Trotz Verlusten die Mehrheit bewahrt

Das Warten auf die Resultate hat sich für sie gelohnt (v.l.): Stadtverordneter Christian Breitsprecher und Ortsverbands-Vorsitzender Jonny Kumar (beide CDU) mit der Grünen-Fraktionspitze Sabine Schwarz-Odewald und Robin Müller-Bady. Foto: HB

Hans-Jürgen Biedermann

Steinbach. Alea iacta est, die Würfel sind gefallen. Es war ein Wahltag der besonderen Art: Nicht nur einer mit überraschenden Ergebnissen und Erlebnissen, sondern auch einer der wenigen, die unter Corona-Auflagen stattgefunden haben.

Bei der Wahl zum Stadtparlament hat die Koalition aus FDP und SPD Stimmen verloren, besitzt aber mit 17 von 31 Sitzen weiterhin die absolute Mehrheit. Die CDU ist im Gemeindeparlament mit acht Sitzen, also plus zwei, vertreten. Die Grünen verbesserten sich von vier auf sechs Sitze. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 52 Prozent und damit um zwei Punkte höher als bei der Wahl 2016. Die Sondierungsgespräche über mögliche Bündnisse sollen noch in dieser Woche beginnen.

Die FDP erreichte mit 29,84 Prozent ihr zweitbestes Wahlergebnis in der Stadt überhaupt. Niemand hatte damit gerechnet, dass sich die Freidemokraten ihrem historisch einmaligen Ergebnis von 2016 (39,03 Prozent) auch nur annähern würden. Doch das Ziel, stärkste Fraktion zu bleiben, haben die Liberalen erreicht, wenngleich die Zahl der Mandate von 12 auf neun zurückgegangen ist. Spitzenkandidat Lars Knobloch zeigte sich mit dem Ergebnis „überaus zufrieden.“ Erster Ansprechpartner sei nunmehr die SPD, mit der man erfolgreich zusammengearbeitet habe.

Die SPD ist mit 26,79 Prozent zweitstärkste Fraktion geblieben, muss aber einen ihrer neun Sitze abgeben. Vor fünf Jahren lag der Stimmenanteil der Sozialdemokraten bei 27,44 Prozent. „Wir freuen uns über das beste Ergebnis der SPD im Hochtaunuskreis,“ sagte Listenführer Moritz Kletzka. Er möchte die Koalition mit den Freidemokraten gerne fortsetzen, schließt aber auch ein Zusammengehen mit der CDU nicht grundsätzlich aus.

Die CDU hatte ein Ergebnis von „30 plus“ vorhergesagt, ist aber tatsächlich bei 25,97 Prozent hängengeblieben. Doch im Vergleich zu dem Wahldebakel von 2016, als sie weniger als 20 Prozent der Stimmen erhielt, hat die Union gut sechs Prozent zugelegt. „Wir können damit leben,“ kommentierte Spitzenkandidat Holger Heil das Ergebnis und zeigte sich für künftige Bündnisse nach „allen Seiten offen.“

Die Grünen haben ihre vierköpfige Mannschaft auf sechs aufgestockt und ihren Stimmenanteil von 13,79 auf 17,40 Prozent gesteigert. Sabine Schwarz-Odewald möchte Fraktionsvorsitzende bleiben. Und freut sich, dass die parlamentarische Arbeit nunmehr gleichmäßiger verteilt werden kann.

Die meisten Einzelstimmen hat erwartungsgemäß Lars Knobloch erhalten. Moritz Kletzka landete auf Platz zwei vor Altbürgermeister Stefan Naas.

Ein Wahltag der besonderen Art

Auch die Wahl hatte ihre Rushhour. Gegen 13 Uhr schien es so, als wäre ganz Steinbach auf den Beinen und wollte auf den letzten Drücker votieren. Dabei waren es noch fünf Stunden, bevor die Kabinen abgeräumt und die Tonnen mit den Stimmzetteln auf zusammengeschobenen Tischen geleert wurden. Wahlvorstand Robin Müller-Bady, der für die Grünen auch im nächsten Parlament sitzen wird, sah eine Schlange, die vom Saal über die Treppe bis ins Foyer reichte. Die Helfer berichteten in der Wahl-Hochburg, der Steinbacher „gudd Stubb“, von permanentem Betrieb, überall gab es etwas zu regeln und war Aufmerksamkeit von Nöten. Langweile kam bei diesem Urnengang offenbar nicht auf. „Wir hatten gut zu tun,“ lautete der Tenor.

