Heitere Individuen aus Styropor und Beton

Kunsthistorikerin Claudia Knöpfel vor dem „Ernst des Lebens“: Bei ihrer anderthalbstündigen Führung zu den „Alltagsmenschen“ der Künstlerinnen Christel Lechner und Laura Lechner können sich die Besucher ein Schmunzeln oft nicht verkneifen, zu wenig ernst scheinen die Figuren das Leben zu nehmen, sie strahlen statt Hektik und Ernst eher gelassene Heiterkeit aus.     Foto: Nadine Loibl

Von Nadine Loibl

Eschborn. Sie sitzen und stehen in der Stadt an Straßen und öffentlichen Plätzen, im Grünen und manchmal auch an überraschenden Orten. Aus der Ferne wirken sie wie gute Bekannte, beim Näherkommen entpuppen sie sich als Individuen aus Beton. Die Rede ist von den „Alltagsmenschen“.

Vom 13. Mai bis zum 24. Oktober bevölkern die „Alltagsmenschen“ der Künstlerinnen Christel Lechner und Laura Lechner aus dem Ruhrgebiet ganz Eschborn und Niederhöchstadt. Die mittlerweile fast 200 Alltagsmenschen, die auch in vielen anderen Städten Deutschlands zu sehen sind, sollen den Alltag der Menschen widerspiegeln. Die Männer und Frauen sind meist mittleren Alters, tragen Kleidung der 50er- und 60er-Jahre und ziehen sich durch alle Schichten. Besonders einzelne Figuren bekommen oft Namen, Gruppen eher selten. Die realitätsnahen, lebensgroßen, teilweise auch überlebensgroßen Figuren sollen Teil des Alltags werden und eine Interaktion anstoßen. Deshalb ist es gestattet, sie anzufassen.

Sie sind alle Individuen

Die verschiedenen Figuren haben alle eine individuelle Bedeutung. Obwohl viele ein Berufsbild durch ihre Kleidung abbilden, gelten sie trotzdem als Individuen. Viele verbreiten Ruhe, Gelassenheit und eine fröhliche Stimmung. Der Mann am Westerbach neben dem Eschenplatz, Herr „Oben“, erinnert an Gelassenheit durch seine entspannte Körperhaltung. An ihm kann man sich ein Beispiel für den eigenen hektischen Alltag nehmen. Auch „Holger“ neben der evangelischen Kirche in Eschborn zeigt, wie man die kleinen Momente genießen kann.
Der „Ernst des Lebens“ neben dem Rathaus in Eschborn, inspiriert durch eine Silvesterfeier in Berlin, veranschaulicht durch die Kombination aus Partyhütchen und Anzügen, dass das Leben nicht immer so ernst genommen werden muss. Auch die „Einkaufsfrauen“ in der Unterortstraße in Eschborn nehmen eine kurze Pause, um sich auszutauschen. Allgemein signalisieren die „Alltagsmenschen“, dass nicht immer alles so ernst ist, wie es manchmal scheint. Aus der Ferne sehen die Figuren wirklich aus wie echte Menschen. Man soll sich zuerst einen Eindruck von Weitem verschaffen. Erst durch Nähe und das Zusammenspiel von Licht und Wetter entsteht eine neue Wirkung.

Inspirationen finden sie im Alltag

Die Herstellung ist ein langer Prozess: Eine Figur braucht ca. zwei Monate für ihre Fertigstellung, die „Reise nach J­erusalem“ im Skulpturenpark in Niederhöchstadt sogar ein Jahr. Ihre Inspirationen nehmen die Künstlerinnen vom alltäglichen Leben der Menschen. Tochter Laura Lechner fertigt Skizzen der Figuren an, nachdem im Team überlegt wurde, wie die Figur aussehen soll. Anschließend erschafft Christel Lechner Tonmodelle, und erst danach entstehen die endgültigen Figuren. Sie bestehen aus einem Styroporkern, um den aus Beton die Figur geformt wird. Hohe Figuren werden zusätzlich mit einer Metallstütze stabilisiert. Da Beton schnell trocknet, muss hier zügig gearbeitet werden. Oft gibt es anschließend noch eine Oberflächenglättung, teilweise werden auch Muster eingearbeitet. Bemalt werden die Figuren mit Silikatkreide, die der Witterung standhält. Dadurch entstehen matte, weniger leuchtende Farben. Für kräftige Farben wird Acrylfarbe verwendet. Mit der Zeit entstehende natürliche, kleine Schädigungen werden immer wieder ausgebessert. Der Styroporkern ist notwendig, da Figuren nur aus Beton gar nicht gehoben werden könnten. Der Beton wird in diesem Zusammenhang als leicht und warm dargestellt, wo er doch eigentlich eher fest und schwer ist.

Jeder erhält „seinen“ Platz

Obwohl die „Alltagsmenschen“ hauptsächlich Begeisterung ernten, gibt es auch einzelne kritische Stimmen. Kritisiert wird zu wenig Diversität der Figuren, sie würden den Alltagsmenschen eben nicht realitätsnah abbilden. Da die Figuren aber meist gelobt werden, ist eine Petition in einer anderen Stadt bereits fehlgeschlagen. Einige Bürger der Stadt Sinsheim haben sich gewünscht, dass die Alltagsmenschen nicht erworben werden, um somit langfristig ein Teil der Stadt zu sein. Ihr Vorschlag war, andere Figuren anzufragen, die mehr Diversität zeigen und weitere Teile der Bevölkerung abbilden.
Die Plätze, an denen die „Alltagsmenschen“ stehen, werden mit den Künstlerinnen gemeinsam ausgesucht. Teilweise werden Figuren speziell für bestimmte Orte angefertigt. Obwohl dies für Eschborn nicht der Fall war, passen sie hervorragend in das Geschehen hinein.

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