Bad Homburg (nl). Es gibt Abende, an denen man spürt: Hier geschieht etwas Besonderes, etwas, das nicht einfach im Kalender der großen Kulturereignisse vorbeizieht, sondern sich einschreibt in die Erinnerung einer Region. So war es, als nun Richard Wagners „Tannhäuser“ in der Erlöserkirche zur Aufführung kam, in historisch informierter Praxis, getragen von einem gewaltigen Ensemble und dem besonderen Klangraum einer Kirche, der die Musik auf einzigartige Weise formte.
Die Erlöserkirche hat mit Wagner bereits Geschichte geschrieben: 2013, zum 200. Geburtstag des Komponisten, wurde dort „Parsifal“ erstmals vollständig in einem Kirchenraum aufgeführt. Das Experiment, Wagners „Bühnenweihspiel“ in den sakralen Kontext zu stellen, wurde damals zu einem intellektuellen wie ästhetischen Ereignis, das weit über Bad Homburg hinaus Resonanz fand. Nun, ein Jahrzehnt später, hat sich die Kirche erneut Wagner zugewandt, diesmal „Tannhäuser“, jenem Werk, das zwischen heiliger und profaner Liebe, zwischen Vernunft und Sinnlichkeit, zwischen Wald und Wartburg, Natur und Konvention changiert.
Gerade in diesem Spannungsfeld fand die Erlöserkirche einen idealen Resonanzboden. Der Klang entfaltet sich hier nicht in einem Opernhaus, sondern unter gotisch anmutenden Gewölben, getragen von dem langen Nachhall, der den Stimmen Wärme und Schwere zugleich verleiht. Orchester und Sänger verschmelzen in einer Weise, die man so nur im Kirchenraum erlebt: Die Blechbläser strahlen, ohne scharf zu wirken, die Streicher leuchten mit besonderer Transparenz, und die Chöre füllen den Raum mit einer Wucht, die erhaben wirkt, ohne überwältigend zu sein.
Besonders reizvoll: die historisch informierte Aufführungspraxis, die bei Wagner bis heute eine Seltenheit darstellt. Mit Instrumenten, die dem Klangbild der Bayreuther Uraufführungszeit nahekommen, gelang dem Orchester unter der Leitung von Susanne Rohn eine bemerkenswerte Balance zwischen Klarheit und Farbenreichtum. Die Hörner, noch mit jener leicht herben Patina, schufen eine fast archaische Aura; die Holzbläser zeichneten die Linien von inniger Melancholie. Hier öffnete sich eine Klangwelt, die Wagner aus der bekannten Monumentalität löste und ihm zugleich neue Frische verlieh.
Rohn erwies sich einmal mehr als Inspiratorin dieses außergewöhnlichen Projekts. Mit sicherer Hand führte sie das große Ensemble, rund 65 Musikerinnen und Musiker, zehn Gesangssolisten und mehrere Chöre, durch die vielschichtige Partitur. Dass bei einem solch aufwändigen Unterfangen alles so geschlossen, so organisch wirkte, war nicht zuletzt ihrem präzisen, zugleich atmenden Dirigat zu verdanken.
Die Solisten traten mit beeindruckender Hingabe auf. Jede Stimme erhielt Raum, sich zu entfalten, ohne die Balance des Gesamten zu gefährden. Gerade in den großen Ensembleszenen zeigte sich, wie sorgfältig abgestimmt hier gearbeitet wurde. Der berühmte Sängerkrieg auf der Wartburg gewann in der Akustik der Erlöserkirche eine besondere Dramatik: Die Stimmen hoben sich deutlich voneinander ab und verschmolzen doch im gemeinsamen Raumklang.
Doch es war nicht nur die musikalische Exzellenz, die diesen „Tannhäuser“ prägte. Es war das Projekt als Ganzes, das einen Abend von außergewöhnlicher Intensität entstehen ließ. Eine Wagner-Oper in einer Kirche, das bleibt ein Wagnis, aber eines, das in Bad Homburg mit bemerkenswerter Sensibilität getragen wird. Der sakrale Raum wirkt nicht als bloße Kulisse, sondern als Mitspieler, als Resonanzraum für jene Fragen nach Schuld, Buße, Liebe und Erlösung, die im Zentrum der Oper stehen. So wurde die Aufführung nicht allein zu einem musikalischen Höhepunkt, sondern zu einem kulturellen Ereignis für das gesamte Rhein-Main-Gebiet. Hier verbinden sich intellektueller Anspruch, künstlerische Leidenschaft und der Mut, ungewöhnliche Wege zu gehen. Schon „Parsifal“ hat dies eindrücklich bewiesen, und mit „Tannhäuser“ wurde diese Linie eindrucksvoll fortgeführt. Man wird noch lange darüber sprechen und sich erinnern an diese Abende, an denen Wagner in Bad Homburg nicht nur gespielt, sondern neu erfahren wurde.
Standing Ovations unter goldenen Mosaiken: Wagner trifft auf Erlöserkirche. Die Musiker und Dirigentin Susanne Rohn (Mitte) nehmen den Applaus entgegen. Foto: nl