Unter dem Verdeck der „Raupe“ erste Küsse ausgetauscht

Beim Kerbetanz im Jahr 1960 hat es zwischen Marianne und Waldemar Wehrheim ordentlich gefunkt. Foto: privat

Bad Homburg (fch). Die Kirdorfer Kerb, die rund um den 24. Juni gefeiert wird, gehört zu den traditionellen Festen im Bad Homburger Stadtteil. In diesem Jahr wollten die Bürger „7 mal zehn Jahre Kirdorfer Kerb“ feiern. Doch musste die Kerb zum zweiten Mal seit 2019 aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden. Das erfüllt Waldemar Wehrheim mit Wehmut, denn er verbindet mit dem Fest viele schöne Erinnerungen.

„Vor 61 Jahren lernte ich beim Kerbtanz beim Metzger-Schorsch meine spätere Frau Marianne kennen. Der schmucke Teenager im himmelblau geblümten Kleid mit Schleifchen an den Ärmeln fiel mir auf der Kerb 1960 sofort auf.“ Vier Jahre später gaben sich Marianne Krämer und Waldemar Wehrheim das Jawort. So wie das Paar haben Generationen von Kirdorfern im überdachten Tanzpavillon Tivoli, in Kirdorf besser unter dem Namen „Diwelje“ bekannt, zarte Bande geknüpft. „Das Kerbtänzchen hatte früher eine große Bedeutung“, sagt der 82-Jährige.

Seit wann in Kirdorf Kerb gefeiert wird, kann keiner sagen. Da der Taunusdom, die katholische St.-Johannes-Kirche, Johannes dem Täufer gewidmet ist, wird der Sonntag nach dem 24. Juni von den Gemeindemitgliedern mit einem Festgottesdienst gefeiert. An diesen schließt sich eine Prozession durch liebevoll geschmückte Gassen und Höfe an. Und die Kirdorfer freuen sich darauf, ihre Kerb in den Straßen und auf den Plätzen des seit 1902 zu Bad Homburg gehörenden Stadtteils zu feiern – auch wenn die Festdauer vor drei Jahren von vier auf drei Tage verkürzt wurde. Begründet hatte der Vereinsring in Kirdorf dies damit, dass es für Vereine immer schwieriger wird, große Veranstaltungen wie eine Kerb über mehrere Tage zu stemmen. Fest steht, dass die bisher bekannte, längste Kerbpause von 1940 bis 1946 dauerte. „Ich kann mich noch gut an die Kerb von 1947 erinnern. Das einzige Vergnügen bot ein Glücksrad in der Kirdorfer Straße. Wer 20 Reichspfennig hatte, der durfte drehen. Wem das Glück hold war, bekam als Gewinn eine Papierblume überreicht. Das war dann aber auch schon alles“, erinnert sich Waldemar Wehrheim. Ein Jahr später wurde eine neue Ära eingeläutet. Bereits eine Woche vor der Kerb wurde der Kerbebaum vor der alten Schule aufgestellt. In der Spitze des Baumes thronte die Kerbelies (Strohpuppe) auf einem Stuhl und hatte alles im Blick. „Am Kerbesonntag standen dann plötzlich Buden mit Süßigkeiten, Grillbratwürsten und Fischbrötchen auf dem Gelände. Die Schiffschaukel zog Halbwüchsige magisch an, die ihre Kraft mit Überschlägen demonstrierten. „Experten schafften dies gleich mehrmals hintereinander.“

Gut in Erinnerung geblieben ist Waldemar Wehrheim diese Kerb auch, weil sie die erste war, in der mit D-Mark bezahlt wurde. „Ein paar Tage vor Kerbebeginn wurde am 21. Juni 1948 die Währungsreform durchgeführt. Es gab noch keine Münzen. Bezahlt wurde mit 50-Pfennig-Scheinen.“ Außer der Schiffschaukel war Anfang der 1950er-Jahre die Berg- und Talbahn, genannt „Raupe“, am Eingang der Weberstraße bei der Jugend beliebt. „Sie hatte ein Verdeck, das während der Fahrt geschlossen werden konnte. Und der der Jugend Schutz bot, um in der Dunkelheit erste Küsse auszutauschen. Der Karussellbesitzer war ein richtiges Schlitzohr. Er klappte oft während der rasenden Fahrt das Verdeck auf, was spitze Schreie der Mädchen nach sich zog.“

Zeiten und Moden überdauert haben die Kinderkarussells. Für Speis und Trank sowie Musik sind heute als Veranstalter die Vereine wie DJK, SKG, Grashoppers und Kolpingfamilie, zuständig. Seit 1989 steht der Hof der Familie Ochs den Kerbebesuchern, zu denen viele ehemalige Kirdorfer gehören, offen. Zu den Höhepunkten der Kerb gehört das Schubkarrenrennen des Karnevalvereins Club Humor für Mitglieder aus den Kirdorfer Vereinen. „Das ist für die Zuschauer immer eine Riesengaudi.“ Auf dem Heimweg werden wie in früheren Zeiten nach reichlich Äpplerkonsum bekannte Trinklieder geschmettert. „In Kirdorf ist immer etwas los, dank der vielen Vereine und aktiven Kirchengemeinden.“ Mit Blick auf die kommende Kerb gibt Waldemar Wehrheim das Motto „better times will come“ seines Lieblingssängers Johnny Cash vor.

Ein Eisbär durfte früher auf keiner Kerb fehlen. Foto: privat

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