Konzert – Mordechai Gebirtig und der Krieg in der Ukraine

Tabea Wollner begeistert beim Konzert zu den Werken des außergewöhnlichen Komponisten Mordechai Gebirtig mit ihrer ausdrucksstarken und gefühlvollen Stimme sowie auch am Akkordeon. Foto: Günter Pabst

Schwalbach (sbw). „Tabea Wollner war die Erleichterung anzusehen, als sie mit dem Akkordeon die letzten Töne der Zugabe beendete. Mit langanhaltendem Beifall dankten ihr die Zuhörer im vollbesetzten Kirchraum der Evangelischen Limesgemeinde. Ihr Bruder Tobias begleitete ihren Gesang empfindsam auf dem Flügel und las die deutsche Übersetzung der jiddischen Lieder“, so Günter Pabst. Es sei eine sehr emotionale Veranstaltung gewesen, zu der der Kulturkreis, der Arbeitskreis „Städtepartnerschaft Olkusz-Schwalbach“, die Gesellschaft Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) Main-Taunus und die Evangelische Limesgemeinde am vergangenen Samstag eingeladen hatte. Diese bewährte Zusammenarbeit ermöglichte einerseits das Eröffnungskonzert des 22. Polnischen Kaleidoskops und andererseits die „Woche der Brüderlichkeit“ im Rahmen „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“. Wie Günter Pabst von der GCJZ berichtet, „ahnten bei der Planung des Konzerts zu dem außergewöhnlichen Komponisten Mordechai Gebirtig die Veranstalter nicht, wie aktuell das Motto der Woche der Brüderlichkeit ‚Fair Play – Jeder Mensch zählt – Gerechtigkeit für alle Menschen‘ und die eindrücklichen Ghettolieder von Gebirtig, insbesondere das Lied ‚Es brennt, Brüder, es brennt‘‚ sein würde.“

Pfarrer i.R. Willi Schelwies wies daraufhin und erinnerte an den Angriffskrieg Putins und das Schicksal der Menschen in der Ukraine. Auszug aus dem Gebet: „In unserem Gebet bringen wir unsere Bitten vor Gott – wir erheben uns. Wir beten für die Menschen in der Ukraine, deren Leben so plötzlich und so furchtbar mit Krieg überzogen wurde – für jeden einzelnen, jede einzelne von ihnen: Dass ihnen Leben und Gesundheit erhalten bleiben, dass ihre Seele vor schwerem Schaden bewahrt bleibt. Wir beten für alle, die jetzt kämpfen und die kämpfen müssen, um ihr Land gegen die Angreifer zu verteidigen, als Soldaten oder auf andere Weise, in den Krankenhäusern, bei der Feuerwehr, in den Versorgungsbetrieben, in den Behörden. Wir beten um Kraft und um Ausdauer, dass sie standhalten können und dass sie sich dabei ihre Menschlichkeit bewahren. Wir beten für die vielen Menschen auf der Flucht, im Lande selbst und in den Nachbarländern und für die, die jetzt zu uns kommen. Wir beten für sie und für alle, die sich jetzt engagieren, um zu helfen und um ihnen gute Aufnahme zu bereiten. In der Stille bringen wir all unsere Bitten vor Gott. Darum bitten wir: Amen.“

Tabea Wollner bewältigte nicht nur ihren Gesangspart mit einer wunderbaren vollklingenden Altstimme, sie musste auch zwischen den Liedern die umfangreiche Lesung von Uwe von Seltmann übernehmen, der an Corona erkrankt, nicht anwesend sein konnte. „Uwe von Seltmann ist es zu verdanken, dass an Mordechai Gebirtig wieder erinnert wird“, so Pabst. Er habe ihn mit seiner umfangreichen Biographie vor dem Vergessen bewahrt und ihm mit seinem Buch „Mordechai Gebirtig, Vater des jiddischen Liedes“ ein Denkmal gesetzt.

Seine auf das Konzert zugeschnittenen Texte führten die Zuhörer durch das Leben von Gebirtig und wurden von Tabea Wollner bravourös und mit viel Empathie vorgetragen.

„Mordechai Gebirtig war ein Jahrtausendtalent, er konnte keine Noten lesen, aber seine Lieder, die bis heute weltweit von namhaften Künstlern gesungen werden, bieten einen einzigartigen Einblick in das jüdische Alltagsleben in den Jahren vor dem Holocaust. Seine Ghetto-Lieder zählen zu den eindrücklichsten Zeugnissen der Schoah“, erklärt Pabst.

Tabea Wollner erzählte vom entbehrungsreichen Leben des 1877 in Krakau geborenen Dichters und Liedermachers, der „tagsüber an Möbeln und abends am jiddischen Lied hobelte“. Gebirtig, der sich so in Menschen hi- neinversetzen konnte und ihrem Leben trotz ihrer Not und ihrer „ärmlichen, proletarischen“ Umgebung Würde gab. Jósef Finkelsztejn, ein Journalist, lernte Gebirtig 1936 kennen und zum 8. Todestag, 1950, zitierte er Gebirtig in einem Artikel: „Ich bin dem Schicksal dankbar dafür, dass ich in meinen Versen und Melodien meine Gedanken und Sehnsüchte, meine Freuden und Sorgen ausdrücken kann.“

So in „Reyzele“, der Sehnsucht nach seiner Liebe oder in „Avreml marvikher“, dem Überlebenskampf des Kleinganoven.

Es ist unvorstellbar, dass andere Künstler mit Gebirtigs Liedern ein Vermögen verdienten, er aber keinen einzigen Zloty geschweige denn einen Dollar erhielt.

Tobias Wollners Flügelspiel, seine jiddischen Übersetzungen und der Gesang seiner Schwester schufen eine extrem dichte Atmosphäre, die die Zuhörer mitnahm und die Sängerin manchmal emotional überwältigte. Insbesondere, als sie ein ukrainisches Lied spielte und von der Entdeckung berichtete, dass die Melodie auf Mordechai Gebirtig zurückging.

Am Ende erklang das wohl bekannteste Lied Gebirtigs „s’brent! briderlekh, s’brent! Oy, undzer arem shtetl nebekh brent!“ (Es brennt! Brüder, ach, es brennt! Oh, unser armes Städtchen, wehe, brennt!). Heute gesungen, berührt uns das Lied, in Gedanken bei den Menschen in der Ukraine, besonders. Und die letzte Strophe „Steht nicht, Brüder (und Schwestern), dumm herum nur mit verschränkten Händ‘, steht nicht Brüder (Schwestern), löscht das Feuer – unser Städtchen brennt.“

Es besteht die Möglichkeit, an den GCJZ Main-Taunus unter dem entsprechenden Verwendungszweck zu spenden, um den Menschen in der Ukraine zu helfen.

Günter Pabst dankte den Künstlern für die Hingabe, mit der sie den Liedern von Gebirtig Ausdruck verliehen und seine Wehmut, seine Traurigkeit, aber auch seine Fröhlichkeit, seine Zuversicht und seinen Witz fühlen ließen.

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