Farben hören, Worte schmecken und Gefühle visualisieren

Der Maler Christian Deutschmann vor seinem Bild „Annamitische Knaben beim Betrachten von Reklameschildern“. Foto: fch

Bad Homburg (fch). Bibliotheken sind die idealen Orte, um auf Entdeckungsjagd zu gehen, zu stöbern, zu lesen, zu forschen, in vergangene und fremde Welten zu reisen. Auf eine visuelle Entdeckungsreise in die Vergangenheit lädt der Künstler Christian Deutschmann die Besucher der Stadtbibliothek ein. In seiner Ausstellung „Frontwheeldrive“ nimmt er die Betrachter mit auf eine spannende Zeitreise. Mitgebracht in die Kurstadt hat der Kreative aus Murnau am Staffelsee 20 Bilder. Allen gemeinsam ist, dass er sie mit Ölfarben auf Leinwand gemalt hat. Und allen Fotografien als Inspiration zu Grunde liegen. „Man rennt einem kleinen Strohhalm hinterher und landet in den Eingeweiden der Geschichte. Das ist faszinierend“, findet Christian Deutschmann.

Bei einer Haussanierung in München wurden auch die Fußböden erneuert. Dort entdeckte er Zeitungen und Magazine. Sie dienten dem Belag als Unterlage. Diese Zeitschriften und Magazine aus den 1920- und 1930-Jahren weckten das Interesse des 53-Jährigen. Er fing an, sich mit den unverhofften Fundstücken zu beschäftigen. Beim Lesen der gedruckten Zeitzeugen „wurde Vergangenheit zur Gegenwart“. Wie Christian Deutschmann bei der Vernissage berichtete, hat er „einen Teil des Materials einem Gymnasium geschenkt, die anderen behalten. Aus diesen ließ er sich von Fotografien zu 40 Ölbildern inspirieren, von denen er die Hälfte in Hessen zeigt.

„Die gefundenen Zeitungen und Magazine berichteten über Situationen und Menschen, denen ich auch heute im privaten oder beruflichen Alltag begegnen könnte. Die Frage nach ihren Gefühlen, Gedanken, ihrer politischen Haltung und ihren Entscheidungen in dieser Zeit drängt sich – zum Vergleich mit heute – auf. Der Begriff der modernen Gesellschaft wird von einem fundamentalen Widerspruch geprägt.“ Die Menschen waren fortschrittsbegeistert, identifizierten sich mit einer weltoffenen Gesellschaft. Dieser modernen Gesellschaft immanent ist ihr Wandel zur nationalsozialistischen Diktatur. „Unser heutiges Wissen, um die damals unmittelbar bevorstehende, jähe Zäsur, mit der diese junge aufbrechende Demokratie sich auf brutale Weise konfrontiert sah, erzeugt ein unheimliches Gefühl der ‚Ruhe vor dem Sturm‘. Zu allen Bildern gibt es eine kleine Geschichte zu erzählen.“ Die gegenständlichen Bilder zeigen unter anderem Oldtimer wie einen amerikanischen „Gardner“ aus dem Werk von Russell E. Gardner und seinen Söhnen. Passend zum Ausstellungstitel waren die Autos mit Vorderradantrieb ausgestattet, einer damals neuen Technik.

„Ich dachte erst es sei ein Ford, fand dann bei meiner Recherche in den USA den Enkel Bob Gardener in Massachusetts“, erzählt der Maler die dazugehörige Geschichte zum Foto von 1930 aus der ADAC Mororwelt. Ein Foto aus der Münchner Illustrierten aus dem Juni 1933 zeigt römische Soldaten beim Halten eines Zeppelins am Boden.

Ein anderes aus dem Magazin „Durch alle Welt“ bildet eine alltägliche Szene „Annamitische Knaben beim Betrachten von Reklameschildern“ ab. Ergänzt werden die gegenständlichen Bilder durch einige farbenfrohe Gefühlsbilder. In ihnen hat der gebürtige Freiburger, der Produktdesign in Aachen studierte, die Auseinandersetzung mit den Fotografien und seinen eigenen Arbeiten, die verschiedene Gefühle in ihm ausgelösten, einfließen lassen.

Wie Ekel im Bild „Greed“ (Die Gier). „Es sieht aus wie ein Aquarell, weil ich die Farbe mit Leinöl verdünnt habe.“ Christian Deutschmann ist Synästhetiker, jemand der Sinnesempfindungen koppelt. Das heißt, er kann „Farben hören, Worte schmecken und Gefühle visualisieren“. Er stellt in seinen Werken seine Gefühle bildlich dar. Der Schwerpunkt des künstlerischen Schaffens von Deutschmann liegt auf der Malerei, die vielschichtig ist. Er liebt Ölfarben, „weil sie viele stilistische Möglichkeiten bieten. Man kann aquarellieren und lasierend arbeiten, volldeckend und modellierend. Ölfarben ermöglichen mir eine große Flexibilität, ich habe lange Zeit zu arbeiten. Es ist echt, weil das Bild nass wie trocken aussieht. You see, what you get.“ Nach Bad Homburg geholt hat eine frühere Schulfreundin, Stephanie Maharaj, den Künstler.

!Zu sehen sind Christian Deutschmanns Bilder noch bis zum 1. Februar 2020 in der Stadtbibliothek, Dorotheenstraße 24. Die Öffnungszeiten sind dienstags bis freitags von 11 bis 18 Uhr und samstags von 11 bis 14 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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