Bad Homburg. Die Zahl der „Stolpersteine“ in der Kurstadt ist am Montag auf 61 angewachsen. Zum sechsten Mal seit 2016 war der Künstler Gunter Demnig in der Kurstadt und verlegte diesmal in der oberen Louisenstraße fünf Steine mit der markanten goldglänzenden Messinghaube, fünf weitere Mahnmale wider das Vergessen grausamer nationalsozialistischer Vernichtung. Verlegt wurden die Steine zur Erinnerung an Mitglieder der Familie Ackermann, sieben Nachfahren waren aus diesem Anlass aus Israel und den USA angereist.
Vor seiner eigentlichen Arbeit macht Gunter Demnig das, was sonst oft stille Helfer im Hintergrund machen. Er putzt mit bedächtiger Hand bereits von ihm verlegte Stolpersteine in der Louisenstraße, am Eingang zur Passage zwischen Woolworth und Peek & Cloppenburg. Sie erinnern an die Familien Din- kelspühler, Sandberg und Dornberg. An dieser Stelle war der letzte frei gewählte Wohnort der jüdischen Familien, nur dort sollen die Erinnerungssteine verlegt werden.
So wie jetzt für Salomon Ackermann und seine Ehefrau Gertrud, für deren Söhne Edmund und Julius Edmund und für Mina Götz. Eine Leder- und Fellhandlung hat Salomon Ackermann in Höhe der heutigen Louisenstraße 23 betrieben, bevor die Familie „unfreiwillig verzogen“ ist, bevor die Söhne in Richtung Palästina und USA geflüchtet sind. Die Recherchen der Nachfahren sind Grundlage einer aufwendigen Dokumentation der Familiengeschichte der Ackermanns. Gunter Demnig arbeitet am Boden, während andere im Stehen Lebensgeschichten in Kurzfassung am Mikro erzählen. Auch die Menge der aufdringlichen Fotografen stört den Meister nicht, das kann er alles ausblenden bei der Arbeit an seinem wichtigsten Lebenswerk. Gunter Demnig, der Mann aus dem Vogelsberg, kniet immer wieder nieder. Die Idee für das konzeptuelle Kunstwerk der „Stolpersteine“ ist 30 Jahre alt, den ersten hat er am 16. Dezember 1992 vor dem Kölner Dom als Mahnmal ins städtische Straßenpflaster gepflanzt.
Der 100 000. Stein im Jahr 2023
Inzwischen gibt es sie in mehr als 1300 Orten, in 30 europäischen Ländern zwischen Hammerfest und Saloniki, zwischen Moskau im Osten und Reims im Westen. Die meisten, vor allem in Deutschland, hat Demnig selbst verlegt, um die 96 000 sind es bisher, jetzt freut er sich auf den 100 000. Stein. Nächstes Jahr soll es so weit sein. In aller Bescheidenheit, an einem schlichten Ort, großes Gedöns mit viel Prominenz passt nicht so sehr zu dem Mann in Arbeitshose mit Hut und Knieschoner, der nächste Woche seinen 75. Geburtstag feiert.
Wer den Text auf den Stolpersteinen lesen will, muss niederknien wie der Erfinder, Künstler und Handwerker der Stolperstein-Aktion. Muss niederknien, um Namen und Zahlen aufzunehmen, Erinnerung an ein Leben und meist einen brutalen Tod in sechs bis sieben Zeilen. Eingraviert in eine Messingplatte, fest verbunden mit einem schlichten, kleinen, vierkantigen Stein. „Hier wohnte Salomon Ackermann, JG 1883 ….“ Es ist ein strahlender früher Oktobermorgen, die Protagonisten der kleinen Zeremonie, Stadtverordnetenvorsteher, Bürgermeister, Dekan und Vorsitzender der Bad Homburger Initiative Stolpersteine, haben ihre Reden vor den Nachfahren der NS-Opfer und rund 100 Besuchern, darunter viele Schüler, bereits ein Stück weiter unten beim offiziellen Akt auf dem Waisenhausplatz gehalten. „Steine gegen das Vergessen“ steht auf einem Transparent neben den Rednern, „Steine, die erinnern sollen, Herz und Seele bewegen sollen“, wie es in allen Reden mit unterschiedlicher Betonung heißt. Imrich Donath von der Jüdischen Gemeinde Bad Homburg hat das Totengebet Kaddish bereits vor der Verlegung der Steine gesprochen, es ist der letzte Tag des traditionellen jüdischen Laubhüttenfests.
Der Zement ist noch nicht trocken, die neuen Stolpersteine gerade einmal frisch abgewischt, da ist Gunter Demnig schon wieder auf dem Weg zum Auto mit Werkzeug und Material. Vor den glänzenden Steinen liegen frische weiße Rosen, Demnig muss weiter, in der Nähe von Bonn sind Steine zu verlegen, dann mal wieder in Köln. Seine Mission auf den Pfaden zur Erinnerung ist noch nicht beendet.
In Bad Homburg haben sie noch am nächsten Tag von ihm geredet, bei einem Thementag im Kaiserin-Friedrich-Gymnasium. Schüler der Jahrgangsstufe E, im Gespräch mit dem Oberbürgermeister der Stadt, Alexander Hetjes, vor allem aber mit den Zeitzeugen-Nachfahren, die von weit angereist waren, auch um über die Pflicht zum Erinnern und Nie-Vergessen zu reden.
Rund 130 Schüler haben über das Jahr die Stolpersteine geputzt und gepflegt, das KFG richtete deshalb die begleitende Schulveranstaltung aus.