„Befreit“ – Kunst sprengt Ketten im Kopf

Die Schüler der Mittel- und Oberstufe des Kaiserin-Friedrich-Gymnasiums Bad Homburg gewinnen mit ihrer großen Installation „Der Griff nach Freiheit“ einen ersten Preis der Schulkunstpreise, die in der Galerie Artlantis verliehen werden. Foto: a.ber

Von Astrid Bergner

Bad Homburg. Kahlgeschoren sind die Köpfe der Frauen. Ihre Blicke gen Himmel gerichtet, nach unten oder zur Seite, Blickkontakt vermeidend, die nackten Körper nur in Verbindung mit denen, die mit ihnen durch unsägliches Leid gegangen sind. Das großformatige Acrylgemälde von Maximilian Rosseaux mit dem Titel „Befreit“ nehme „in erschütternden Assoziationen mit großer künstlerischer Sensibilität“ das Thema der diesjährigen Ausstellung Kunst aus Schulen des Hochtaunuskreises auf.

So lobte Dr. Frank Ausbüttel, ehrenamtlicher Kreisbeigeordneter, das Werk des Schülers der Q2 der Philipp-Reis-Schule Friedrichsdorf. Maximilian Rousseau wurde bei der Vernissage in der Galerie Artlantis in Bad Homburg mit dem Sonderpreis des Schulkunstpreises 2025 der Johann-Isaak-von-Gerning-Stiftung ausgezeichnet. Die Bilderschau mit dem Motto „Befreit“ nimmt auf den 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz Bezug. Sie ist bis zum 23. März zu sehen.

Zehn Schulen hatten sich an der 28. Ausstellung beteiligt, fast die Hälfte aller weiterführenden Schulen im Hochtaunuskreis. Hans Helmut Rupp vom Kunstverein Bad Homburg Artlantis und Kreis-Kulturamtsleiter Gregor Maier als Veranstalter der traditionsreichen Jahresausstellung begrüßten nicht nur die Schüler und deren Kunstlehrer, sondern auch viele Eltern, Großeltern und Mitglieder des Kreistages sowie Schulleiter der beteiligten Schulen. Drei zweite Preise und zwei erste Preise vergab die Jury in diesem Jahr für herausragende Kunst-Arbeiten. Alexander D. Jackson (Kuratoriumsvorsitzender der Gerning-Stiftung), Jil Hingott (stellvertretende Leiterin des Städtischen Historischen Museums Bad Homburg) und Bianca Scheich vom Kunstverein Artlantis zeichneten Kunstkurse der 10. und 9. Jahrgangsstufe an der Max-Ernst-Schule Weilrod mit zweiten Preisen aus, ebenso den Oberstufen-Leistungskurs Kunst der Q1/Q2 des Gymnasiums Oberursel. Die beiden ersten Preise gingen an die 6. Klasse der Bad Homburger Humboldtschule unter Leitung von Kunstlehrer Thomas Böhm für „Der Geist aus der Flasche“ sowie an Kunst-Schüler der Mittel- und Oberstufe des Kaiser-Friedrich-Gymnasiums Bad Homburg für ihre Gemeinschafts-Installation „Der Griff nach Freiheit“ (Lehrkräfte Margareta Malinotschka und Nina Salus-Flohr). Die zweiten Preise sind jeweils mit 250 Euro-Gutscheinen für Künstlermaterial versehen, die ersten Preisträger bekommen je 500 Euro zur Förderung des Kunstunterrichts. Der Sonderpreis für die herausragende Einzelleistung ist mit 100 Euro dotiert.

Das Wort „Befreit“ löst bei den Jugendlichen viele Assoziationen, Gedanken und Gefühle aus. Das zeigt sich in allen der ausgestellten Arbeiten. Ist es ein positiver Zustand, den der Mensch allein genießen kann, oder eine Sehnsucht vieler nach Befreiung aus materiellen, gesellschaftlichen und menschlichen Fesseln und Abhängigkeiten? Ist „Befreit“ ein Gedanke der Seele oder ein leiblicher Ausbruch aus handfesten Fesseln? Der Mensch wird in seinem Leben nie fertig, mit dem Prozess der Erlangung von Freiheit, und Freiheit ist immer ein gefährdetes Gut: Dies wird in der großen Bandbreite der künstlerischen Schülerarbeiten deutlich. Die Denkprozesse dazu der Schüler und Lehrer werden auf Texttafeln beeindruckend genau geschildert.

