Von leicht säuerlich bis unaufdringlich salzig

Nasse Finger, durch die unaufhörlich das Wasser rinnt: Die Heilwasserbrunnen im Bad Homburger Kurpark faszinieren Kinder ebenso wie Erwachsene – Wasser als Quelle des Lebens und gleichzeitig willkommene Abkühlung an warmen Sommertagen. Foto: a.ber

Von Astrid Bergner

Hochtaunus. Ferienzeit ist Reisezeit, eigentlich zumindest. In Corona-Jahren aber ist alles anders. Inzidenzen und Virusvarianten grenzen das Reisen stark ein oder machen es sogar ganz unmöglich. Strand und Meer im fernen Süden müssen warten, Erlebnisse, Erholung und Erfrischung vor der eigenen Haustür rücken in den Mittelpunkt. Und Ferien zu Hause können mindestens ebenso spannend und aufregend, erholsam und entspannend oder beeindruckend und bildend sein wie weite Reisen in ferne Länder. Wer diese Erfahrung nicht schon längst gemacht hat, wird vielleicht von Corona dazu genötigt, die nähere Umgebung zu entdecken. In der Ferienserie „Erfrischung gefällig!“ widmen wir uns Erlebnissen, die Abkühlung an heißen Sommertagen versprechen. Der zweite Teil führt in den Bad Homburger Kurpark.

„Jetzt gehen wir noch Wasser holen!“ Fast jeden Sonntag hörte ich als Kind nach dem Gottesdienstbesuch in der Bad Homburger Erlöserkirche diese Aufforderung meines Vaters – nach dem langen Stillsitzen in der Kirche rein in den alten Ford, runter in die Augustaallee fahren und die Hände ganz lange in den kühlen Wasserstrahl des Elisabethenbrunnens halten: Da war ich dabei! Mit drei bis vier Flaschen des Homburger Heilwassers fuhren wir dann nach Hause. Die Quellbrunnen in unmittelbarer Umgebung der Brunnenallee im Kurpark waren und sind noch heute ein Anziehungspunkt nicht nur für Heilung suchende Menschen, sondern auch für Bad Homburger Bürger und besonders für die Kinder.

Einige der Quellen auf dem heutigen Gebiet des Bad Homburger Kurparks waren schon von den alten Römern entdeckt und genutzt worden. Doch so richtig begann die Nutzung der Homburger Heilquellen erst mit der Wiederentdeckung des Ludwigsbrunnens; ab 1809 erfolgte die fortschreitende wissenschaftliche Erforschung der Quellwasser, die kunstvolle Fassung der Brunnen und der Ausbau des Heilquellenbetriebs.

Mich zieht es bei meinem zweistündigen Rundgang durch den ältesten, den unteren Teil des Kurparks zuerst zum 1834 erschlossenen Elisabethenbrunnen. Nostalgie? Schöne Erinnerungen an ein gemeinsames Familienritual in den 1970er-Jahren? Es ist auch die prachtvolle Ausgestaltung dieser Quelle direkt am unteren Ende der Brunnenallee aus dem Jahr 1916 mit tempelartiger Überdachung und edlen Sandstein-Figuren, die inmitten einer liebevoll gepflegten Blumenumrandung in der Senke liegt, die mich anzieht. Diese „Quelle des Erfolgs“, nach Landgräfin Elisabeth benannt und von dem Chemiker Justus von Liebig enthusiastisch als „Wasser mit hohem Reichtum an wirksamen Bestandteilen“ gelobt, wird wie die anderen Quellen gleichsam bewacht von einer großen hellen Marmor-Dame, an deren Sockel sich die lateinische Inschrift findet: „Gleich wie der sprudelnde Quell die Kranken erquicket und heilet, lenket zur Kunst er den Sinn, adelt er Sitten und Geist.“

Ein älterer Herr im Joggingdress macht gerade seine Dehnübungen am Sockel der edlen Dame und fragt mich neckend: „Haben Sie auch das Wichtigste hier notiert: den großen Zeh?“ Und in der Tat, der nackte Riesenzeh der sitzenden Statue ist ein Kunstwerk für sich! Kunst hin oder her – ich laufe die wenigen Meter zum Trinkbrunnen der Elisabethenquelle an der Augustaallee und tue das, was ich als Kind schon immer tat: Ich lasse mir das kalte Wasser ausgiebig über die Unterarme laufen und trinke ein paar Schlucke vom leicht säuerlich-salzigen Wasser, gut gegen Magen- und Darmerkrankungen, aus der hohlen Hand. Nach der Regenperiode dieser Tage tropft das Regenwasser mir vom Dach des Brunnens in den Nacken und der Wasserhahn des Elisabethenbrunnens tröpfelt ständig weiter, auch wenn man den Druckknopf losgelassen hat. So war’s früher schon.

