Das Wahre, Schöne, Gute in Szene gesetzt

Zu einer öffentlichen Probe der Bachkantate „Gott, der Herr, ist Sonn und Schild“ hat Organistin Susanne Rohn (am Dirigentenpult) eingeladen. Die Chance, die Sänger des Bachchors sowie die Musiker des Orchesters bei ihrer Arbeit zu erleben, wollen sich zahlreiche Besucher der Bad Homburger Kulturnacht nicht entgehen lassen. Foto: fk

Von Janine Stavenow

Bad Homburg. Schlangestehen für einen Besuch der Landgrafengruft. Obwohl an anderen Orten in der Stadt am Samstagabend Musik, Theater und Malerei lockten, ließen sich zahlreiche Besucher der Bad Homburger Kulturnacht die Gelegenheit nicht entgehen, die letzte Ruhestätte der Landgrafen und ihrer Familien im Gewölbe tief unter der Schlosskirche zu besuchen. Hinab zu den 77 dort beigesetzen Särgen führte eine schmale Stiege. Ein bisschen Mut gehörte dazu, den Abstieg zur Grabkammer der Hessen-Homburger zu wagen. Doch wann bietet sich schon einmal eine solche Gelegenheit?

Wer weniger mutig sein wollte an diesem Abend und lieber Kultur pur oberirdisch genießen mochte, der hatte in der etwas verregneten Kulturnacht die Qual der Wahl. An vielen Orten in Bad Homburg – auf Bühnen und in Kirchen, in Museen und Galerien, in der Bibliothek und im Archiv, aber auch im Gustavsgarten und in der Volkshochschule –waren Kulturhungrige bestens aufgehoben. Im Mittelpunkt der diesjährigen Kulturnacht aber stand die Kulturmeile Dorotheenstraße, die am Samstag ihren zehnjährigen Geburtstag feierte.

Und wie hätte eine Geburtstagsparty besser beginnen können als mit einem großen Glockenläuten der beiden mächtigen Kirchen, die in genau dieser Straße zu finden sind? Lautstark riefen sie wenige Minuten vor Beginn der Kulturparty um 19 Uhr die Geburtstagsgäste herbei. Die ließen sich nicht lange bitten, sondern strömten aus allen Richtungen in die Straße, die Kultur verschiedenster Art auf einigen hundert Metern Länge vereint.

Ihren Namen bekam sie einst von Elisabeth Dorothea von Hessen-Darmstadt, die 1700 den späteren Landgrafen Friedrich III. Jakob geheiratet hatte. Eine gebildete und kultivierte Frau, die gedichtet, musiziert, Kirchenlieder verfasst und eine besondere Begabung für Sprachen hatte. Wer mehr über die Geschichte der Häuser in der Dorotheenstraße und die Verwandlung zur Kulturmeile wissen wollte, den lud Architektin Ruxandra-Maria Jotzu zu abendlichen Architekturspaziergängen ein. Ein Angebot, das viele Besucher sehr gerne annahmen. In großen Gruppen und von Regenschirmen beschützt schlenderten sie die Kulturmeile entlang.

In der St.-Marien-Kirche war Eile angesagt, denn nur wenige Minuten vor dem Start des angekündigten Orgelkonzerts mit Bernhard Schmitz-Bernard und Thorsten Conrady war der Taufgottesdienst der italienischen katholischen Gemeinde in der Kurstadt zu Ende gegangen. Flugs nahm der Organist an seinem Instrument Platz, und Pfarrer Werner Meuer begrüßte die Kulturgäste, die auf den Kirchenbänken Platz genommen hatten. „Happy birthday, Dorotheenstraße“, rief er als erster Gratulant an diesem Abend, bevor er das Engagement der Stadt und der Kulturschaffenden lobte, die abermals eine Kulturnacht mit umfangreichem Programm auf die Beine gestellt hatten. „Das Wahre, Schöne und Gute, so wie die Inschrift an der Alten Oper in Frankfurt lautet, soll heute Abend lebendig und in Szene gesetzt werden“, so Meuer.

