Bad Homburg (fch). Mit ihrem Roman „Räuber“ legt Eva Ladipo den Finger in eine klaffende, gesellschaftliche Wunde. Die Geschichte spielt zwar in Berlin, ist aber nicht nur dort, sondern in jeder anderen Stadt so oder ähnlich längst Realität. Überall auf der Welt spielen sich in den Metropolen und ihrem Umland meist lautlos die gleichen Dramen ab. Ganze Stadtteile werden durch Sanierung oder Umbau aufgewertet. Was per se nichts Schlechtes ist, würde in der Folge nicht die ansässige Bevölkerung durch wohlhabendere Bevölkerungsschichten verdrängt.
Bekannt ist der sozioökonomische Strukturwandel großstädtischer Viertel durch eine Attraktivitätssteigerung zugunsten zahlungskräftigerer Eigentümer und Mieter. Zu beobachten ist dies in Berlin ebenso wie in Bad Homburg oder London. In allen drei Städten hat die Autorin gelebt. In der Kurstadt ist sie ab dem siebten Schuljahr aufgewachsen, hat am Kaiserin-Friedrich-Gymnasium (KFG) ihr Abitur gemacht und bis heute ihren Zweitwohnsitz. In London lebt sie mit ihrer Familie. Hier wurde sie durch den Immobilien-boom in der City für das Hauptthema ihres zweiten Romans mit dem einprägsamen Titel „Räuber“ sensibilisiert.
„In England kann man sich ansehen, wie es hier nicht werden darf“, sagt Eva Ladipo. Vor dem Hintergrund, dass sich seit 2007 die Mieten in vielen deutschen Städten mehr als verdoppelt haben, vor allem in großen Metropolen, ist dies eine ernstzunehmende Warnung. Aber auch im Speckgürtel der Städte und auf dem Land wird das Wohnen immer teurer. Selbst mit mittlerem Einkommen ist es eine immer größer werdende Herausforderung, überhaupt eine Wohnung zu finden. Ob diese dann den eigenen Vorstellungen entspricht, ist eine andere Frage. Vor dem Hintergrund, dass immer mehr Menschen aus ihren Wohnungen und angestammten Vierteln verdrängt werden und dass immer mehr Gehalt für die Miete draufgeht, dürfte das Gros der Leser Sympathie für die Protagonisten des Romans mitbringen.
Zu ihnen gehört der Hilfsarbeiter am Bau, Olli Leber. Er lebt mit seiner verhärmten Mutter, einer Hartz-IV-Empfängerin, in einer heruntergekommenen Sozialwohnung am Rand des Prenzlauer Bergs. Im Gegensatz zu seinem Cousin Mark Kaiser will der 25-Jährige sich nicht erneut – es wäre das dritte Mal – vertreiben lassen. Er will in „seinem“ Viertel wohnen bleiben. „Bei ihrem Umzug vor elf Jahren war die Gegend ein zurückgebliebenes Armenviertel gewesen. Niemand mit Geld hatte jenseits des S-Bahn-Rings wohnen wollen. Die Ringbahntrasse war die neue Mauer, sie hatte Arm und Reich zuverlässig voneinander getrennt. Dass diese neue Mauer noch schneller fallen sollte als die alte, hätte niemand für möglich gehalten. Diese verdammten Gleise hatten ihn in Sicherheit gewiegt.
Doch Olli kämpft gegen den drohenden Rauswurf aus dem abbruchreifen Haus in der fiktiven, maroden Sozialbausiedlung an, als diese an einen Investor verkauft werden und die Sozialbindung aufgehoben wird. Er wird für die Bewohner, die keine Lobby, keine Stimme und meist keine Kraft haben, sich zu wehren, zum Hoffnungsträger. In der bekannten Journalistin Amelie Warlimont findet Bauarbeiter Olli eine unverhoffte Mitstreiterin in seinem Kampf gegen die Reichen, Schönen, Mächtigen und Skrupellosen.
Amelie ist gerade zum zweiten Mal Mutter geworden, wurde von ihrem Mann Stefan, Chefredakteur der von der Schließung bedrohten „Post“, betrogen. Sie ist vollkommen frustriert. Kein Wunder, denn ihr Alltag spielt sich zwischen Stillen und Windeln-Wechseln, Kochen und Haushalt, Kindergarten und Spielplatz ab. Erst als sie Olli kennen und lieben lernt, erwacht sie aus ihrer Lethargie.
Den Feind und Schuldigen an der Misere der ausgebooteten Mieter verkörpert Ex-Finanzsenator Falk Henning, der dem Vorstand einer Maklerfirma für Luxus-Immobilien angehört. Amelie versuchte bereits vergeblich, ihm zusammen mit einem Kollegen Jahre zuvor Korruption nachzuweisen. Reichtum, Glanz und Glamour, Klischees, Vorurteile, soziale Diskrepanzen, Kriminalität, Verdrängte und Verdrängtes, aber auch Sex und Liebe bilden außer politischem Versagen und Korruption den Treibstoff der packenden Handlung. Versehen mit Anklängen an Sozialromantik lädt der Roman zum Träumen von einer gerechteren Welt ein. Möglich wäre diese, wenn sich unterschiedliche Schichten solidarisierten. Ob es den Mietern gelingt, ihr Haus vor dem Abriss zu retten, erfahren die Leser des Romans.
!Das Buch „Räuber“ von Eva Ladipo, 541 Seiten, ist im Blessing Verlag München erschienen, ISBN 978-3-89667-678-8