Ausflug in ein Russland längst vergangener Zeiten

Die „Macher“ des Poesie- und Literaturfestivals Bernd Hoffmann (l.) und Hermjo Klein haben Marie Bäumer in die Mitte genommen. Foto: bmi

Bad Homburg (bmi). Es ist nicht die „Dame mit dem Hündchen“, die den Zuhörern an diesem Abend zuerst begegnet, sondern eine rätselhafte Schönheit, die mit dem verzweifelten Anwalt, der in ihr eine verflossene Liebe zu erkennen meint, ein Spiel der weiblichen Rache treibt. Mit „Für mich oder eine andere“ von Waleri Brjussow las Marie Bäumer eine spannungsreiche russische Liebesgeschichte im Rahmen des Poesie- und Literaturfestivals. Einfühlsam trug Bäumer die wechselnde Stimmung der Geschichte vor, verkörperte mit Empathie die Dame, von der bis zum Schluss nicht zu erkennen war, ob sie nur „eine andere“ war, die ihre verlassene Geschlechtsgenossin rächt, oder eben doch sie selbst, die damals so schmählich Verlassene. Zu dieser russischen Liebesgeschichte ergänzend entführte Anne-Sophie Bertrand, die die erste Harfe im HR-Sinfonieorchester spielt, mit ihrem Instrument und einem Walzer von Dmitri Schostakowitsch in russische Weiten und Welten. So entstand quasi über die Ohren vor den inneren Augen der Zuhörer ein Gesellschaftsgemälde Russlands aus vergangenen Zeiten.

Auch in dem zweiten Text, Anton Tschechows „Die Dame mit dem Hündchen“, entspann sich eine Liebesgeschichte mit unerwarteten Wendungen. Der Schürzenjäger verliebt sich unerwartet in eine verheiratete blutjunge Dame, deren Unschuld ihn viel mehr fesselt als geahnt. Er, der sonst von einer zur anderen flatterte, verzehrt sich nun nach ihr, reist ihr hinterher, und es entspinnt sich eine jahrelange Liaison, in deren Verlauf er plötzlich feststellen muss, wie sehr er gealtert ist. Marie Bäumer verlieh auch dieser zunächst eher fragwürdigen Figur viel Glaubwürdigkeit und vermochte allein durch den gekonnten Einsatz ihrer Stimme, die Zuhörer zu fesseln und in die Geschichte mit hineinzunehmen.

Auch hier untermalten und ergänzten die Vorträge Anne-Sophie Bertrands, die mit Leidenschaft und großer Fingerfertigkeit auch Werke von Tschaikowsky und Debussy zu Gehör brachte, die Inszenierung wunderbar. Ein Übriges tat der „intime“ Rahmen der Veranstaltung in der Villa Wertheimber, der es den Zuhörern erleichterte, sich in ein Russland längst vergangener Zeiten, erfüllt von großen Gefühlen und Liebesgeschichten, versetzt zu fühlen. Im Anschluss an die Lesung gab Marie Bäumer zahlreichen Besuchern Autogramme und signierte geduldig die Bücher und Kalender, die Martina Bollinger, Inhaberin der Buchhandlung gleichen Namens, mitgebracht hatte. So klang ein vom künstlerischen Leiter Bernd Hoffman moderierter Abend mit einem weiteren Höhepunkt aus. Die Schauspielerin ist vielen insbesondere durch ihre Rolle als Romy Schneider in dem Film „3 Tage in Quiberon“ bekannt, für den sie den Deutschen Filmpreis 2018/2019 erhielt.



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