Bad Homburg (jas). Die Erwartungen sind hoch. Viele, die an diesem Donnerstagabend im Kurtheater Platz genommen haben, können sich noch sehr genau an seinen brillanten Auftritt in der Erlöserkirche erinnern. 2021 war das, als Ben Becker im Rahmen des Poesie- und Literaturfestivals in die Rolle des gehassten Verräters Judas geschlüpft war. So oder vielleicht noch etwas besser soll es wieder werden, hofft das Publikum. Und um es gleich vorwegzunehmen: Auch diesmal werden die Zuschauer nicht enttäuscht. Mitgebracht hat der beliebte und bekannte Schauspieler Joseph Conrads Roman „Herz der Finsternis“ – ein Buch über Rassismus und Kolonialismus, über Ausbeutung und Grausamkeit, über Dämonen und die Abgründe des menschlichen Seins.
Becker ist die Idealbesetzung für diesen Roman, für diese Rolle. Nicht nur, weil er den Namen des Autors Joseph Conrad als Tattoo auf seinem linken Arm unter der Haut trägt, sondern auch, weil er von der Reise ins Herz der Finsternis mehr als jeder andere zu wissen scheint. Der Ausnahmeschauspieler taucht ein in die Rolle des desillusionierten Kapitäns Charlie Marlow, der auf einem kleinen Dampfer flussaufwärts in die feindliche Umgebung des tückischen Kongo und in einen Albtraum hineinsteuert.
Noch bevor Ben Becker die mit wenigen Requisiten ausgestattete Bühne betritt, ist er präsent. Nur seine Stimme ist zu hören – tief, tönend und kraftvoll – und bereits ungesehen ist ihm zu diesem Zeitpunkt die volle Aufmerksamkeit des Publikums sicher. Langsam tritt er aus der Dunkelheit des Bühnenrands ins Scheinwerferlicht. Nicht etwa in feinem Zwirn, sondern in olivgrüner Uniform, darunter ein schwarzes Ripp-Unterhemd, die Hose etwas unter den Bauch gerutscht. Es ist nicht mehr Ben Becker, sondern der Seemann Marlow, der da an den Tisch tritt, mit dem Rücken zum Publikum gewandt eine Raviolidose öffnet und schließlich etwas schwerfällig Platz nimmt. Was auf dem Tisch ausgebreitet ist, zeigt eine kleine Kamera – eine selbstgebaute Konstruktion, wie Becker später erzählt, äußerst wirkungsvoll, wie sich schnell zeigen wird. Auf dem Tisch verteilt sind eine Miniaturpistole, einige Schwarz-Weiß-Fotos von Eingeborenen, ein Comic und eben besagte Konservendosen. Im Hintergrund läuft ein Tonbandgerät, Geräusche des Dschungels sind zu hören.
Ben Becker alias Marlow nimmt seine Zuhörer mit auf eine abenteuerliche Flussreise ins Herz Afrikas und ins Herz der Finsternis. Im Auftrag einer belgischen Handelsgesellschaft übernimmt er das Kommando auf einem schäbigen Flussdampfer in der Spätzeit des europäischen Kolonialismus. Auf allen Handelsposten begegnet ihm sinnloses Chaos und eine fürchterliche Ausbeutung der Schwarzen. „Und Elfenbein klingelte in aller Ohren“, spricht Becker ins Dunkle des Zuschauerraums. Als er von Kurtz, dem erfolgreichsten Elfenbein-Agenten der Gesellschaft erfährt, der am Ende des Flusses ein zügelloses Leben und zweifelhafte Geschäfte führt, packt ihn ein seltsames Fieber: Er will diesen Kurtz unbedingt treffen, und seine Reise wird zur Entdeckungsfahrt zu den dunklen Seiten des eigenen Ich. Schließlich die Erkenntis: „Der Mensch ist ein bösartiges Tier.“
Francis Ford Coppola hat Conrads Novelle zur Grundlage seines Vietnamfilms „Apocalypse Now“ gemacht, die Rolle von Kurtz spielt Marlon Brando. Der Film von 1979 erhielt die Goldene Palme in Cannes, zwei Oscars, drei Golden Globe Awards sowie zahlreiche Nominierungen.
Für Ben Becker gab es als Dankeschön für den beeindruckenden und intensiven Abend im Rahmen des Poesiefestivals stürmischen Applaus, der nicht enden wollte. Mehrfach trat der Schauspieler aus dem Dunkel heraus in die Bühnenmitte, um sich feiern zu lassen und seine Fans mit einem „Ich liebe euch“ zu bedenken. Und nicht nur das: Erneut, so Becker, sei es schwere Kost gewesen, die er mitgebracht habe. „Aber auch böse Geschichten müssen erzählt werden.“ Nächstes Mal jedoch, wenn er wieder nach Homburg zum Festival komme, bringe er etwas Heiteres mit. Versprochen. Man darf gespannt sein!
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