Hochtaunus (how). Bevor sie den Güterbahnhof zum Johlen bringt, buhlt Nancy Faeser bei der Konkurrenz um Mitglieder. „Es ist nie zu spät, die Partei zu wechseln“, ruft sie Ulrich Krebs zu. Natürlich weiß Faeser, dass ihr nicht ganz ernst gemeintes Werben um den CDU-Landrat des Hochtaunuskreises keinen Erfolg haben wird. Also schiebt sie hinterher: „Es wird nicht einfach werden für Sie!“
Nancy Faeser bläst zur Aufholjagd. Sie will sich zu Hessens Ministerpräsidentin küren lassen, bei der Landtagswahl am 8. Oktober. Bis dahin muss ihre SPD einen gewaltigen Rückstand aufholen. Laut einer aktuellen Umfrage liegt die CDU bei 31 Prozent; die Sozialdemokraten bei 20. Trotzdem sagt Faeser am frühen Sonntagabend vor dem Güterbahnhof: „Die Chancen stehen gut. 50 Prozent der Wähler sind noch nicht entschieden.“
Die Bundesinnenministerin ist in Schwalbach am Taunus aufgewachsen. Vor ihrem Wechsel nach Berlin war sie Vorsitzende der Hessen-SPD. In Bad Homburg läutet Faeser den Wahlkampf ein. Dabei wollte sie sich von Olaf Scholz unterstützen lassen. Doch der Bundeskanzler hatte sich am Vortag beim Joggen verletzt. Deshalb lässt sich Faeser von Boris Pistorius begleiten.
Im Güterbahnhof lauschen rund 300 Besucher den Worten des Bundesverteidigungsministers. Als langjähriger Oberbürgermeister von Osnabrück wisse er: „Die Musik spielt eigentlich in den Kommunen und in den Ländern.“ Seine Parteifreundin beschreibt er als „klug, schnell, pragmatisch“. Er hebt ihre Lebensfreude hervor. Faeser könne reden, und noch besser zuhören. Und: Sie sage nicht nur, was sie tun will. Sie tue es dann auch.
Faeser blickt in ihrer Rede zurück auf fast 25 Jahre CDU-geführte Landesregierung. Sie erinnert an die Parteienfinanzaffäre oder die „unsägliche Doppelpasskampagne“. Daran, dass die CDU im Zuge der „Operation sichere Zukunft“ eine Milliarde Euro im Sozialbereich gespart habe. Im Rhein-Main-Gebiet werde auf dem Bau der im Schnitt bundesweit niedrigste Lohn gezahlt. „Die Regierung verwaltet, packt aber nicht an.“
Mit ihr als Ministerpräsidentin werde das Land zwei Drittel der Betriebskosten von Kitas übernehmen. Dem Fachkräftemangel will sie etwa mit einer frühzeitigen Berufsorientierung an Schulen und einer höheren Frauenerwerbsquote entgegenwirken. Und dann ist da die Bildung, Faesers Kernthema. Besser ausgestatte Schulen, Chancengleichheit für alle Schüler, unabhängig vom Einkommen der Eltern – das sei ihr wichtig. „Bildungspolitik wird meine Nummer eins in einer SPD-geführten Landesregierung.“
Faeser plädiert für eine verbesserte Krankenhausversorgung, für mehr bezahlbaren Wohnraum. Und sie macht klar: „Rechtspopulisten haben keine Antworten.“ Kritik äußert sie am Umgang mit der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt in Bayern. Der stellvertretende Ministerpräsident Aiwanger hätte sich sofort erklären und entschuldigen müssen, aus Respekt vor den Opfern des Nationalsozialismus, sagt sie.
Vor dem Auftritt Faesers wirbt unter anderem Parteifreundin Elke Barth, die im Landtag den Hochtaunuskreis vertritt, für einen Regierungswechsel. Zum Abschluss der Veranstaltung demonstrieren Faeser und ihre Unterstützer beim Gruppenfoto Geschlossenheit. Die ist nötig. Der Hochtaunuskreis gilt nicht gerade als SPD-Hochburg. Und auch der Weg an die Spitze Hessens ist für die Sozialdemokraten noch ein weiter.
Unterstützung erhält Nancy Faeser im Güterbahnhof reichlich. Ob es für den Chefsessel in Wiesbaden reicht, ist jedoch fraglich. Foto: sth
Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich verletzt, deshalb wird Nancy Faeser in Bad Homburg von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius unterstützt. Foto: sth
Klare Botschaft: Etwa 300 Besucher verfolgen die Veranstaltung im Güterbahnhof. Viele von ihnen muss Faeser gar nicht mehr überzeugen. Foto: sth