Bad Homburg (fch). „Wenn ich untergehe, lasst meine Bilder nicht sterben – zeigt sie den Menschen“, war ein Wunsch des Malers Felix Nussbaum. Der 1904 geborene Spross einer Osnabrücker Kaufmannsfamilie, der vor den Nazis nach Belgien geflohen war, wurde denunziert und am 31. Juli 1944 über das Sammellager Mechelen nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Sein Zitat wählte die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Hochtaunus für einen besonderen Vortrag am Weltfrauentag zu Leben und Werk der beiden jüdischen Malerinnen Martha Woelcke (1884-944) und Amalie Seckbach (1870- 1944) in der Villa Wertheimber. Beide Frauen hatten wie so viele ihrer Zeitgenossen die große Gefahr unterschätzt, in der sie sich mit Machtübernahme der Nationalsozialisten befanden. Ismene Deter informierte über Leben und Werk von Martha Woelcke und Gabriele Reber über das von Amalie Seckbach. Beide Referentinnen haben aufwendige Recherchen betrieben, um die beiden Künstlerinnen aus der Region vor dem Vergessen zu retten. Und dies, obwohl ihre Werke teils international ausgestellt und gekauft wurden.
Über die vergessene jüdische Malerin Martha Woelcke sagte Ismene Deter: „Die Vorstellung, die wir von ihr haben, ist noch sehr vage. Alles, was wir über ihr Leben und Wirken wissen, reicht gerade mal für einen Zwischenstand.“ Das Ehepaar Heinz und Martha Woelcke lebte zwischen 1920 und 1930 in Dornholzhausen, „genau dort, wo wir wohnen“. Doch niemandem war der Name ein Begriff.“ Und so begab sich die Referentin vor über 20 Jahren auf Spurensuche. „Die Arbeit zog sich deshalb so lange hin, weil seine Bilder über ganz Deutschland verstreut, viele in privater Hand sind und die Kommunikation noch nicht digital funktionierte und mit Reisen verbunden war. Zwar enthält der 2016 erschienene Katalog über Heinz Woelcke auch einige Bilder von Martha.“ Doch die dürftige Informationslage habe eine nähere Beschäftigung mit ihr lange verhindert. Zum Gedenken an die Malerin wurde 2015 ein Stolperstein vor dem ehemaligen Haus der Woelckes in Falkenstein verlegt. Dort lebte das Ehepaar seit 1930. Durch Zufall entdeckte Ismene Deter dann in der Entschädigungsakte Woelcke im Kreisarchiv des Hochtaunuskreises eine Broschüre über kulturelle Veranstaltungen in Paris. Darin auch ein kurzer Bericht über eine Ausstellung von Martha Woelcke, in dem zwei ihrer Gemälde abgebildet waren.
Die Künstlerin stellte ihre Gemälde 1929 in der renommierten Kunstgalerie Bernheim-Jeune aus. „Bei den beiden im Bericht genannten Gemälden handelte es sich um das „Portrait de paysan“ (Landmann, Landwirt) und „Professeur de Ski du Tyrol“ (Skilehrer Lech Vorarlberg). Über die Themen der übrigen Bilder aber fehlt jeglicher Hinweis. Martha Woelckes eigenständiger Malstil kam in Paris offenbar gut an.“ Damals leben die beiden gebürtigen Frankfurter, die beide Absolventen der Städelschule waren, in Dornholzhausen. Martha Woelcke, die der Freireligiösen Gemeinde in Frankfurt angehörte, trat 1928 zum evangelischen Glauben über. Im Gegensatz zu ihrem Mann blieb Martha Woelcke die Anerkennung weitgehend versagt. Im November 1930 hatte das Malerpaar eine gemeinsame Ausstellung in Frankfurt, anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Frankfurter Kunstvereins. „Seiner Einladung fügte das Paar einen Auszug der Pariser Besprechung aus dem Vorjahr hinzu. Direkt darüber sind die Gemälde Martha Woelckes mit ihren Titeln aufgeführt.“ Die Gemäldeliste enthält 14 Titel, wenn nicht mehr, da sich unter dem Titel „Blumenstücke“ wohl mehrere Gemälde verbergen. Die aufgelisteten Gemälde dokumentieren, dass Marthas Bildspektrum neben Blumenbildern, Akte, Landschaften, Stillleben, einem „Alter Mann“, einer „Eva“ einem „Narziss“, einem Selbst- oder einem „Damenporträt“ umfasste.
