Hoch und runter im Ringen um Wahrheit und Lüge

Kriminalinspektor Hollister (Torsten Leiß) geht erschlagen vom raffinierten Wechselspiel der fünf Frauen zwischen Wahrheit und Lüge zu Boden: Die Akteure der Volksbühne (v. l.) Anna Altheim als Mrs. Worthing, Simone Woyke als Jane, Andrea Fellermann als Vera Ratow, Anette Quentel als Mrs. Marguerite Heartstone und Julie Burgmann als Hausmädchen Ruby überzeugen ihr Publikum im Kurtheater. Foto: Bergner

Bad Homburg (a.ber). Schwarzer Humor und witzige Dialoge, ein Kriminalinspektor im viktorianischen England, der sich bei seinen Befragungen fünf „verrückten“ Frauen gegenüber sieht, die ihn nicht nur mit ihren gegensätzlichen Aussagen verwirren – und ein Toter, nein, zwei Tote, die auf die gleiche Weise umkamen: Die Volksbühne Bad Homburg versetzte mit „Fünf Frauen und ein Mord“ ihr Publikum im Kurtheater in Spannung, die sich ob des temperamentvollen Spiels der sechs Akteure immer wieder in lautem Gelächter entlud. Das seit mehr als 85 Jahre in der Kurstadt bestehende renommierte Amateur-Theater brachte mit dem Krimistück nach einer Novelle der englischen Autorin Gladys Heppleworth beste Unterhaltung auf die Bühne, überraschend bis zum Schluss, detailreich und feinsinnig inszeniert von Regisseurin Louise Oppenländer.

Allein schon die Treppe, die mitten im üppig-schwül eingerichteten viktorianischen Wohnzimmer mit roten Damast-Tapeten und Likör-Tischchen emporführte, bewacht von zwei goldenen Löwen, war sinnbildlich für das, was sich zwischen Inspector Edward Hollister (Torsten Leiß), der zur Aufklärung eines Todesfalls ins abgelegene Anwesen der Familie Heartstone kommt, und den Bewohnerinnen des Hauses abspielt. Hier geht es hoch und runter im Ringen um Wahrheit und Lüge. Mr. Hollister, der britische Beamten-Gentleman in brauner Hose und kariertem Jackett, kommt ins Schwitzen. Der Angestellte der Familie Heartstone, Malcolm, ist besagte Treppe hinuntergestürzt und tot. Sie habe den aufdringlichen Mann in Notwehr heruntergeschubst, behauptet die kapriziöse Gesellschafterin der Tochter des Hauses, Vera Ratow (Andrea Fellermann). Die Hausherrin selbst, Witwe Marguerite Heartstone (Anette Quentel), versucht mit konspirativem Geschick und anzüglichem Charme den Inspektor von der Befragung ihrer Tochter Jane abzuhalten, verrät im Verlauf des Katz- und Maus-Spiels jedoch, dass ihr Ehemann vor Kurzem auch von ebendieser Treppe in den Tod gestürzt sei. „Diese Sache wird immer merkwürdiger!“, so Inspektor Hollister, der sich wie in einem Strudel von Miss Ratow und Mrs. Heartstone körperlich bedrängt und gleichzeitig angezogen fühlt. Auch Tochter Jane Heartstone (Simone Woyke), einfältig, fantasiebegabt und gleichzeitig gewitzt dargestellt, entfacht weitere Verwirrung: „Es war ein Geist! In unserem Haus spukt es!“ Realität und Scheinwelt geraten durcheinander, das Notizbuch des eifrigen Inspektors wird immer voller, sein Privatleben droht in den Strudel der Ermittlungen zu geraten. Die vermeintlich nüchtern-vernünftige langjährige Hausdame Mrs. Worthing (Anna Altheim) entpuppt sich immer mehr als falsche Schlange, das hypernervöse und devote Hausmädchen Ruby (Julie Burgmann) hat auch etwas zu verbergen.

Die fünf Frauen geraten in eine von Eifersucht, Geltungsdrang und Verzweiflung angeheizte Eskalation, bis Marguerite Heartstone, im schwarzen Taftkleid wie der Racheengel persönlich, mit der Wahrheit herausrückt: Ihr Ehemann hatte eine homosexuelle Affäre mit Malcolm, der diese durch Liebesverhältnisse mit nahezu allen Frauen des Hauses vertuschte und der seinen Lover Heartstone nach Streit und Bruch der Beziehung die Treppe herunterstieß. Das Kartenhaus der viktorianischen Prüderie bricht zusammen – plötzlich geht es um Ehebruch und uneheliche Kinder, schwüle Gefühle und Vertuschung homoerotischer Zwänge. Alle Frauen bezichtigen sich selbst nun des Mordes an Malcolm; doch dessen Tod war schlussendlich ein Unfall.

Dass Inspektor Hollister am Ende ein salomonisches Urteil fällt, ist sicher dem Wunschdenken der Autorin der Novelle „Fünf Frauen und ein Mord“, Gladys Heppleworth (1889-1934), geschuldet: Die als Waise aufgewachsene junge Schriftstellerin von Romanen und Kurzgeschichten für Londoner Zeitungen hatte selbst ihren ersten Ehemann George Browning mit dessen Cousin in einer äußerst delikaten homoerotischen Situation erwischt; sie wandte sich nach diesem Schicksalsschlag erfolgreich den Genres Drama und Kriminalroman zu, endete nach einem Gerichtsurteil wegen Plagiatsvorwürfen jedoch 1931 als Gesellschafterin auf einem Landschloss.

Die sechs Akteure der Volksbühne Bad Homburg in wunderschön passenden Kostümen setzten das Kriminal-Drama mit großem schauspielerischen Können, meisterlicher Mimik und Gespür für die Raffinesse der von Gladys Heppleworth gezeichneten Figuren überzeugend um.



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