Songs zwischen poppiger Folklore und Chanson

Wenn es jemand schafft, einen originellen Song über graue Haare zu machen, dann sie: Luisa Sobral. Foto: nl

Bad Homburg (nl). „It’s fashion“, die gepflegt gekleidete Brasilianerin mittleren Alters, die den superlässigen Oversized-Look der Künstlerin goutiert, kam eigens zusammen mit ihrer Freundin, ebenfalls eine Brasilianerin, aus Köln zum Konzert von Luisa Sobral in den Speicher des Kulturbahnhofs. Es sind die feinsinnigen und humorvollen Texte, die die Portugiesisch sprechenden Konzertbesucher so sehr lieben, dass sie offenkundig bereit sind, für einen Abend mit der völlig unprätentiös auftretenden Luisa Sobral weite Wege auf sich zu nehmen – selbst aus der Musikstadt in den Vordertaunus.

Und tatsächlich: Auch diejenigen im Publikum, die nur den Klängen und der Stimme lauschen können, folgen fasziniert Luisa Sobrals kleinen Geschichten, die sie zu jedem ihrer Songs auf Englisch erzählt. Darunter sind Anekdoten aus ihrem Leben, aus der Zeit ihrer Schwangerschaft, den Coronamonaten – in denen sie, satt von Pandemienachrichten, ein Liebeslied schrieb – und sie berichtet davon, wie sehr sie stets auf der Suche nach guten Geschichten in der Zeitung ist, die sie dann in Musik verwandelt.

Ihre Stimme hat in den tiefen Tönen den Touch von Joni Mitchell, wenn sie ihre Lieder zum Besten gibt. Die Songs liegen zwischen poppiger Folklore und Chanson und greifen manchmal auch eine eigenwillige Mischung aus Pop und Jazz auf. Ihre Band: drei Musiker, die mit Kontrabass, E-Gitarre und Schlagzeug die Künstlerin begleiten. Sie selbst spielt zu ihren Songs auf der Akustikgitarre.

Tags zuvor, so erzählt Luisa Sobral, seien sie erst gegen 23 Uhr in Bad Homburg eingetroffen. Alles, was es noch gegeben habe, sei ein Weizenbier zum Abendessen gewesen. Ein Schnitzel kurz vorm Auftritt rundete den lukullischen Beginn ihrer Deutschland-Tournee in Bad Homburg stilecht ab, wie sie belustigt erzählte. Das Publikum im Saal – der nahezu bis auf den letzten Platz besetzt ist – ist schon nach ein paar Klängen vollends verzaubert von der einfallsreichen Instrumentierung, von den Songs, die manchmal die Weichheit eines Gute-Nacht-Lieds haben, vom Lied über die Ukraine oder etwa vom Trompeten-Solo ohne Trompete. Als die sympathische Luisa Sobral das Blasinstrument in einem Solopart nur mit ihrer Stimme imitiert, sind die Zuhörer begeistert. Als der E-Gitarrist beim Solo „Per Tio“ („For You“) helfen muss, weil der Kapodaster Probleme macht, lächelt sie schlagfertig die entstehende Pause weg: „What an independent woman I am.“

Aus einer portugiesischen Adelsfamilie stammend und sogar entfernt verwandt mit dem Hause Hohenzollern schrieb die 34-Jährige 2017 für ihren jüngeren Bruder Salvador Sobral den Gewinnersong beim Eurovision Song Contest (ESC). Sie lernte mit zwölf Jahren Gitarre spielen, und als offenkundig sehr fantasiebegabtes Kind schrieb sie gleich ihr erstes Lied, das von ihrer eigenen Scheidung handelte. Die allerdings, berichtet sie lachend, sei bis heute noch nicht eingetroffen. Als Teenager mit 16 Jahren nahm Luisa Sobral an der portugiesischen Variante von „Deutschland sucht den Superstar“ teil und wurde Dritte. Ihre Zugabe an diesem wundervollen Abend widmet die vierfache Mutter allen Müttern, die sich gegenseitig ganz häufig die so dringend benötigte Solidarität absprechen. Die Percussion zu diesem Song entsteht auf einer Gemüsereibe, einem Topf und mit einem Schneebesen.

Luisa Sobral liefert eine beeindruckende Performance ab, die ganz unaufgeregt, ungemein professionell und trotz manch disharmonischem Klang, der sich ab und an dazwischenmogelt, ein von ihr begeistertes Publikum zurücklässt.



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