„Passione di Gesù Cristo“ in einem Konzert der Gesellschaft der Musikfreunde

Foto: Gesellschaft der Musikfreunde

Bad Soden (bs) – Eine konzertante Oper? Ein opernhaftes Oratorium? Vielleicht am ehesten letzteres. Der Mozart-Zeitgenosse Antonio Salieri fand eine ganz eigene Bezeichnung für das Werk, das als jüngstes Projekt der Gesellschaft der Musikfreunde zum 200. Todestag des Komponisten in der katholischen Kirche St. Katharina erklang. „Azione sacra“ benennt er seine „Passione di nostro signore Gesù Cristo“ im Untertitel, ein beinahe zweistündiges Werk für Soli, Chor und Orchester. Erst 26 Jahre alt war der Komponist, als er die seinerzeit bekannte Textvorlage des wohl berühmtesten und als genial verehrten Wiener Hofdichters Pietro Metastasio im Jahr 1776 vertonte. Tatsächlich handelt es sich um eine Passionskomposition, die allerdings nicht – wie etwa in Bachs Passionen – den Bibeltext der letzten Tage Christi auf Erden vertont. Stattdessen knüpft Salieri an die vorreformatorische katholische Tradition des italienischsprachigen Passionsoratoriums in neu geschriebener freier Dichtung an. Die Handlung spielt kurze Zeit nach dem Tod des Messias, dem Volksverhetzung und Gotteslästerung vorgeworfen wurde. Petrus (Pietro) hat aus Angst vor einer Mitverurteilung nicht zugegeben, ein Jünger Jesu zu sein. Er ist am Anfang des Werkes allein und macht sich große Vorwürfe. Zuvor waren seine Freunde Johannes (Giovanni), Maria Magdalena (Maddalena) und Joseph von Arimathia (Giuseppe) dabei, als ihr Meister auf brutale Weise hingerichtet wurde und verstarb. Sie berichten rückblickend von den Geschehnissen, beginnend bei den öffentlichen Misshandlungen bis zum Tod ihres Anführers.

Das Werk umfasst 33 Nummern, wobei die Handlung im Wesentlichen von den Solisten getragen wird, die das Publikum mit grandiosen Leistungen in Atem hielten. Zuvörderst zu nennen wäre hier die Sopranistin Sofia Savenko, die die mitunter außerordentlich virtuose Partie der Maddalena hochexpressiv, doch unangestrengt-natürlich mit verblüffender Mühelosigkeit in der Höhe und einem geradezu atemberaubenden Koloratur-Feuerwerk realisierte. Nicht minder beweglich und stimmlich souverän erlebte man den Countertenor Jaro Kirchgessner in der Partie des Giovanni. Ein Wunderwerk geradezu vollbrachte der Tenor Nathan Fischer, der im letzten Augenblick für den ursprünglich vorgesehenen Solisten eingesprungen war: Ihm war es gelungen, sich die gesamte Partie des Pietro in nur zwei Tagen anzueignen. Allein dies verdient großen Respekt, von seinem expressiven Vortrag ganz abgesehen. Mit Timon Führ schließlich erlebte man einen agilen Bariton in der Partie des Giuseppe.

Klangschön trat der Chor in Erscheinung. Den ganzen Abend über unentwegt im Einsatz war das sehr aufmerksam und vital agierende Orchester – und natürlich der Künstlerische Leiter der Gesellschaft der Musikfreunde, Alexander Ebert, der den Klangapparat souverän, ausdrucksstark und überaus detailfreudig führte.

Zwischen den beiden Teilen der Salieri-Komposition platzierte Ebert – als „Herzstück“, wie er es nannte – die Komposition „A Lullaby for Terezín“ (Ein Wiegenlied für Theresienstadt) des zyprischen Komponisten Marios Christou, gleichsam einen meditativ-nachdenklichen Ruhepunkt, den Solisten des Orchesters und die Sopranistin eindringlich realisierten.

Das Stück, das jüdische Wiegenlieder verarbeitet, wurde erstmals 2023 zum Gedenken am 80. Jahrestag der Deportation Theresienstädter Familien in das Vernichtungslager Auschwitz aufgeführt. Alexander Ebert und der tschechische Dirigent Václac Dlask dirigierten seinerzeit auf dem Gelände des ehemaligen Ghettos ihre jeweiligen Ensembles, das Neue musikalische Forum und das NeoKlasik orchestr. Langanhaltender Applaus eines sichtlich begeisterten Publikums belohnte nach dem zweiten Teil der Salieri-Komposition einen großartigen Abend in der voll besetzten Kirche St. Katharina.



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