Zwischen Mappesmühle und Madeira

Auf den Spuren der Hugenotten ist die Dianahöhe bei Darmstadt Rastplatz der TuS-Wandergruppe. Im Vordergrund Inge Rügheimer und Birgit Schmitz (v. l.), dahinter Uschi Burkatzki und Helga Kaddatz (v. l.). Fotos: TuS-Wandergruppe

Von Hans-Jürgen Biedermann

Steinbach. Dieser Tage stecken Elke Heinze und Sabine Marschner die Köpfe zusammen und beratschlagen über den Tourenkalender 2021. Die Leiterin der Wanderabteilung der TuS und ihre rechte Hand hoffen auf Coronas Milde, denn wegen der Pandemie wurde das Programm in diesem Jahr schon von zwölf auf sieben Termine abgespeckt. Das muss sich nicht wiederholen. Die Steinbacher Wanderschar, seit 2006 auf den Beinen, hat die hessische Landkarte weitgehend abgegrast, aber die Ziele gehen ihr bestimmt nicht aus.

Die Wandervögel sind quicklebendig. Nach einer zweimonatigen Zwangspause waren beim Neustart im Juni besonders viele zum Bad Homburger Hirschgarten unterwegs. Willkommen sind auch Nichtmiglieder, und Jochem Entzeroth sorgt mit seinen Erlebnisberichten dafür, dass auch alle übrigen Steinbacher im Bilde sind. Der Chronist ist zwar nicht mehr Abteilungsleiter, aber er wird weiterhin schreiben – mit viel Liebe zum Detail.

An einem heißen Sommertag stieg die Gruppe die 100 Stufen in Weilrod empor. Auf dem Aussichtsturm genoss sie den unendlich weiten Blick über die Taunushöhen, und im Angesicht der eingerüsteten Landstein-Kirche erzählte Entzeroth die wundersame Geschichte von der verschollenen „Susanne“. Die Glocke stürzte einer Sage zufolge im Dreißigjährigen Krieg aus dem Turm der früheren Wallfahrtskirche ab und wurde unter Geröll und Erdreich begraben, ehe eine Meute Schweine ihre Rüssel so tief in den Boden steckte, bis der Metallrand der Glocke im Sonnenlicht aufblitzte. Sie wurde ausgegraben und nach Oberursel verkauft.

Die Tour durch das Weiltal endete in der Mappesmühle, im Jargon der Vortaunusler das „Einkehrschwunglokal“, in dem sich die beiden Leistungsklassen vereinigen. Bis zu 25 Mitglieder gehören zu den „Fitten“ – das sind die Konditionswunder, die den 360 Kilometer langen Rheinsteig auf voller Länge bewältigt haben. Beim Einlaufen von Biebrich nach Schlangenbad, daran erinnert sich Entzeroth noch ganz genau, wurde mit 54 Teilnehmern ein Rekord aufgestellt. Die „Freudigen“ bilden die zweite Kategorie, die mit einer Tagesstrecke von zehn Kilometern zufrieden sind

Spaziergang oder Wanderung?

Die logistische Vorbereitung ist beachtlich und wird von Elke Heinze durch Vorwandern zur allgemeinen Zufriedenheit erledigt. Für das kommende Jahr hat die Abteilungsleiterin bereits Ziele ausgemacht, will im Spessart und in der Wetterau unterwegs sein und den Wispertrail ins Programm aufnehmen. Die Vorsitzende ist dem Sportverein seit der ersten Turnstunde in Kindergartenzeiten verbunden. Sie gehörte zu den 14 Gründungsmitgliedern der Abteilung und hat sich eine Menge goldener Nadeln erwandert. Die Pokale für die Teilnahme an allen zwölf Touren gingen 2019 an Sabine und Klaus Marschner sowie an Sandro Rossettani.

Der frühere Bundespräsident Carl Carstens war ein begeisterter Wanderer. Er suchte in Wald und Flur das Gespräch mit Gleichgesinnten. Der Deutsche Wanderverband ist davon überzeugt, dass diese Bewegungsart das „mentale und physische Wohlbefinden fördert.“ Nach der Definition des Verbands muss eine Wanderung länger als eine Stunde dauern, ansonsten ist es ein Spaziergang. Entzeroth, von Haus aus Turner, wurde am 8. Dezember 2005 zum ersten Abteilungsleiter gewählt Mittlerweile stehen 150 Namen auf der Mitgliederliste. Entzeroth ist gleichsam die Ikone der Wanderfreunde, die nicht alleine mehr als 150 Mal auf Tour gegangen, sondern auch geprüfter Wanderführer ist. In einem 120-Stunden-Kurs hat er gelernt, Wolkenbilder und Karten zu lesen. Mit bald 80 Jahren legte er im Januar das Spitzenamt in jüngere Hände, doch er wird weiter mitwandern.

In diesem kurzen Wanderjahr wurde der Hugenotten gedacht, die auf der Flucht vor den katholischen Häschern ihre französische Heimat verließen und in der Person des hessen-homburgischen Landgrafen Friedrich II. auf einen Menschenfreund trafen, von dem das Bekenntnis stammen soll, er wolle „lieber sein Silbergerät verkaufen als diesen armen Leute die Aufnahme zu versagen.“ In Entzeroths Wanderbericht wird in diesem Zusammenhang an Angela Merkels „Wir schaffen das“ aus dem Jahr 2015 erinnert. Das haben die heimischen Wanderer auf dem einstigen Fluchtweg von Darmtadt nach Neu-Isenburg erfahren. Auflüge führten auch in die Rhön und in das Saarland. Am Berger Hang wurde nach Quellen gesucht, und im Odenwald drehte sich alles rund um Erbach.

Es muss nicht der Mont Ventoux sein

Zum Saisonfinale sollten der Rucksack gepackt, die Wanderstiefel geschnürt und die Windjacke übergezogen werden, um von „Dom zu Dom“, von Eschhofen nach Limburg, zu wandern. Doch Corona hat dazwischengefunkt.

Keine Frage, die aktiven 45 Mitglieder der Abteilung verstehen sich auch abseits der Wanderwege. Sonst wären sie nicht zu einwöchigen Urlaubsreisen nach Mallorca und Madeira sowie in die Türkei aufgebrochen. So hoch hinaus wie Francesco Petrarca im Jahr 1336 wollten sie aber nicht hinaus. Der Urahn der Wanderer, für den ihn Historiker halten, erklomm im Mittelalter den 1900 Meter hohen Mont Ventoux, den „provencalischen Riesen“, der als Etappenziel bei der Tour de France ein Begriff ist.

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