Die Temperatur der Homburger Heilquellen liegt beim Austritt aus dem Boden bei etwa elf bis zwölf Grad Celsius; die meisten von ihnen sind Natrium-Chlorid-Säuerlinge und ausdrücklich nicht zum täglichen Genuss als Trinkwasser geeignet, empfohlene Tagesdosis nicht mehr als ein Liter. „Kommt das Wasser immer weiter aus dem Boden?“, hat mich meine Enkelin neulich gefragt und fasziniert in die Glaskuppel des Landgrafenbrunnens geschaut. Vorbei an einer Arme schwenkenden Turngruppe auf der Allee laufe ich in die Senke zum Landgrafenbrunnen und starre minutenlang in den sprudelnden Quell über der Kupferscheibe, das ist erfrischend wie eine Meditation.

1899 auf dem Golfplatz-Gelände des Kurparks entdeckt und als Heilquelle für Leber und Galle gut, bekam der Landgrafenbrunnen Anfang des 20. Jahrhunderts einen Jugendstil-Überbau mit Felsstein-Fassung und dem Relief einer unbekleideten Nymphe, die aber in den prüden 1950er-Jahren entfernt und durch eine Bronzebüste von Landgraf Friedrich II. ersetzt wurde – schade, so eine nackte Nymphe passt doch viel besser zum Thema Wasser, das den unteren Kurparkteil prägt!

Leider, leider läuft der kleine Louisen-Brunnen mit seiner stiefmütterlich aussehenden ärmlichen Sandsteinfassung derzeit nicht mehr: Mit seinem „Faule-Eier-Geschmack“ war er immer eine willkommene abscheuliche Abwechslung zu den säuerlich-salzigen Quellen.

Aus der Senke hoch taucht rechterhand schon der nächste Trinkbrunnen auf, der Auguste-Viktoria-Brunnen am Dostojewskiweg hinter der Spielbank. Vor zwei Wochen standen hier rundherum noch hunderte kleiner Margeriten-Blumen, wie zu Ehren von Auguste Viktoria, der Frau Kaiser Wilhelms II., der diese Heilquelle 1906 bohren und nach eigenem Entwurf den kleinen Rundtempel darüber von Architekt Heinrich Jacobi, dem Sohn des Louis Jacobi, bauen ließ. Mit 454 Miligramm pro Liter eine der calciumreichsten Quellen Deutschlands, ist das für mich, die ich keine Milch trinke, der rechte Gesundbrunnen! Auf einer Info-Tafel am Anfang der Brunnenallee hatte ich gelesen, dass 1882 die „Molkenkur mit Ziegenmilch“ in der Kurstadt üblich war – na dann doch lieber die angenehm weich schmeckende, leicht salzige Auguste-Viktoria-Quelle.

Ihr Wasser ist auch für kleine Kinder gut geeignet, oft hocken sie hier auf der Brunneneinfassung und trinken. Da die Julisonne sich doch heute durch die Wolken gekämpft hat, trinke ich eine ordentliche Menge und reibe mir mit dem Rest Wasser an den Händen die Arme ab. Herrliche Kühlung!

Der Blick fällt auf das Spielbank-Gebäude der Brüder Blanc aus den 1840er-Jahren und erinnert mich an meinen Besuch mit meiner alten israelischen Freundin dort, deren Ehemann ein in allen europäischen Spielbanken früher gefürchteter und erfolgreicher Black-Jack-Spieler war und auch die Bad Homburger Spielbank immer wieder „heimsuchte“. Gegenüber der Spielbank der vor allem für Kinder faszinierende runde Krater, an dessen Grund sich der sogenannte Stahlbrunnen, 1841 erbohrt, befindet. Sein sehr hoher Eisengehalt veranlasste Justus von Liebig zur Begeisterung: „Ich betrachte dies für Homburg als ein sehr glückliches Ereignis!“ Prima bei Blutarmut und Blutdruckregulierung.

