Bad Homburg. Die Kurstadt ist zurück in der großen Tenniswelt. Im zweiten Anlauf haben die „Bad Homburg Open“ am Sonntag begonnen. Eine Woche vor dem Saisonhöhepunkt im Londoner Südwesten wird wieder dort gespielt, wo schon 1876 züchtig gekleidete Menschen das immer noch beliebte Rückschlagspiel auf Rasen pflegten. Verweise auf das sehnlich erwartete Ereignis finden sich überall in der Stadt, wirklich wahrgenommen wird es live nur in einem engen Umkreis im schönen Kurpark. Dafür gehen bunte TV-Bilder um die Welt.
Ein Hauch von Wimbledon, hier und da ist er zu spüren, wenigstens ein bisschen. Schick gekleidete Damen mit großen Hüten, die langsam über die Brunnenallee spazieren, die Spielbank in Sichtweite, das Kaiser-Wilhelms-Bad von seiner besten Seite, mächtige Kurpark-Bäume, die angenehmen Schatten werfen an diesem heißen Wochenende. Ein Hauch von Klein-Wimbledon, damit gibt man sich in der Kurstadt ja zufrieden. Wenn sich distinguierter Smalltalk in internationalem Sprachmodus mischt mit den Arbeitsgeräuschen auf den Nebenplätzen im Hintergrund, könnte man sich für Momente hineinträumen in den Londoner Südwesten. Statt Erdbeeren mit flüssiger Sahne eben italienisches Eis am Kaiserbrunnen, gekühlte Bällchen, hervorgezaubert von freundlichen Herren unter goldenen Hauben. „Wir sehen uns nächste Woche in Wimbledon“, scherzen sie lächelnd mit der Kundschaft.
Von Bauzäunen mit grauen Planen umgeben tauchen die beiden Nebenplätze am Seitentrakt des Kaiserbades auf. Von dort kommt das dumpfe Ploppen von Ball und Schläger, untermalt von unerbittlich andauerndem Stöhnen junger Frauen in den unterschiedlichsten Ton- und Ausdruckslagen. Hier kämpfen die Qualifikantinnen am Eröffnungstag bei gefühlten 36 Grad Celsius in glühender Nachmittagssonne um einen Platz im Hauptfeld. Die Siegerinnen dürfen dann später auf dem Centre Court vor Publikum ihre Schlagfertigkeit beweisen. „Die ergänzen sich ja beim Stöhnen“, flüstert eine Dame ihrem Begleiter zu. Sehen kann sie kaum etwas durch einen Schlitz, das ist so gewollt, deswegen die Planen. Ansammlungen von Menschen sollten in Corona-Zeiten unbedingt vermieden werden.
Mitfiebern auf Zehenspitzen
Natürlich sind trotzdem „Kiebitze“ da, lugen vom Paul-Ehrlich-Weg hinunter auf den Spielplatz. Ein großer Mann wippt auf Zehenspitzen auf einer Bordsteinkante, um mehr zu sehen, fiebert mit. Dort spielt Katerina Siniakova mit vollem Einsatz. „Ich bin Fan, ich bin Slowake, sie ist Tschechin.“ Das soll reichen.
Überraschende Begegnung zwischen Brunnenallee und Nebenplätzen. Die junge Frau im fliederfarbenen Tennis-Outfit bereitet sich völlig gelassen mit Dehnübungen an einem Verkehrsschild auf ihren Einsatz vor. „Habe ich mir selbst so ausgesucht“, lacht sie ganz entspannt, von Nervosität keine Spur. Noch kennen sie hier nicht viele, eine Stunde später schon. Nach ihrer Premiere auf dem Centre Court mit Live-Übertragung im TV. Mara Guth, die am Sonntag noch 17-Jährige aus Usingen, ist angekommen in der großen Tenniswelt, lässt aufhorchen bei ihrer Premiere mit Wildcard. Der Kurdirektor und der Oberbürgermeister applaudieren auf der Tribüne außerhalb des VIP-Bereiches, froh wie der Veranstalter, dass schließlich immerhin 600 Zuschauer pro Tag zugelassen worden sind.
Ein bisschen anders hatten sich das alle vorgestellt. Für die Haupttribüne waren 3500 Sitzplätze vorgesehen, der Zuspruch war groß, als die Premiere im vergangenen Jahr lockte. Fast alle Tickets für alle Tage waren schnell verkauft. Sie konnten übertragen werden, und doch mussten viele jetzt draußen bleiben, nur die Schnellsten kamen beim Online-Umbuchen zum Zuge. Keine Flaniermeile für das Laufpublikum, von der ein Blick auf das Geschehen im innersten Zentrum zu erhaschen ist. Der VIP-Eingang zu den Lounge-Zelten dezent getarnt an der Rückseite des historischen Clubhauses des TC Bad Homburg, auf der anderen Seite können Flaneure auf die Warte- und Chillzone der Zuschauer der zweiten Kategorie schauen. Mit Stühlen unter Sonnenschirmen vorm Food Truck und Klappliegestühlen im Halbschatten der Kurparkbäume.
„Irgendwie nicht so spannend“, findet die halbwüchsige Tochter. Die superheißen Super-Boliden mit Mega-Motoren unter der Haube von einem der Hauptsponsoren findet sie auch nicht spannend. Als Lockmittel mit Preisschild weit jenseits der 100 000-Euro-Marke stehen sie zu zweit vor dem schicken weißen Ticket- und Info-Zelt, gleich im halben Dutzend vor dem „Turnierhotel“ Steigenberger ein paar hundert Meter weiter, in dem fast alle wohnen. Für Shuttle-Dienste (Motto: „Auf der Ideallinie zum Matchsieg“) etwa zwischen Hotel und Tennisanlage oder den Trainingsplätzen bei der HTG am schmucklosen Stadtrand, damit die Spielerinnen immer in ihrer „Bubble“ bleiben können. Trotzdem nehmen viele den Katzensprung mit geschulterter Sporttasche zu Fuß auf sich. Sie sind zu unbekannt, um von den wenigen Fans mit Autogrammwünschen belästigt zu werden.
„Am Römerbrunnen“ in Hörweite des Centre Courts ist die familiär daherkommende Tenniswelt schon zu Ende. In voll besetzter Außenbewirtschaftung interessiert sich niemand für Tennis. Hier sitzen am frühen Abend neben „normalem“ Publikum viele Vier-Sterne-Trikots und Menschen mit Schwarz-Rot-Gold-Kappen, „Schweini“ erklärt am Samstag die Fußballwelt, am Sonntag sind die Italiener dran. Hazels Auftritt auf dem Tennisplatz ist da auch schon vorbei, das Fotoshooting mit dem Maskottchen erledigt. Das riesige Plüsch-Eichhörnchen mit menschlicher Füllung ist in diesen Tagen viel in der Kurstadt unterwegs, um für die „Bad Homburg Open“ zu werben. „Tennis is coming home“ steht auf allen Werbeplakaten, der Traum hat gerade erst begonnen.