Sie hatte sie ab etwa 1909 unter dem Namen Martha Ravenstein präsentiert. Das war der Name ihres ersten Ehemannes, des Architekten Friedrich August Ravenstein (1872-1948). Über den Verbleib ihrer vor 1929 entstandenen Gemälde ist nichts bekannt. „Nach etwa zwei Jahrzehnten voll schöpferischer Kraft, Produktivität und reger Ausstellungsaktivitäten, wurde Martha Woelckes Karriere auf ihrem Höhepunkt mit einem Schlag vernichtet. Ihre Bilder entsprachen nicht den kulturpolitischen Vorstellungen der Nazis.“ Im Frankfurter Städel fand eine rigorose „Säuberung“ von allen unerwünschten Kräften statt. Im Zuge der öffentlichen Bücherverbrennung wurden auch Bilder von Martha Woelcke zerstört, welche die Stadt Frankfurt vor 1933 erworben hatte. Sie durfte nicht mehr ausstellen, arbeitete aber in Falkenstein weiter. Zu ihren letzten Gemälden zählt das eindrucksvolle Bild „Apfelstillleben“ von 1941. Erhalten sind nur drei ihrer Bilder: „Der Fingerhut“, „Apfelstillleben“ und „Seerosen in einer Kristallvase“. Martha Woelcke wurde 1943 nach Theresienstadt deportiert. Sie starb 1944 in Auschwitz an den Folgen der Haft.
Auch Amalie Seckbach ist in Frankfurt, der Stadt in der sie ab 1901 mehr als vierzig Jahre lebte, vergessen. „An ihren Namen erinnert heute nur noch ein Eintrag im Deportationsbuch der Stadt und ein winziger Gedenkstein in der Mauer des alten Jüdischen Friedhofs.“ Geboren wurde sie 1870 in Hungen. Ihre Bildung und ihren Kunstverstand hatte sie sich aus eigener Kraft erarbeitet, informierte Gabriele Reber in ihrem Vortrag. Mit ihrem Mann, dem Architekten Max Seckbach, baute sie eine bedeutende Sammlung chinesischer Farbholz-Schnitte des 17. bis 19. Jahrhunderts auf. Sie engagierte sich sozial, gründete bei Ausbruch des Ersten Welltkriegs eine Kriegskinder-Küche und betreute am Frankfurter Südbahnhof bis zum letzten Kriegstag durchreisende Frontsoldaten. „Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes studierte sie am neu gegründeten China-Institut der Frankfurter Universität Sprache, Kunst und Kultur Chinas. Sie wurde eine Expertin des chinesischen Holzschnitts. Und sie stellte 1926 in der Galerie Kahnweiler und Flechtheim erstmals ihre berühmte Sammlung öffentlich aus. Danach wurde diese in den bedeutendsten Museen Deutschlands gezeigt.
Erst mit 52 Jahren fand sie zur bildenden Kunst. Binnen kurzer Zeit hatte sie mit ihren Arbeiten großen Erfolg, zeigte diese an der Seite anerkannter Künstler in internationalen Ausstellungen. „Der belgische Maler James Ensor ermutigte und förderte sie. Ihre kleinformatigen Skulpturen, in denen sie das menschliche Antlitz ausdrucksstark variierte, erregten alljährlich Aufsehen bei den Ausstellungen des Salon des Surindépendants in Paris.“ Doch außer Kritiken und Abbildungen in französischen Kunstzeitschriften hat sich von all diesen Werken nur eine kleine Büste von James Ensor erhalten. Alles andere wurde von den Nazis vernichtet. „Sie brauchte nur fünf Jahre, um mit ihren Bildern und Skulpturen international bekannt zu werden. Als sie 1933 glaubt, sie sei auf dem Höhepunkt, ist alles vorbei.“ Nach 1933 war Amalie Seckbach als Jüdin in Deutschland vom Kunstschaffen ausgeschlossen. Eine begrenzte Zeit lang konnte sie ihre Arbeiten noch im Jüdischen Kulturbund zeigen. Dank ihrer guten Verbindungen ins Ausland, konnte sie dort an Ausstellungen teilnehmen. Arbeiten von ihr waren noch 1936 in einer Ausstellung des Chicago Art Institute zu sehen, neben Werken der bekanntesten deutschen Expressionisten. Ihre Versuche in die USA zu emigrieren scheiterten. 1941 erhält sie zwar ein Visum für Kolumbien, doch es war zu spät. „Amalie Seckbach wurde am 15. September 1941 nach Theresienstadt deportiert, wo eine unbeschreibliche Leidenszeit für sie begann.“ Sie arbeitete noch künstlerisch weiter, erschuf kleinformatige Bilder. Auf diesen zeigte sie eine mit Buntstiften und Tuschen gemalte Gegenwelt zur Barbarei des Lagerlebens. „Es sind Traum-Landschaften und Frauenköpfe voll Anmut und Würde, die sie mit Blüten und Kronen schmückt.
Doch die letzten Bilder deuten erschreckend an, dass die Theresienstadt-Häftlinge wussten, welches Schicksal die weiter Deportierten nach Majdanek oder Auschwitz erwartete, und sie sprechen vom eigenen, qualvollen Ende.“ Die Theresienstädter Bilder konnten zum großen Teil gerettet werden. Sie befinden sich heute in verschiedenen Gedenkstätten in Israel.
Am 10. August 1944 starb die 74-jährige Künstlerin, die von 78 Kilogramm auf 40 Kilogramm nach zweijähriger Lagerhaft abgemagert war, an Hunger und Entkräftung im Krankenhaus von Theresienstadt.