„Mein bisher schönster Preis“

Im Jubiläumsjahr geht der Hölderlin-Preis an den Autor Leif Randt (2. v. r.). Es gratulieren (v. l.) Professor Dr. Moritz Baßler, Jury-Vorsitzende Sandra Kegel, Stadtverordnetenvorsteher Dr. Alfred Etzrodt und Oberbürgermeister Alexander Hetjes. Foto: JR

Von Jona-Bennet Rübner

Bad Homburg. Es ist nicht irgendein Preis, der am Sonntagabend in der Bad Homburger Schlosskirche verliehen wurde. Der Friedrich-Hölderlin-Preis, den die Jury in diesem Jahr zum 40. Mal vergab, ehrt nicht etwa ein einzelnes Werk aus dem Schaffen eines Schriftstellers, sondern dessen gesamtes Wirken. In Jubiläumsjahr ging die Auszeichnung an Leif Randt, den Förderpreis erhielt Anna Yeliz Schentke.

Nach dem Abriss des einsturzgefährdeten Hölderlin-Hauses, das dem Namensgeber während seines zweiten Aufenthalts in der Kurstadt als Wohnung gedient hatte, sei ein anderer Weg der Würdigung des großen Dichters aus Lauffen am Necker als angemessen erachtet worden, schilderte Oberbürgermeister Alexander Hetjes bei der Preisverleihung die Vorgeschichte des 1983 erstmals verliehenen Preises.

Jene bisher beliehenen großen Persönlichkeiten der Literaturszene wie beispielsweise Ulla Hahn und Peter Härtling, aber auch Künstler wie Wolf Biermann, der den Hölderlin-Preis mit den Worten „Höchste Zeit, dass ich diesen Preis bekomme“, entgegennahm, präsentierten Schüler des Kaiserin-Friedrich-Gymnasiums und blickten mit denkwürdigen Zeilen ehemaliger Preisträger auf die 40-jährige Geschichte der Auszeichnung zurück.

Die Laudatio auf Preisträger Leif Randt selbst, gehalten von Professor Dr. Moritz Baßler aus Münster, war bereits ein pointiertes Meisterwerk, das den Schaffer vierer Romane lobte und einen Preis verdient gehabt hätte. „Post Pragmatic Joy“ sei, was die Romanfiguren Randts auszeichneten. Er bediene sich einer erst nach Gegenwartsliteratur aussehenden Charakteristik, die jedoch eigentlich das gesunde Mittelmaß einer menschlichen Existenz abbilde. Die Leser mögen heute zumeist anderes gewöhnt sein, doch lege der 39-jährige Leif Randt das Hauptaugenmerk nicht auf den Schrecken, Traumata und Finsternis, sondern auf das Gute – ohne dabei oben Genanntes zu leugnen. Für die Kritiker seines Werks „Schimmernder Dunst über Coby County“ sei dies jedoch irritierend gewesen, berichtete Moritz Baßler.

Beim Betreten des Altarraums erschien der nun elffach mit hochkarätigen Preisen ausgezeichnete Maintaler im Licht eines Künstlers, dessen Literatur sich, rein nach seinem Auftreten bewertet, wohl kaum am belletristischen Wühltisch finden ließe: eine weite Hose, ein ausladend großes Jackett, grundiert von einem weit aufgeknöpften Hemd und mit einer Baseballkappe auf dem Kopf. Ein klein wenig besonders, jedoch auf keinen Fall divenhaft.

Kinderlos und handysüchtig

Auch seine Dankesrede, die der studierte Kulturjournalist in einen kleinen Prosatext verpackt hatte, stellte einen grandiosen, ansteckend unterhaltsamen Schreibstil unter Beweis. Leif Randt stellte sich selbst dem Namensstifter des Bad Homburger Literaturpreises gegenüber und zog eine erste Bilanz – so wie es auch Hölderlin in Bad Homburg getan hatte: „Friedrich Hölderlin (…) träumte von der Revolution. Leif Randt: kinderlos und handysüchtig. Eigentlich ein zufriedener Typ.“ Ganz persönlich skizzierte der Autor in treffsicheren Sätzen mit gekonnt gesetzter Umgangssprache – in ein bildungssprachliches Gewand gehüllt – sich selbst, seinen Werdegang aus der „mittleren Mittelschicht“ zu jemandem, der Neues, auch auf das für ihn wichtige Digitale bezogen, erst einmal immer interessant finde und dessen Metier nun im Abwägen innerhalb der „sentimentalen Grauzonen“ dazwischen (abseits von Lobgesang oder Schlechtmacherei) liege.

Mit dem Förderpreis wurde in diesem Jahr die Frankfurterin Anna Yeliz Schentke ausgezeichnet. Mit der Vergabe dieses Preises verfolgt die Stadt gemeinsam mit der Stiftung Cläre Janssen das Ansinnen, junge Talente am Anfang ihrer schriftstellerischen Karriere zu unterstützen. Kathrin Röggla, die die Laudatio auf die mit Essays in den großen deutschen Zeitungen und Zeitschriften vertretene Autorin hielt, beleuchtete voller Hochachtung die vielfältigen Talente und Interessen Schentkes: „Anna Yeliz Schenkte kommt erst einmal aus der Wissenschaft.“ Aber auch komme sie ebenso vorrangig aus der Politik und Literatur – schwer möglich also, zu schätzen, wo die disziplinären Wurzeln der Preisträgerin liegen mögen.

Ihr 2022 veröffentlichtes Werk „Kangal“ nimmt in Romanform die Parallelexistenz von Tourismus und der autoritären Regierung in der Türkei in den Blick. Ein Buch im Hier und Jetzt: Das zweischneidige Schwert des digitalen Fortschritts, der die Anonymität bedroht, bringt die Verfasserin mit einer Geschichte über das Ausreißen vor repressivem Konservativismus und Patriachat in Verbindung.

„Ich habe die Figuren vor einer Öffentlichkeit entblößt. Es war schwer für mich, ihnen Namen zu geben, denn so wurden sie identifizierbar“, erklärte die Absolventin in den Fächern Theater- und Film- sowie Medienwissenschaft, obwohl sie die Figuren selbst erschaffen habe. Anna Yeliz Schentke zeigte sich bei der Preisverleihung als engagierte, mit dem Wort meisterhaft umgehende Schriftstellerin, die offen ihre Sorgen, Ansichten und ihr Wissen teilt, ihren Lesern einen neuen Blick auf die türkische Gemeinschaft in Deutschland und die Türkei selbst ermöglicht, jedoch insistiert, nicht als Expertin oder gar Sprecherin der „türkischen Community“ gesehen zu werden, wie Schentke anhand einer Anekdote über eine ihrer zahlreichen Lesungen klarstellte.

„Mein bisher schönster Preis“, fügte der frisch gebackene Hölderlin-Preisträger Leif Randt ans Ende seiner Rede in der Schlosskirche, bevor das Kammermusik-Ensemble des Kaiserin-Friedrich-Gymnasiums die Verleihung mit Jean Sibelius „Andante Festivo“ gelungen abrundete.

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