Schwalbach (sbw). Die Stadt Schwalbach und die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Main-Taunus-Kreis laden für Sonntag, 8. Mai, ein zu einer szenisch-musikalischen Lesung im Zeichen der Ukraine-Solidarität. Eine Veranstaltung im Festjahr „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ auch im Rahmen „Frankfurt liest ein Buch“, in dessen Mittelpunkt der Roman von Irmgard Keun „Nach Mitternacht“ steht.
Die szenisch-musikalische Lesung „Nach Mitternacht“ beleuchtet das vom Naziregime geprägte Leben der beiden Schriftstellerinnen Mascha Kaléko und Irmgard Keun.
Wenn das arg strapazierte Wort des „Fräulein-Wunders“ in der Literatur je einen Sinn gehabt hat, dann bei diesen beiden großen Autorinnen: Mascha Kaléko und Irmgard Keun. Beide zeichneten neben männlichen Kollegen wie Hans Fallada und Erich Kästner verantwortlich für einen völlig neuen Sound in der Literatur: leicht zu verstehen für jedermann und -frau, witzig, perlend wie Champagner, aber zugleich mit einem Röntgenblick, der tief blicken ließ in das Seelenleben des modernen Menschen. In die Literaturgeschichte ist diese Epoche eingegangen als Neue Sachlichkeit.
Man nannte sie die Großstadtlerche, und der zwischen Ironie und Melancholie schwebende Ton verzauberte nicht nur die Berliner, sondern viele Deutsche zu Beginn der 1930er-Jahre. Mascha Kaléko war die auflagenstärkste deutschsprachige Lyrikerin in jenen Jahren. Ihr jüngster Lyrik-Band wartete druckfrisch auf die Auslieferung, als Mascha Kaléko im September 1938 gemeinsam mit ihrem Mann und Sohn im buchstäblich allerletzten Moment in die USA emigrierte.
Irmgard Keun verleiht Stimme
Irmgard Keuns erster Roman „Gilgi, eine von uns“ machte sie über Nacht berühmt. Auch ihr zweiter Roman „Das kunstseidene Mädchen“ war ein Kassenschlager. Viel wichtiger aber: Irmgard Keun hatte den jungen Frauen, die sich während der sogenannten goldenen 20er-Jahre zu emanzipieren begannen, eine Stimme verliehen. Die hochfliegenden Träume von Ruhm und Geld des kunstseidenen Mädchens träumten wohl viele Frauen ihrer Generation. Zugleich erweist sich Keun in ihren Romanen als großartige Kennerin der männlichen Seele und ihrer Abgründe. Die Nazis verfemten ihre Romane als Asphalt-Literatur und verbrannten sie. Ihre Erfahrungen in Nazi-Deutschland hat sie unter anderem in dem Roman „Nach Mitternacht“ verarbeitet.
Im wirklichen Leben sind diese beiden Frauen wohl nie aufeinandergetroffen.
Heiner Bontrup hat für die szenische Lesung ein fiktives Szenario erfunden: Was wäre, wenn Keun und Kaléko einander doch kennengelernt hätten? Was hätten sie sich wohl zu sagen gehabt? Über die Liebe, über die Männer, über Berlin, über die aufkommende Nazi-Zeit, die Zeit im Exil? Antworten erhalten die Menschen aus ihren Gedichten und Romanen, Tagebuchaufzeichnungen und Briefen, die unter der Hand zu einem literarischen Hohlspiegel Deutschlands von den frühen 30er- bis hin zu den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts werden.
Die Musik – am Piano Henning Brand – fängt die Stimmung dieser Texte auf und entführt den Zuschauer auf eine Zeitreise. Nina Hoger schlüpft dabei in die Rolle der Irmgard Keun, während Margaux Kier als Diseuse und Sprecherin Mascha Kaléko vor unserem geistigen Auge entstehen lässt. Thorsten Krug als Erzähler stellt den geschichtlichen und gesellschaftlichen Zusammenhang her.
Die Veranstaltung findet am Sonntag, 8. Mai, um 18 Uhr im Großen Saal des Bürgerhauses in Schwalbach statt. Der Eintritt ist frei – eine Spende für die Ukraine ist erwünscht. Anmeldung per E-Mail an cjz.mtk[at]gmx[dot]de oder unter Telefon 06196-807978 oder auch am Einlass.
Die szenisch-musikalische Lesung „Nach Mitternacht“ beleuchtet das vom Naziregime geprägte Leben der beiden Schriftstellerinnen Mascha Kaléko und Irmgard Keun. Die Musik mit Henning Brand am Piano (Foto) und der Stimme von Margaux Kier (Gesang) nimmt die Stimmung dieser Texte auf. Foto: Marie Köhler
Margaux Kier stellt als Diseuse und Sprecherin Mascha Kaléko dar. Foto: Hanna Witte
Nina Hoger schlüpft in die Rolle der Irmgard Keun. Foto: Mario Erdmann