„BEFREIUNG!“, haben Schüler der Weilroder Max-Ernst-Schule ihre im Banksy-Stil mit Acrylfarben und Graffiti-Spray auf drei Leinwände gespachtelten Gedanken zum Thema genannt. Von der Leichtigkeit des Seins, Freiheit und Erlösung ist da die Rede. Die Kunst-Schüler der 9. Jahrgangsstufe reflektieren das Thema in anderer Richtung: beschädigte Welt und Natur lechzen nach Befreiung – ein Staudamm kann brechen, das Wasser bahnt sich seinen Weg. 24 Schülerinnen und Schüler der Altkönigschule Kronberg haben eine überaus bunte Riesen-Collage gemalt und geklebt: ein menschliches Antlitz, geprägt von materiellen Wert-Schnipseln, Highlife, Natur und „Future“, unter einem Auge klebt das Wort „grenzenlos“; die Entstehung der Collage wird auf einem Tablet im Zeitraffer gezeigt. Witzige Pappmacheé-Figuren räkeln sich aus Shampoo- und Sonnencreme-Plastikflasche: „Der Geist aus der Flasche“, in vier Variationen von vier Sechstklässlerinnen der Humboldtschule Bad Homburg zum Leben erweckt, findet viel Gefallen bei den Kunstliebhabern, die sich am Eröffnungsabend in der Galerie in Dornholzhausen angeregt miteinander unterhalten. Der Maler Otto Dix als Vorbild: Um die Persönlichkeitsentwicklung geht es bei den kleinen Triptychon-Gemälden der Oberstufenschüler des Gymnasiums Oberursel. Menschen sind dargestellt, befreit von inneren und äußeren Zwängen und Normen durch Frauenrechte, durch Selbstakzeptanz und Identitätsfindung, durch Bewältigung von chronischen Schmerzen. Raumgreifend ist die schneeweiße große Installation „Der Griff nach Freiheit“ aus Gips und Draht, Scherenschnitten und Overhead-Projektionen, ein Gemeinschaftswerk von Jugendlichen des Kaiserin-Friedrich-Gymnasiums Bad Homburg. Es ist der Prozess einer Befreiung. Die Figur, roh und unfertig, ermöglicht die eigene Identifikation des Betrachters mit dem, was da wird: mit welchem Arm greife ich nach der Freiheit?

Schon die Vernissage eröffnete viele Gedanken zum Thema „Befreit“. Es gibt viele Aspekte in den künstlerischen Arbeiten der Jugendlichen von zehn Schulen – darunter auch Bischof-Neumann-Schule und Taunusgymnasium Königstein, Adolf-Reichwein-Schule Neu-Anspach, Maria-Ward-Schule Bad Homburg und Philipp-Reis-Schule Friedrichsdorf – zu entdecken. Der Sänger Alessandro Uddin, Musik- und Sportlehrer an der Gesamtschule am Gluckenstein in Bad Homburg, zeigte mit seinem unkonventionellen Auftritt und schönem Gesang, dass „befreit sein von“ auch ein „befreit sein zu“ werden kann. Eine Besucherin schrieb ins offene Gästebuch der Galerie Artlantis: „Vielen Dank für die herrliche Ausstellung und den Sonderpreis. Kunst ist Außenseitersache! Kunst ist Schülersache! Jeder Künstler ist ein Schüler!“ Wie der Gewinner des Sonderpreises der Johann-Isaak-von Gerning-Stiftung, Maximilian Rosseaux, das Thema „Befreit“ in Bezug auf die Befreiung der KZ-Opfer durch russische Soldaten im Jahr 1945 in seinem Gemälde umsetzt, berührt besonders: die Farben, die er für die Darstellung der gedemütigten Frauen verwendet, sind warm, sonnenfarben. Befreiung, ob sie einem selbst gelingt oder durch fremde Hilfe, ist eine Entlastung mit Zukunftspotenzial.

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