Friedrichsdorf (fch). Der Titel „Sechs Lieder ohne Worte“ ist untrennbar mit 48 lyrischen Klavierstücken des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847) verbunden. Fast ohne Worte kam auch die musikalische Inszenierung „Echokammern“ des „Cooperativa Ensemble“ am Sonntag im Philipp-Reis-Haus aus.
Dr. Erika Dittrich, Leiterin des Stadtarchivs und der städtischen Museen in Friedrichsdorf, begrüßte die ersten Besucher zum dezentralen Konzert „Echokammern“ im und rund um das Philipp-Reis-Haus. „Mit Johann Philipp Reis (1834-1874) und Prof. Dr. Karl Willy Wagner (1883-1953) haben zwei Männern in Friedrichsdorf gelebt und geforscht, die Töne und deren Entwicklung in den Mittelpunkt ihres Wirkens stellten“, sagte die Museumsleiterin. Physiker und Erfinder Reis hat das erste funktionierende Gerät zur Übertragung von Tönen über elektrische Leitungen entwickelt. Er gilt er als zentraler Wegbereiter des Telefons. Er schnitzte Holzohren, spannte Schweinehaut oder Hasenblasen über ihre Öffnungen, um das Trommelfell zu imitieren. An die Membran befestigte er Platinplättchen und als Gehörknöchelchen diente ihm ein Platinstift, den er an einen batteriebetriebenen Stromkreis anschloss. Wurde in das Ohr gesprochen, dann versetzten Schallwellen die Membran in Schwingung. Dadurch wurden die Kontakte im Stromkreis unterbrochen, wieder verbunden und die Schallsignale in Stromimpulse umgewandelt. Der Strom erreichte eine mit Kupferdraht umwickelte Stricknadel, die durch ein entstehendes Magnetfeld vibrierte und die Impulse in Schallwellen zurückverwandelte. Reis nutzte eine Geige als Resonanzkörper, um die Töne zu verstärken. Später wurde aus der Geige ein kleiner Kasten, aus dem Holzohr ein Schalltrichter. Das „Telephon“, abgeleitet von den griechischen Begriffen tele für fern und phonae für Ton oder Stimme war erfunden.
Professor Dr. Karl Willy Wagner war ein deutscher Nachrichtentechniker aus Friedrichsdorf. Er gilt neben George Ashley Campbell als Mitbegründer der Theorie der elektrischen Filter. Zwei Erfinder und Forscher die sich mit „Echokammern“ auseinandersetzten. Der Begriff „Echokammer“ beschreibt einen künstlich hergestellten Hall- oder Echoeffekt. Heute wird der Begriff Echokammern für ein Konstrukt von Internet-Plattformen genutzt, bei denen die Kommunikation mit Gleichgesinnten im Vordergrund steht.
Experimentelle Inszenierungen
Und damit schließt sich der Kreis zwischen dem historisch bedeutenden Ort des Museums und den experimentellen, musikalischen Inszenierungen. „Wenn Sie das nächste Mal zu ihrem Handy greifen, dann denken Sie an Philipp Reis“, sagte Dittrich. Am Tag vor dem besonderen Konzert hatten sich die Musiker, Sängerin, Klangerzeuger und Tüftler des „Cooperativa Ensemble“ aus Bielefeld und Nordrhein-Westfalen bereits im Workshop „Klangtüftelei“ mit verschiedenen Fragen auseinandergesetzt. Dazu gehörten Fragen wie „Was ist eigentlich Klang?“, „Wie entsteht Klang, und wie gehen wir damit um?“ Zusätzlich führten sie Experimente zur Klangerzeugung mit elektronischen und analogen Apparaten und Instrumenten durch. Ergebnisse des Workshops „Klangtüftelei“ und ihre Experimentierfreude ließen die Mitglieder des 2014 gegründeten „Cooperativa Ensembles Neue Musik“ in „Echokammern-Akustische Interventionen“ einfließen. Beim dezentralen Konzert traten die Musiker, Klangerzeuger und Tüftler mit dem Haus, Philipp Reis, der Umgebung und untereinander in einen spannenden Dialog mit Klängen und Geräuschen. So spazierte Katharina Koenig mit ihrem Akkordeon durch die fünfzehn unterschiedlichen hohen Metallstelen der „Sinuswelle“ im rückwärtigen Hofbereich des Philipp-Reis-Hauses. Die 1991 nach einem Entwurf des Karlsruher Bildhauers Thomas Biedermann geschaffene und von der Friedrichsdorfer Firma Arnold ausgeführte Sinuskurve nimmt Bezug auf den physikalischen Vorgang der Tonübertragung durch elektrischen Strom. Die Plastik steht genau an der Stelle, an der einst Reis in seiner Werkstatt seine revolutionäre Erfindung gelang. Später schlüpfte Katharina Koenig getreu dem Motto „zwei Instrumente, zwei Musikerinnen“ in einen spontanen Dialog mit Geigerin Susanne Schulz. Das Duo formte mit Klängen, Geräuschen und Stille „soundpoetische Miniaturen, musikalische Skulpturen und performative Szenen“. In die Rolle des berühmten „Fräulein vom Amt“ schlüpfte Klang- und Elektroniktüftler Peter Schwieger. In allen Museumsräumen hatten Ensemblemitglieder die Besucher eingeladen, durch Schall und Klang zu wandeln. Klänge tönten zwischen Geräusch und klassischer Kompositionen, Improvisation und Struktur.