Der schöne Schein und das wirkliche Leben

Schockiertes Starren und betretene Blicke auf den Boden beobachten die Zuschauer häufig an diesem Abend: „Dinge, die ich sicher weiß“ punktet mit großartigen Schauspielern, klugen Dialogen und purer Ehrlichkeit gegenüber den Problemen des Lebens. Foto: jbr

Steinbach (jbr). Wahrlich – es ist nicht alles, wie es scheint und schon gar nicht ist alles perfekt. Auch wenn es in der Familie rund um die Eltern von vier größtenteils erwachsener Kinder zu Beginn des Stücks „Dinge, die ich sicher weiß“ beinahe so schien.

Als Rosie (Roxana Safarabadi), die jüngste Tochter des Paares, unerwartet früh von ihrem Weltenbummel zurück ins heimatliche Aus-tralien kam, war sofort die ganze Familie zur Stelle: „Was ist los?“, fragten zuerst ihre Eltern, bevor die Frage eindringlich durch die nach und nach eintreffenden Geschwister Pip (Nina Petri), Mark (Rune Jürgensen) und Ben (Maximilian von Mühlen) wiederholt wurde. So müsste doch eine perfekte Familie aussehen, oder? Alle sind fürsorglich zur Stelle und kümmern sich umeinander. So wie Mutter Fran (Maria Hartmann) und Vater Bob (Christoph Tomanek), die ihrer ältesten Tochter mit den Enkelkindern helfen und sogar die Hemden ihres geliebten Sohnes bügeln…

Doch wesentlich andere Eindrücke erfuhren die Zuschauer im Steinbacher Theater in der dynamischen Entwicklung des Stücks von Andrew Bovell. Denn Fran, welche als berufstätige Frau vier Kinder großzog und einen Haushalt noch nebenbei schmiss, zeigte generell kein Verständnis für Befindlichkeiten oder Querschläger auf der Suche nach dem eigenen bisschen Glück – schon gar nicht innerhalb der Familie. Als Pip die Trennung von ihrem Ehemann verkündete, brach ihre Mutter in Wut aus, wurde ausfällig und beschimpfte ihre Tochter harsch. Schauspielerin Maria Hartmann glänzte in der Rolle der Matriarchin, deren Kinder ihr nichts zu verheimlichen vermochten und die darauf beharrte, alle Fäden in der Hand zu halten. Wenn Fran mit ihren Kindern in Streit geriet, trat ihr Mann Bob stets als Schlichter auf – ruhig und vertrauenserweckend.

„Ich will ausziehen“, meinte Rosie in die Stille zwischen den Stürmen familiärer Konflikte hinein. Und dann war da noch Marc, dessen tragische Figur, die auch eine Form des eigenen Glücks zu finden versuchte, es jedoch noch viel schwerer haben würde als die Geschwister. Rune Jensen verkörperte ihn äußerst glaubhaft, als er mit den Worten „Ich muss euch etwas sagen“ den Garten hinter dem Haus der Familie betrat. „Nichts könnte uns schockieren. Außer du willst uns sagen, du willst eine Frau werden“, scherzte Bob herzhaft lachend. „So war das nicht geplant“, entgegnete Marc erblassend und auch im Publikum erstickte eine anfängliche Belustigung in der Erkenntnis, was sich dort vorn auf der Bühne gleich abspielen würde. „Ich wollte diese Unterhaltung nie führen“. „Steht bei mir auch nicht ganz oben auf der Liste“, stöhnte Fran, die ihren Sohn zwar für schwul gehalten, aber mit einer Geschlechtsumwandlung des Sohnes nicht gerechnet hatte. Kein Verständnis, nur ein tief sitzender Schock stand den Eltern ins Gesicht geschrieben. „Werde der Mensch, der du sein willst! Aber nicht in meinem Haus“, beschloss die Matriarchin kalt und wendete sich ab.

Nach der Pause erfuhr die Szenerie einen Aufschwung. Nachdem einer Unterredung, in welcher Bob gestand, dass er sich nur Hecken im Garten schneidend sinnlos vorkäme, während seine Frau arbeite, tanzte das Ehepaar beschwingt und bot den Anblick eines frisch verliebten Paares. „Weißt du was? Wir gehen jetzt nach Hause und treiben es so richtig“, beschloss Fran in einem Anflug von Romantik. Zuhause jedoch wartete der jüngere Sohn, Ben. Der großspurige Geschäftsmann wirkte Maximilian von Mühlen wie auf den Leib geschneidert. „Ich brauche euch. Ich habe verdammt nochmal Scheiße gebaut“, klagte er aufgelöst. Nun fuhr – wenn auch nur einmal – Bob so richtig aus der Haut. Man hätte es wohl nicht erwartet, jedoch drohte er seinen eigenen Sohn vor Wut und Frust über all das Unglück, das ihm und seiner Frau die Kinder bereitet hatten, zusammenzuschlagen. Mit diesem kontrastierenden Verhalten überraschte auch Christoph Tomanek das Publikum völlig und ließ sich diese ganz andere Wesensseite mit Leichtigkeit abnehmen.

Die Kinder hatten mehr oder weniger im Streit das Elternhaus endgültig verlassen, um ihr Glück an einem anderen Ort zu finden, während ihre Mutter ihr Glück zurückgestellt hatte. Fran hatte stattdessen funktioniert und vermutlich geglaubt, sie könne von ihren Kindern gleiches erwarten: „Ich dachte immer, sie würden wie wir – nur besser!“

Und dann, nachdem es bereits ein bewegender Abend voller Emotion und schauspielerischen Glanzleistungen gewesen war, sollte der Höhepunkt in einem abschließenden Schock für alle im Saal das Ende des Stücks bilden: „Nicht sie!“– am Telefon (den Blick richteten Bob und die Kinder zum Publikum) erfuhren die Zuschauer, dass die Matriarchin, die Mutter, die Ehefrau mit dem Auto von der Straße abgekommen und im Krankenhaus, ihren Verletzungen erlegen war. „Bitte lieber Gott, nicht sie!“, riefen die Kinder mit dem Schließen des Vorhangs im Chor.



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