Herr Hölderlin und die Landgrafen von Hessen-Homburg

Hereinspaziert! Im Hauptberuf gehört Tom Reez nach der Ausbildung im Stadtarchiv zum Team der Magaziner. Hier bestückt er einen Schaukasten im Gustavsgarten mit Veranstaltungsplakaten, die zu den aktuellen Ausstellungen im Rahmen des Jubiläumsjahres 400 Jahre Landgrafschaft Hessen-Homburg einladen. Foto: js

Bad Homburg (js). Man kommt nicht an Hölderlin vorbei in diesen Tagen, da sich die Gründung der Landgrafschaft Hessen-Homburg zum 400. Mal jährt. „Leider aktuell“ nennt die städtische Kulturbeauftragte Bettina Gentzcke die wuchtige Eingangssequenz aus der berühmten Patmos-Hymne des Dichters, der so viele Spuren in der Kurstadt hinterlassen hat, „erschreckend aktuell“ finden sie andere. Wer hatte bei der Vorbereitung der drei Ausstellungen zum Jubiläumsjahr schon erwartet, dass sie in Kriegszeiten stattfindet. „Nah ist / Und schwer zu fassen der Gott, / Wo aber Gefahr ist, wächst / das Rettende auch …“ Mit voller Wucht startet Hölderlin in die Hymne. „Wurden die ersten beiden Zeilen von Patmos in den vergangenen zwei Jahren vor allem im Kontext der Coronapandemie zitiert, so bekommt das Gedicht jetzt vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine eine ungewollte Aktualität“, sagt Bettina Gentzcke in ihrem Eröffnungsvortrag zur Ausstellung im Hölderlin-Kabinett der Villa Wertheimber. „Denn erleben wir aufgrund der russischen Invasion nicht abermals eine dürftige, besonders götterferne Zeit?“

Es ist der 6. März 2022, genau 400 Jahre zuvor, am 6. März 1622, erlebte die Landgrafschaft Hessen-Homburg ihre Geburtsstunde. An Hölderlin kommt man bei der Erinnerung an diese wechselvolle Geschichte nicht vorbei. Deswegen der Anfang der Patmos-Hymne in großer Schrift an der weinroten Wand im Kabinett. In der Vitrine davor die erste Seite des Gedichts aus der Bad Homburger Handschriftensammlung, Mappe G, 2-7. Das Original wird dort im Juni zu sehen sein, wenn wieder ein Epigone des Dichters mit dem Hölderlin-Preis ausgezeichnet wird. Der Herr Hölderlin schaut gerahmt von einer Seitenwand. Es ist, als wolle er genau schauen, wer da versucht, seine Verse zu verstehen. Bettina Gentzcke hilft dabei bei einer weiteren Führung am 20. März, das Studium des kompletten Textes auf dem gleichen weinroten Hintergrund im Begleitheft zur Ausstellung hilft dabei, auch der Kommentar der Schriftstellerin Olga Martynova im Heft hilft, sie sieht in dem höchst komplexen Gedicht mit seinen 15 Strophen einen „ästhetischen Schock“, man muss sich ihn zumuten, den Herrn Hölderlin. Mehr als nur den wuchtigen Einstieg, der ohnehin für immer im Kopf kreiseln wird.

Hölderlins ist auf der Titelseite des informativen Hefts über dem Landgrafen positioniert. Es ist von symbolhafter Bedeutung, zeugt von der besonderen Konstellation im Umgang der beiden, denn es ist die einzige Hymne mit Widmung, die Hölderlin verfasst hat. Auftragsarbeit war seine Sache nicht, für Landgraf Friedrich V. machte er zu dessen 55. Geburtstag eine Ausnahme, der tiefreligiöse Landgraf hatte sich ein pietistisches Gedicht gewünscht, welches das Volk im christlichen Glauben bestärken sollte. Weil der vorgesehene Dichter Friedrich Gottfried Klopstock „aus Altersgründen ablehnte, kam Hölderlin zum Zug“, erläutert Gentzcke, das Ergebnis eine Mischung aus Auftrag und eigenem Gutdünken. Auf einer Bronzeplatte über der Fürstengruft in der Schlosskirche sind die Zeilen für die Ewigkeit eingraviert.

Mit den Mitteln eines Archivs

Dem an der Geschichte der Landgrafschaft Interessierten eröffnet die von Stadtarchivarin Astrid Krüger zusammengestellte Ausstellung in zwei Räumen im Erdgeschoss der Villa Wertheimber den passenden Hintergrund. „Wir sind kein Museum, wir erklären das mit Mitteln eines Archivs“, sagt Krüger. Etwa anhand von drei wichtigen Urkunden, die den Kern der Ausstellung bilden: der „Brüdervertrag“ vom 6. März 1622, der die neuen Verhältnisse unter den Söhnen des damals aktuellen Landgrafen Georg von Hessen-Darmstadt klärt, der „Ausweisungsbrief“, das so genannte „Huldigungsgebot“, und das „Notariatsinstrument“ vom Juli 1622, dem Tag der Übergabe. Auch dazu gibt es ein umfangreiches Begleitheft mit den Texten der Ausstellung und wichtigen Dokumenten im Wortlaut, außerdem umfangreiches Bildmaterial. Das Schloss als Ort der Amtsübergabe in unterschiedlichen Darstellungen, im Sommer soll es im Bibliotheksflügel Ausstellungsort werden.

Ein wunderbares Bild von all den Landgrafen und Landgräfinnen, die im Laufe der Jahre im Schloss residierten, vermittelt die dritte aktuelle Ausstellung im wahrsten Sinne des Wortes. Im Obergeschoss der Villa präsentiert das Stadtarchiv, kuratiert von Beate Datzkow, 40 Exponate, die vor allem aus der zeitgeschichtlichen Perspektive interessant sind. Gemälde und Druckgrafiken vor allem, die den „Übergang vom Typus des barocken Herrscherbildnisses hin zum aufgeklärten Fürsten- und Adelsporträt des 18. und 19. Jahrhunderts zeigen“, erklärt Beate Datzkow den Besuchern bei Rundgängen.

!In der ersten Ausstellungsperiode bis 27. März werden Führungen dienstags um 10 Uhr und mittwochs um 16.30 Uhr angeboten. Anmeldung per E-Mail an stadtarchiv[at]bad-homburg[dot]de. Durch die Patmos-Ausstellung führt Bettina Gentzcke am 20. März um 15 Uhr. Anmeldung: kultur[at]bad-homburg[dot]de.

Die städtische Kulturbeauftragte Dr. Bettina Gentzcke eröffnet die Ausstellung im Hölderlin-Kabinett der Villa Wertheimber. Foto: js

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