Dieses Wahlsystem mit Panaschieren und Kumulieren, zudem noch der Möglichkeit, Kandidaten aus den Listen zu streichen, kostet Zeit. Etwa 35 Prozent der gut 7400 Wahlberechtigten bevorzugten deshalb die Briefwahl, breiteten die unförmigen Bögen Zuhause aus und ließen sich für die Kreuzchen, vielleicht sogar bei einem gemütlichen Schoppen, alle Zeit der Welt. Doch auch in den Wahlkabinen wurde gegrübelt und reichlich Bedenkzeit ausbedungen. Bisweilen verbrachten Wähler bis zu 20 Minuten hinter den Sichtblenden. Gelegentlich wurde um Rat gefragt, etwa nach der Zahl der Stimmen (31) oder der maximalen Stimmabgabe pro Kandidat (3).

Damit hatten die knapp 70 freiwilligen Helfer gerechnet, doch für Verblüffung sorgte ein Mann im Bezirk 3, der allen Ernstes die Frage stellte, wen er denn wählen solle. Adressat war der FDP-Kandidat Dominik Weigand, der sich achtbar aus der Affäre zog und den ratlosen Wähler über die Parteienlandschaft in der Stadt aufklärte, auch erwähnte, in der abgelaufenen Legislaturperiode hätten FDP und SPD koaliert.

Es war die erste Corona-Wahl und beinahe alle befolgten die Regularien. Masken wurden nur ganz vereinzelt vergessen und aus dem Fundus des jeweiligen Wahlbezirks ersetzt. Ein- und Ausgänge wurden separiert und damit Gedränge vermieden. Perfekt gelang dies in der Mensa der Geschwister-Scholl-Schule, im Bezirk 6, zu dem diesmal auch die Wählerschaft aus dem Wingertsgrund gehörte, deren traditionelles Wahllokal in der Wohnanlage Birkenweg nicht Corona-kompatibel war.

In die Schule hatte Wahlleiter Patrik Hafen- eger zwei Studenten als Wahlhelfer eingeteilt, Marie Christine Roth (19) und Tim Wenzel (24) waren zum ersten Male dabei und beantworteten gerne Fragen aus der Wahlkabine. Auch im Bürgerhaus sah man hinter Urnen und vor Wählerverzeichnissen junge Gesichter, für die ehrenamtliches Engagement offenkundig selbstverständlich ist.

In den Wahlbezirken hatte die Auszählung gerade begonnen, da zogen Wahlleiter Patrik Hafeneger und Hauptamtschef Sebastian Köhler die Handys aus der Tasche und nahmen die Ergebnisse entgegen. Um 18.40 Uhr wurde das erste Ergebnis aus dem Wahlbezirk 1 notiert. Bald darauf traf Ex-Bürgermeister und Freidemokrat Stefan Naas in der Kommunikationszentrale ein, auf dem Weg zum Kreistag, in den er ebenso gewählt wurde wie ins Steinbacher Stadtparlament. 25 Prozent plus, so seine Einschätzung, sei ein gutes Wahlergebnis für die Liberalen.

Bürgermeister Steffen Bonk (CDU) erkannte zu dieser frühen Stunde auf dem Display seines Mobiltelefons drei nahezu gleich große Säulen und sprach von einem „Kopf an Kopf Rennen“. CDU-Stadtverbandsvorsitzender Jonny Kumar, der sich um kein Mandat beworben hat, wollte angesichts der schmalen Datenbasis zu diesem Zeitpunkt keine Bewertung abgeben. Von hektischem Getriebe konnte im ersten Stock des Rathauses wirklich keine Rede sein, die Spitzenkandidaten Lars Knobloch (FDP) und Moritz Kletzka (SPD) informierten sich zu Hause.

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