Informative Erkundungstour durch das Stadtarchiv

„Auch im digitalen Zeitalter ist sie unersetzlich“: Lesesaal-Mitarbeiter Andreas Mengel (r.) erläutert in der Kulturnacht beim Rundgang durch das Stadtarchiv die Handkartei mit Sach- und Personenregister. Foto: a.ber

Bad Homburg (a.ber). Es ist das „Haus der Treppen“, wie die Leiterin des Stadtarchivs, Dr. Astrid Krüger, sagt: Die von Windlichtern erleuchtete Außentreppe der Villa Wertheimber an der Tannenwaldallee hoch, gelangt man in der Kulturnacht über 27 knarrende Holzstufen hinauf ins Stadtarchiv, wo man an diesem Abend in die Welt des Lesens, Schreibens und Forschens eintauchen kann. Während Archiv-Leiterin Astrid Krüger mit einer Gruppe Interessierter einen Gang ins Magazin im Anbau macht, gibt Historiker und Lesesaal-Mitarbeiter Andreas Mengel einen Einblick in die Arbeit und die Möglichkeiten des Stadtarchivs. Wo an Geschichte und Familiengeschichte interessierte Menschen aus der Kurstadt und von weit her sonst an den braunen schlichten Holztischen des Lesesaals im Schein der Lämpchen Dokumente still studieren, haben die acht Mitarbeiter und Praktikanten des Stadtarchivs nun Bücher ausgelegt: „Der Brief. Kulturgeschichte der schriftlichen Kommunikation“, „Ansichtskarten aus Homburg 1888-1918“ oder „Briefe aus der Deportation nach Auschwitz“ lauten nur einige der Titel, und auf den Tischen und in Glasvitrinen im Flur liegen zahlreiche Post- und Briefkarten aus der umfangreichen Sammlung des Archivs aus.

Wochenlang hätten sich ihre Mitarbeiter auf die Ausstellung „Gruß aus Bad Homburg vor der Höhe“ vorbereitet – und auch die Führungen durch die Archiv- und Magazinräume wurden gut geplant. Einfach ist er nicht, der Überblick, den Andreas Mengel den Besuchern über die Bestände und Systematiken des Archivs bietet. Aber das ist wohl das Wesen eines gut sortierten Archivs, dass es viele Unter-Abteilungen und verschiedenste Zugriffsmöglichkeiten auf die Sammlungen gibt. An drei Tagen in der Woche können Bürger kommen, „mit welchen Fragen auch immer“, und Dokumente vom 15. bis 21. Jahrhundert einsehen, lesen und für sich kopieren oder digitalisieren. Die Mitarbeiter helfen: Mittels der Großbuchstaben A bis E, hinter denen sich von der städtischen Überlieferung vom Mittelalter an über Zeugnisse zur Landgrafschaft und zu Stiftungen und Zünften bis zum großen Bestand der Nachlässe Archivalien verbergen, sowie durch gedruckte und online- Findbücher kann Fragen nachgegangen werden. „Wir haben hier immer viele Familienforscher, manche kommen von weit her. Das Standesamtsregister seit 1874, Adressverzeichnisse und Abschriften von Kirchenbüchern oder alte Urkunden geben oft Auskunft über weitere Daten zur Person“, erläutert Mengel beim Rundgang. Keine Baupläne von einem alten Haus vorhanden? Auch hier könne man bei der Forschung über Gebäude fündig werden; vor allem der Baubestand der Louisenstraße, Promenade und Altstadt Bad Homburgs sei sehr gut dokumentiert. „Manchmal kommen auch ganz überraschende Fragen, zum Beispiel nach einem Busfahrplan von 1954“, schmunzelt der Historiker, der seit 25 Jahren im Stadtarchiv arbeitet.

Zeitungen aus 300 Jahren, Lexika, Bücher über die Stadtgeschichte und die Parks, Biografien: Das Stadtarchiv hat in seinem mustergültigen Magazin im erhaltenen Anbau des alten Hirnverletztenheims, das früher im Gustavsgarten stand, etwa 10000 Bände stehen; die Bücher, die in der Handbibliothek im Lesesaal stehen, kann der Forschende selbst aus dem Regal ziehen – „wir haben es nur nicht so gern, wenn es selbst wieder zurückgestellt wird“, sagt Mengel, der schon so seine Erfahrung mit falsch einsortierten Büchern gemacht hat. Ob sie hier auch Informationen zur Spanischen Grippe finden könne, der letzten großen Pandemie vor Corona, fragt eine Dame. Ja, hier seien die archivierten Tageszeitungen eine gute Quelle, so Mengel.

Vom Lesesaal, dem ehemaligen Ankleide- und Schlafzimmer der Familie Wertheimber, geht es ins Frühstückszimmer der früheren Villenbesitzer: Hier können sich Leser und Forscher, die sich im Lesesaal getroffen haben, bei Kaffee und Gebäck austauschen, „das ist lebendige Forschung, wenn man dann kommunizieren kann“, sagt Andreas Mengel begeistert und weist auch auf die deckenhohen Regale mit der Privatbibliothek des Hölderlin-Forschers Dietrich Eberhard Sattler hin. Im kleinen Raum mit Karteischränken, Computerplätzen, Kopierern, Lesegeräten für filmisch digitalisierte Bestände und zwischengelagerten Forschungs-Dokumenten zieht der Historiker zur Demonstration die Karteikarte über Johann Henrich Armbruster heraus: Hier steht, in welchen Zeitungen etwas über diesen Zeitgenossen erschienen ist – „ach ja, und er ist auf dem Reformierten Friedhof hier beerdigt.“ Ob genealogische Forschungsportale wie Ancestry einem Stadtarchiv den Rang ablaufen? Nein, meint Mengel, denn viele vor allem ältere Nutzer des Stadtarchivs wollten lieber gedruckte Findbücher oder Karteien einsehen. Natürlich gebe es mittlerweile auch tolle digitale Möglichkeiten der Forschung, „aber wir fahren noch zweigleisig, und dann ist es auch unumgänglich, in Archiven die Originale und Akten zu betrachten, und digital ist noch lange nicht alles erfasst.“

Und so holen die Mitarbeiter oft auch aus dem zweiten großen Magazin des Stadtarchivs in der Innenstadt Archivalien, wo auch wertvolle Urkunden und Unikate lagern. Wer an diesem Abend noch inhaltlich in vergangene Jahrhunderte eintauchen will, besucht das Hölderlin-Kabinett im Erdgeschoss der Villa, wo die Leiterin des städtischen Kulturamts, Dr. Bettina Gentzcke, mit musikalischer Untermalung durch die aktuelle Ausstellung zu Hölderlins Bordeaux-Aufenthalt 1802 führt.

Den Kopf voll mit Literatur und Geschriebenem aller Art, führt den Besucher der von Lichtern erleuchtete Weg direkt von der Villa zum gegenüberliegenden Dorischen Tempel, wo die junge Bad Homburger Fotografin Vero Bielinski draußen einen Sekt ausschenkt und dann mit durch den frisch restaurierten kleinen Saal geht, wo ihre „Musen“-Fotokunstwerke neue Denkanstöße geben.



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