Kumulieren sorgt für Überraschungen

Von den Wählern von hinteren Listenplätzen nach vorn ins Stadtparlament kumuliert (v. l.): Hannah Listing (SPD), Laura Jungeblut (FDP) und Jonny Kumar (CDU). Foto: HB

Hans-Jürgen Biedermann

Steinbach. Der Wähler hat es den Parteien beim Kumulieren wieder mal gezeigt: Selbstbewusst, störrisch und unberechenbar häufte er Stimmen an und wirbelte die Kandidatenlisten durcheinander.

Auf diese Weise sind Hannah Listing für die SPD, Laura Jungeblut für die FDP und Jonny Kumar (CDU) von weit hinten auf Plenumsplätze gehievt worden. Die beiden Frauen freuen sich auf ihr parlamentarisches Debüt, während der Christdemokrat, Vorsitzender im Stadtverband, noch schwankt, ob er das Mandat annehmen soll, denn sein Schreibtisch steht derzeit im Berliner Bundestag.

Hannah Listing ist ein bekanntes Gesicht in der Stadt. Sie hat so manchen evangelischen Gottesdienst als Gesangsolistin bereichert, sowohl draußen im Wald als auch in der St.-Georgs-Kirche. Die 33-Jährige gehört zusammen mit ihrem Vater, Pfarrer Herbert Lüdtke, zur einheimischen Band „Carry on“. Ebenso Ehemann Benno, während der fünfjährige Sohn seinen musizierenden Eltern zuhört. Im kommenden Monat wird die Leiterin der Betreuung an der Oberurseler Grundschule am Urselbach zum ersten Male in den Reihen der SPD-Fraktion sitzen, wenn sich das neue Parlament im Bürgerhaus konstituiert. Die Sozialdemokraten hatten die studierte Sozialpädagogin auf Platz 18 nominiert, gelandet ist sie auf vier. Bei den Genossen heißt der zweite große Gewinner Maron Hofmann, der auf Platz 15 startete und auf Platz sieben durchs Ziel ging. Er ist studierter Gymnasiallehrer und Handballtrainer bei der TuS.

Die Stadtverordnete Listing kam mit der Lokalpolitik vor zwei Jahren in Kontakt, als in der Volksvertretung Politik gegen das Volk gemacht und die Kita-Gebühren angehoben wurden. Jetzt macht sie bei der SPD selbst Politik, ist aber kein Parteimitglied und will es auch nicht werden. Ihren Platz sieht sie im Sozialausschuss, denn ein gemeinsamer Treffpunkt sowohl für Familien als auch für Jugendliche ist ihr besonders wichtig.

Womöglich wird Laura Jungeblut mit der Kollegin Listing gemeinsam in diesem Ausschuss wirken, denn das Projekt Mehrgenerationentreff hat auch für die Lehramtsstudentin einen hohen Stellenwert. Die jüngste im Plenum streckte vor zwei Jahren die Fühler in der FDP aus, baute Vertrauen zu Lars Knobloch und Astrid Gemke auf und ließ sich vergangenen Herbst auf die Kandidatenliste setzen. Sie wurde von 18 auf Platz neun hoch gewählt, womit sie überhaupt nicht gerechnet hatte und schaffte damit bereits im ersten Anlauf den Sprung ins Stadtparlament. 2023 wird sie das Lehramtsstudium für die Grundschule abschließen und ihre zweijährige Referendarzeit beginnen.

Am Wahlabend schaute Jonny Kumar (30) im Rathaus vorbei. Er verschwendete keinen Gedanken an einen Parlamentssitz, den er 2018 aufgegeben hatte, weil der Job als Referent des Bundestagsabgeordneten Markus Koob zu viel Zeit in der Ferne beansprucht. Er trat auf Platz 27 an, um seine Partei zu unterstützen und nicht primär, um gewählt zu werden. Seinen Aufstieg bis auf Rang sechs empfindet er als „große Ehre“, ob er jedoch das Mandat annimmt, hängt auch vom Verlauf der Gespräche ab, bei denen die Schnittmengen für eine Koalition ausgelotet werden. Mittlerweile haben alle Parteien die Wahl analysiert und festgestellt: Am meisten profitierte die FDP vom Panaschieren und Kumulieren. Nach dem Trendergebnis noch auf Platz drei legte sie gut fünf Punkte zu und holte sich mit 29,84 Prozent den Wahlsieg. Auch bei den Briefwählern hatten die Liberalen die Nase vorn. Im Wahlbezirk 3 erzielte die Partei mit 35,9 Prozent ihr bestes Einzelergebnis. Die SPD war im Bezirk 2 mit 35,58 Prozent noch etwas stärker. Die CDU erreichte ihr Spitzenresultat mit 25 Prozent in der Scholl-Schule im Bezirk 6. Die Grünen freuten sich über 21,45 Prozent im Wahlbezirk 5 in der Hill-Halle.

In dieser Woche reiht sich eine Sondierungsrunde an die andere. Die FDP spricht mit allen Parteien und wird am kommenden Samstag entscheiden, mit wem sie Koalitionsverhandlungen aufnimmt. Das Bündnis mit der SPD wird mit hoher Wahrscheinlichkeit fortgesetzt, Lars Knobloch Erster Stadrat bleiben und die SPD den Parlamentsvorsteher stellen, Jürgen Galinski gilt als Anwärter. Die FDP hat das ehrgeizige Ziel, den Koalitionsvertrag vor der konstituierenden Sitzung des Stadtparlaments am 19. April zu unterschreiben.

Die Rangliste der Kandidaten mit den meisten Stimmen führt Lars Knobloch mit 3552 Stimmen an. Es folgen Moritz Kletzka (SPD) mit 2699 und damit 26 Stimmen vor Ex-Bürgermeister Stefan Naas (FDP). Auf Platz vier liegt Gabriele Grabiger (Grüne) mit 2319 Stimmen.



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