Diesem Grundsatz folgte der Organist, der mit Antonio Vivaldis Concerto in h-moll den Auftakt in der schön beleuchteten Kirche machte und Léon Boëllmanns Suite gothique folgen ließ. Thorsten Conrady hatte von Max Reger „Morgenglanz der Ewigkeit“ und „Nun komm der Heiden Heiland“ sowie Bachs Passacaglia und Fuge in c-moll herausgesucht.

Anschließend ging es zurück in die Dunkelheit, mittlerweile hatte Regen eingesetzt. Aber davon ließen sich die Kulturnachtbesucher nicht abschrecken. Schließlich standen weitere Höhepunkte an. Schräg gegenüber des Gotteshauses in der Stadtbibliothek zum Beispiel. Dort trugen die Bänkelsänger vom „Duo Profondo“ dramatische Moritate vor. Wer es noch schauriger haben wollte, der war im Gruselkabinett richtig oder konnte das geheimnisvolle Gedichtorakel befragen.

Die Dorotheenstraße wieder hinauf, das Landgrafenschloss im Blick, waren die Jakobshallen der Galerie Scheffel ein attraktiver Zwischenstopp. Unter dem Titel „The Light in Darkness“ konnten in der einstigen Kirche und späteren Turnhalle 40 Skulpturen, Reliefs und Zeichnungen des documenta-Künstlers Nigel Hall bestaunt werden. Große Kunst bot darüber hinaus das Sinclair-Haus an der Ecke Löwengasse. Zu jeder vollen Stunde starteten im Museum Kurzführungen durch die aktuelle Ausstellung „Sand – Ressource, Leben, Sehnsucht“.

Ganz in ihrem Element an diesem besonderen Abend war die Organistin der evangelischen Erlöserkirche, Susanne Rohn. Während die Besucher in warme Jacken gehüllt im Gotteshaus Platz nahmen, ging Dirigentin Rohn in kurzer Hemdbluse an die Arbeit. Ihr Vorhaben: den Besuchern einen Einblick in die Probenarbeit zur Bachkantate „Gott, der Herr, ist Sonn und Schild“ zu geben.

„Das finde ich ja total süß, dass so viele Leute gekommen sind“, sagte sie zum Publikum gewandt, und man glaubte ihr aufs Wort. Nach einigen Worten zum Vorgehen und zum Stück spielten sich die Orchestermusiker ein, und Rohn positionierte Chorsänger und den Paukisten nach ihren Vorstellungen. Ganz besonders hob sie die drei Hornisten hervor, die auf alten Instrumenten musizierten. Nicht nur eine besondere Herausforderung, sondern auch ein seltener Hörgenuss. „Und wehe! Tonaufnahmen sind heute Abend verboten“, warnte Rohn. „Es ist nur eine Probe. Ich möchte nicht, dass Aufnahmen davon im Netz landen.“ Doch nur kurz erhob die Organistin den warnenden Zeigefinger, dann ging es auch schon weiter.

Wieder hinaus aus der Kirche, die mit Kerzen beleuchteten Treppenstufen hinab und unter der mächtigen Zeder hindurch zum Schloss führten die letzten Schritte des abendlichen Spaziergangs. Gleich zwei Ausstellungen nahmen dort mit auf eine Zeitreise durch die Jahrhunderte. Während zum einen die Schlossgeschichte lebendig wurde, ging es zum anderen in der Bibliothek und im Ahnensaal um die Landgrafen. Die Landgrafenzeit in Bad Homburg begann mit Friedrich I. (1585-1638) und endete mit Ferdinand (1783-1866) – dem Landgrafen, dessen Sarg auf dem letzten freien Platz in der Grabkammer unter der Schlosskirche beigesetzt wurde.

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