Stapft man die vielen Stufen aus dem Krater wieder hoch, fällt der Blick auf die historische Minigolf-Anlage, die, trotzdem eigentlich eine Restaurierung ansteht, in diesem Corona-Sommer eifrig von Familien genutzt wird – auch beim Minigolf kann sich der Blutdruck regulieren, spannend, wer auf den alten Bahnen seinen Ball ins Ziel schlagen kann! Während Erwachsene auch bei einem kühlen Getränk oder bei Kaffee und Kuchen an einem der zahlreichen Tische unter Bäumen entspannen und dem Nachwuchs beim Bälle-Schlagen zusehen können, sind die Betreiber der kleinen Minigolf-Bude, Karl-Heinz und Tilly, rührig um ihre Gäste besorgt. Nicht nur Golftickets und -schläger gehen über die Theke des charmanten alten Holzhäuschens; hier gibt es auch das unsäglich süße Calippo-Cola-Eis, weswegen mein zweijähriger Enkel unbedingt immer nach dem Besuch des großen Spielplatzes nahebei zum Büdchen strebt; auch weitere Eissorten und Bockwurst sind im Angebot, und die roten Müllschlucker haben alle aufgemalte freundliche Gesichter. An einem alten Langnese-Schild an der Wand des Holzhäuschens kann man die Lufttemperatur auf dem nostalgisch anmutenden Thermometer ablesen, und wenn es warm ist, sitzen die Betreiber der Anlage zwischendurch auch mal hinter der Bude vor ihrem kleinen Fernseher und entspannen. Richtig schön ist es hier!

Der Kaiserbrunnen vor dem Kaiser-Wilhelms-Bad, „Der Sprudel“, mit seinem prächtigen Gusseisengitter ist der letzte Punkt meiner Brunnen-Verkostung. Und auch hier lohnt sich ein Blick in die Quell-Glaskuppel. Von Römern entdeckt, diente diese Quelle um das Jahr 1700 einem Gradierwerk zur Salzgewinnung; später musste sie nachgebohrt werden und hat heute eine Tiefe von 75 Metern. Das Wasser ist leicht bräunlich gefärbt und hat einen zarten, unaufdringlichen Salzgeschmack. Es schmeckt auch meiner Enkelin sehr gut. Natürlich habe ich mit ihr und ihrem kleinen Bruder im Bollerwagen auch schon den Spielplatz und die Wiese im Jubiläumspark besucht. Wir haben den Schachspielern an der Orangerie zugeschaut, die Liegestühle auf der Wiese dort ausprobiert, dem wasserspeienden Froschkönig im Teich hinter der Orangerie und den Tennisspielern im oberen Kurpark zugesehen und das goldene Dach des Siamesischen Tempels bestaunt.

Doch das Wasser im Kurpark spielt auch für sie die wichtigste Rolle. „Ich will nur mal trinken!“, rufen die beiden, wenn ein Brunnen in Sichtweite ist. Nasse Hosen und Hemdchen? Egal – die Abkühlung von innen und außen an den Heilquellen im Bad Homburger Kurpark ist im Sommer einfach das Größte.

!Die Heilquellen im Bad Homburger Kurpark rund um die Brunnenallee sind frei zugänglich und kostenlos zu genießen. Wer nicht aus der Hand trinken will, bringt einen Becher mit. Die Spielplätze im Park sind täglich geöffnet, auf der Wiese im Jubiläumspark darf gepicknickt werden. Die historische Minigolfanlage ist montags bis freitags ab 12 Uhr, samstags ab 11 Uhr und Sonn- und Feiertags ab 10.30 Uhr geöffnet. An vielen Stellen im unteren Kurpark stehen Informationstafeln zur Geschichte von Park, Kurwesen und Heilquellen. Parkmöglichkeiten gibt es entlang der Augustaallee und rund um den Kurpark.

 

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