, den sie alle gut kannten, einem Brandanschlag zum Opfer fiel. Denn mindestens einmal im Jahr wird durch den Frankfurter Stadtwald gewandert. Der steckt ebenso wie die Mainmetropole voller Merkwürdigkeiten. Dort gibt es einen Mörderbrunnen, um den sich eine Sage rankt, einen Königs- und Krönungsbrunnen, überdimensionierte Holztiere wie Eule und Specht auf Bäumen und das ganz große Highlight, den berühmten Pinkelbaum. Es ist immer ein Riesenspaß wenn aus dem im alten Baum befestigten kleinen Stutzen das Wasser spritzt. „Seit 300 Jahren werde ich angepinkelt, jetzt pinkel ich zurück“, so der Text von Ideengeber Friedrich Karl Waechter dazu. Der Cartoonist lebte lange in Frankfurt und war Mitbegründer der Satire-Zeitschrift „Titanic“.

Die Wanderung begann in Neu-Isenburg an der Endstation der Linie 17. Die Führung hatte mein Bruder Wolfgang Geißler geplant und organisiert. Der Tag war herrlich, der Fluglärm deutlich geringer als in früheren Jahren und nach einem Fußmarsch, vorbei am Jacobiweiher und der Oberschweinstiege, näherten wir uns nach beinahe drei Stunden unserem eigentlichen Ziel, dem Goetheturm. Schon von weitem war der Baulärm zu hören. Wie schon in der Hessenschau zu sehen war, werden die vorgefertigte Teile auf der Baustelle mit großen Kränen aufeinandergesetzt und zusammengebaut. Um den neuen Turm feuersicher zu gestalten, wurden bei der Konstruktion viele Tonnen Stahl verbaut. Die runden, gewaltigen Träger, Streben und Stützpfeiler sind mit blankgeschliffenen Hölzern aus Edelkastanie ummantelt. Der neue Turm wird richtig schick, so das einhellige Urteil der Wanderer. Er wird etwa 43 Meter hoch sein, und 175 Stufen führen zu der Aussichtsplattform, die bereits fix und fertig auf dem Baugelände lagerte. Offiziell soll der neue Goetheturm im Oktober eingeweiht werden.

Vom Pinkelbaum zur Grünen Soße

Nach der wohlverdienten Mittagspause in der „Goetheruh“ ging es runter an den Main. Einen letzten Stopp gab es an dem Denkmal für die Grüne Soße in Oberrad. Das sind sieben kleine, grüne Gewächshäuser mit den Namen der sieben Kräuter, die zum Frankfurter Nationalgericht gehören: Boretsch, Kerbel, Kresse, Petersilie, Pimpinelle, Sauerampfer und Schnittlauch. Am Main entlang ging es bis zur Flößerbrücke, dann über den Fluss zur S-Bahn-Haltestelle „Ostend“. Gegen 17 Uhr war dieser ganz besonderer Wandertag zu Ende. Aber noch lange nicht mein „schönster Ferientag“.

Nach dem Sprung unter die Dusche und einer kurzen Ruhepause machten wir uns auf den Weg zur Apfelwein-Kelterei, um Andi zum Geburtstag zu gratulieren. Auf dem Weg dahin fand ich auf der Straße ein Portemonnaie. Mit allen Dokumenten und Karten, die der Mensch heute so braucht. Jeder, dem das schon mal passiert ist, weiß, wie schrecklich das ist, diese Laufereien anschließend, vom Verlust des Bargelds mal ganz abgesehen. Aber heute war ja ganz besonderer Tag. Es gelang uns tatsächlich, den Besitzer ausfindig zu machen, zu kontaktieren, und am späten Abend konnte er glücklich seine Geldbörse, natürlich mit komplettem Inhalt, wieder in Empfang nehmen.

Freundschaft mit der „Wäschfraa“

Die Feier war dann umso schöner. Kurze Zeit nach uns trafen auch die Hamburger ein. Mein Sohn Jan mit Ehefrau Carina und dem Enkel Jannis. Der fiel mir gleich um den Hals. Er war froh, dass die lange Fahrt endlich zu Ende war. In der Straußwirtschaft saßen die Gäste gut gelaunt familienweise zusammen, ließen das Geburtstagkind hochleben und einen schönen Abend langsam ausklingen. Jannis genoss echten Orscheler Apfelsaft, frisch gepresst, verzehrte mit gutem Appetit eine deftige Rindswurst und verlangt – wie immer – noch einen Nachtisch, das vergisst er selten. Die Rote Grütze war auch ganz nach seinem Geschmack. Auf dem Heimweg freundete er sich auch noch mit der „Orscheler Wäschfraa“ auf der Bleiche an und sank – ich glaube, es war schon kurz vor Mitternacht – ebenso wie ich erschöpft, aber glücklich und zufrieden in sein Ferienbett bei Oma und Opa. Was für ein toller Tag!

!Mittlerweile sind die Bauarbeiten am Goetheturm abgeschlossen, am 28. Juli wurde Richtfest gefeiert. Die Eröffnung ist allerdings erst für Oktober geplant und hängt vom weiteren Verlauf der Corona-Pandemie ab. Zugangsregelungen sollen verhindern, dass zu viele Menschen gleichzeitig ohne Abstand den Turm besteigen.

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