Am Waldsterben kommt keiner vorbei

Ein Gottesdienst mit Picknickflair und …

Steinbach (HB). Sie saßen auf Klapp- und Campingstühlen, sie reihten sich auf Baumstämmen, und einige hockten wie beim Picknick auf Decken. Es gab Wasser und keinen Wein. Der Laubwald hinter den Tennisplätzen des TC Steinbach war zum ersten Mal Kulisse für einen Gottesdienst der evangelischen St.-Georgsgemeinde. Die rund 70 Besucher werden sich gefragt haben, warum an einem solchen Ort erst zu Pandemiezeiten das „Vater unser“ gebetet wurde. „Wir sollten das wieder tun,“ wünschte sich Pfarrer Herbert Lüdtke.

Aber eine Waldkirche schüttelt man nicht aus dem Ärmel. Ein Dutzend Helfer war in die tagelange Planung mit Abstandswahrung und Adressenlisten eingebunden. Acht Musiker haben alleine für diesen Gottesdienst 20 Stücke eingeübt. Man schaffte ein Klavier herbei, machte aus einen Tisch mit grünem Tuch, Bibel und Blumenschmuck einen Altar, platzierte davor ein mit bunten Steinen drapiertes Kreuz – dem Erkennungszeichender der Videoreihe „Gott in Steinbach“, die seit April im Netz abrufbar ist und am vergangenen Sonntag im Steinbacher Wald wohl ihren Höhepunkt erreichte.

„Musik ist Verkündung“, sagte der Pfarrer, und so eröffnete denn auch ein Klaviersolo der musikalischen Leiterin Ellen Breitsprecher die Gottesdienstpremiere unter Bäumen. „Hierher hat euch Gott gebracht,“ begann Herbert Lüdtke – salopp in schwarzen Jeans und weißem Hemd – seine Andacht in Anspielung an die Waldstraßenbaustelle, die den Weg zu Gott verlängerte. Wer seiner Empfehlung folgte und die Augen schloss, um dem Wald zu lauschen, der hörte das Flüstern der Blätter, aber in der windstillen Hitze keine einzige Vogelstimme. Der Wald sollte zum „spirituellen Ort“ werden, „wo man Gott findet“, sprach Lüdtke. An diesen Ort kommen die Kinder aus der Phormsschule und spielen im Sand.

Eine Idylle ist dieser Wald längst nicht mehr. Der Pfarrer erinnerte an die ersten Horrormeldungen über das Waldsterben in den 80er-Jahren. Damals beschloss er, nicht schneller als Tempo 100 zu fahren, und klebte die Zahl an sein Auto. Heutzutage knirscht es noch bedrohlicher unter der Rinde. Jetzt gehen der Mensch und die Trockenheit an die Wurzel. „Der Planet stirbt mit dem Wald“, sagte der Pfarrer und meinte nicht nur die Brandrodung im brasilianischen Regenwald, sondern auch die lichten Kronen über den Köpfen. „So kann es nicht weitergehen.“

„Gott ist überall, obwohl es manchmal nicht so scheint“, sangen die drei Solistinnen zum Trost. Weiter hinten in der Waldkulisse spielten vier Musiker Cello und Bass. Der Pfarrer pendelte zwischen Rednerpult und Klavier, der Kameramann bewegte sich in Zeitlupe vor den Protagonisten. Dem einstündigen Gottesdienst schloss sich ein Wunschkonzert mit den beliebtesten Stücken aus den Videogottesdiensten an. Rod Stewarts „Sailing“ und John Lennons „Imagine“ waren dabei. Und auch Pfarrer Lüdtkes Eigenkomposition „Wieder frei“, die er zu Hochzeiten des Lockdowns als Botschaft der Hoffnung geschrieben hatte, wurde intoniert. Soweit ist es, wie wir wissen, noch nicht.

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