„Meister ist wertvoller als Master“

Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger (links) und der Spitzenkandidat der Landes-FDP, Dr. Stefan Naas (rechts) sind Ehrengäste beim Neujahrsempfang der FDP Steinbach. Naas wünscht sich für Hessens Zukunft „Mut und Zusammenhalt“. Foto: js

Von Jürgen Streicher

Steinbach. Auf der digitalen Leinwand und dem Flachbildschirm dominierten sanfte Pastelltöne in Gelb, Hellblau und zartem Violett, die Festreden waren hingegen auch mit markigen Tönen angereichert. Mit etwa 150 Gästen, darunter Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger als Ehrengast, zelebrierte die örtliche FDP am Sonntag im Bürgerhaus ihren traditionellen Neujahrsempfang. Der politische Jahresauftakt sollte den Blick über Steinbach hinaus nach Wiesbaden und Berlin lenken. Auch die Oberurseler FDP-Bundestagsabgeordnete Katja Adler zählte zu den Gästen.

Die Stadtgesellschaft sitzt wieder zusammen, zumindest ein Teil davon. Dicht an dicht gedrängt in den Clubräumen des Bürgerhauses, erstmals wieder nach langer Coronapause. Eng beisammen, so wie es sich Redner auch im politischen Handeln wünschen. Alle Plätze sind belegt, auch Gäste aus der Nachbarschaft sind da und ein paar Vertreter anderer Parteien wie Stadtverordnetenvorsteher Jürgen Galinski (SPD) mit frisch angetrauter Gattin und sein Parteifreund Reinhard Wicher, ein alter „Frontkämpfer“, wie er sich selbst nennt. Aus Bad Homburg sind die FDP-Vorkämpfer Tim Hordorff und Philipp Herbold gekommen, Bürgermeister Steffen Bonk ist dabei, sitzt ganz vorne mit der Bundesministerin und Hoffnungsträger Stefan Naas. Warum nicht der Saal als Empfangsort gewählt wurde, fragten sich einige Besucher, nicht alle fanden oben einen Sitzplatz, beim anschließenden kleinen Büfett war es schon ein bisschen eng.

An Selbstbewusstsein mangelt es der Steinbacher FDP nicht. Ihr Traumergebnis von 2016 (39 Prozent) konnte sie bei der Kommunalwahl vor zwei Jahren zwar nicht wiederholen, mit 29,8 Prozent erreichte sie aber immer noch die meisten Wähler im Ort und stellt mit neun Sitzen die stärkste Fraktion im Stadtparlament. Natürlich ist sie stolz auf ihren Frontmann Stefan Naas, den Ex-Bürgermeister, der jetzt bereit ist, als Spitzenkandidat der Landes-FDP bei den Landtagswahlen am 8. Oktober anzutreten. „Stefan, du hast Steinbach verändert, jetzt schickst du dich an, Hessen zu verändern.“ Mit diesen Worten begrüßte ihn der FDP-Ortsvorsitzende und Erste Stadtrat Lars Knobloch. Und Naas, ein Sohn der Stadt, startete mit einem Bekenntnis zu seiner Heimat, auch wenn es ihn hinauszieht in eine andere politische Welt. „Ich wohne hier, ich bleibe hier, es gibt keinen schöneren Ort“, sagte der promovierte Jurist und bekam dafür viel Applaus. Kurz nach der Wahl im Herbst feiert er seinen 50. Geburtstag. Ob er dies als Minister tun will, ließ er am Sonntag offen. Auf jeden Fall nicht als Stadtverordneter in Steinbach. Dieses Mandat hat Stefan Naas jetzt zurückgegeben, um sich ganz auf den Landtagswahlkampf zu konzentrieren.

Der Landesvorstand hat Naas bereits im Sommer für die Führungsrolle nominiert, beim Landesparteitag im Dezember wurde er mit großer Mehrheit als Spitzenkandidat gewählt. Wohin die politische Reise gehen soll, hat Naas schon damals formuliert. „Hessen geht’s nicht gut“, so einen Satz spricht Naas mit leiser, fast leidender Stimme. Lauter wird er bei seinen Zielen, die unter der Prämisse stehen sollen, der „Wirtschaft und Infrastruktur in Hessen wieder den Stellenwert zu geben, den sie verdient haben“. Durch eine klare marktwirtschaftliche Ausrichtung, bei der vor allem der Mittelstand verstärkt im Fokus stehen soll. Denn, so Naas, „der Titel Meister ist wertvoller als Master“. Zuvor hat er aufgezählt, dass in Hessen zuletzt nur 350 Dachdecker, 220 Maurer und 107 Bäcker Abschlüsse gemacht hätten, gleichzeitig aber 900 Juristen und 4500 BWLer. Man müsse sich das vorstellen, „45 BWLer auf einen Bäcker“. Und nur noch insgesamt drei Berufsschulen für angehende Gerüstbauer.

Damit es Hessen wieder gut geht, wirbt Stefan Naas unter den Liberalen und ihren Anhängern für die Philosophie des „Anpackens“. Darum gelte es, den Mittelstand zu stärken, den Fachkräftemangel zu beseitigen, eine „Fachkräfte-Offensive zu starten“. Wer gar nicht zu seinen Freunden in Wiesbaden gehört, auch daran ließ Stefan Naas, der schon mit 19 Jahren durch schwungvolle Reden im Stadtparlament auf sich aufmerksam machte, keinen Zweifel. Die Bilanz des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, Tarek Al-Wazir, liest sich für Naas so schlecht, dass dessen Abwahl einzige Alternative sei, wenn das Land wieder „mit Mut und Zusammenhalt in die Zukunft“ gehen will. Die FDP sei die „klare Option für eine neue Mitte“, im Überschwang sprach er zum Abschluss seiner 25-minütigen Rede gar davon, dass die FDP „die radikale Mitte“ sei.

Der Neujahrsempfang ist traditionell auch der Zeitpunkt, da in der Lokalpolitik Landes-, Bundes- und Weltpolitik aufgegriffen werden. Das taten Lars Knobloch, die aus dem benachbarten Bad Soden angereiste Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger und Stefan Naas gleichermaßen. Knobloch vergaß die Lokalpolitik nicht und attestierte Steinbach eine „positive Entwicklung mit hoher Dynamik“ in den vergangenen Jahren. Alle im Raum versuchte er auf weiteres gesellschaftliches Engagement einzuschwören, dies sei der „Nährboden der Demokratie“. Diese Demokratie sei „nie selbstverständlich, dafür muss man was tun“. Knobloch, Stark-Watzinger und Naas brachten in ihren Exkursen zur Demokratie alle auf ihre Art die Forderung nach einem Wandel in den Köpfen zum Ausdruck. Gebraucht würden „Macher statt Blockierer“ (Stark-Watzinger), „Wachsamkeit ist das Gebot der Stunde“ (Knobloch), die Gesellschaft müsse „mit Zusammenhalt und Mut in die Zukunft gehen“ und Demokratiefeinden „einen Rechtsstaat mit allen Mitteln“ (Naas) entgegensetzen.



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