Glashüttens „Villa Kunterbunt“ steht nicht nur Pippi Langstrumpf offen

Glashütten (hhf) – Ziemlich mutig war er irgendwie schon, der Mann von der Mainova. Ausgerechnet zu Halloween traute er sich in das J.E.T.Z.T-Haus im Glaskopfweg 15, wo man im Alltag ohnehin schon keinen Parkplatz findet, wenn man denn erst einmal die schmale Straße entdeckt und überhaupt erst mal den Stau an der Baustelle in Königstein überwunden hat. Hinzu kam am keltischen Allerseelen-Vorgängerfest erschwerend die amerikanische Droh-Forderung „Süßes oder Saures“, was angesichts rund 50 sehr fröhlicher Kinder im Haus die reale Gefahr mit sich brachte, dass sein Scheck per Zungentest als „nicht süß“ eingestuft und entsprechende Strafmaßnahmen hätten eingeleitet werden können.

Um derartige Ausschreitungen zu verhindern und Kindern wie Journalisten den verborgenen Nektar im per se realiter geschmacklosen Wert-Papier näher zu bringen, waren freilich Vereinsvorstand und auch Bürgermeister Thomas Fischer angetreten, dazu etliche Eltern und freiwillige Helfer(innen), die den zuckerfixierten Nachwuchs im Zaume hielten. Wichtigstes Instrument dafür waren stumpfe Messer für die Kinder und schärfere Schneidwerkzeuge für deren Begleiter, denn es wurden gemeinschaftlich Kürbisse zu Dämonen verwandelt, wie es sich von alters her gehört – im deutschen Raum nutzte man früher die Runkel- oder Zuckerrübe dafür.

Irgendwo zwischen Germanen und Kelten ist auch der Ursprung der Gruselei zu finden, in den nebligen Spätherbsttagen, so glaubte man, gehen Diesseits und Jenseits ineinander über und man kann Persönlichkeiten aus der Totenwelt begegnen. Dasselbe gilt im Übrigen auch ganzjährig für die Land-Wasser-Grenze an unbefestigter Küste oder im Moor, und sogar die netten Wassermänner und Süßwassernixen aus Kindermärchen haben religionsgeschichtlich einen morbiden Hintergrund.

Mit Fug und Recht ersparte sich die fröhliche Gemeinschaft im J.E.T.Z.T-Haus derart altbackene Wissenschaft und widmete sich mehr der Gefühlsebene, die allerdings nach Aussage mehrerer Beteiligter Wurzeln im Mittelalter hatte. In der Tat hat das Vereinsheim ausgesprochene Qualitäten eines Gruselschlosses, das verwinkelte Gebäude übertrifft mit halbierten Treppen und unzähligen Nebenkammern manche Raubritterburg bei weitem. Ganz offensichtlich stammt dieses Ambiente von einer langen Phase der Um- und Anbauten ab, die das Gebäude, das zuletzt als privates Kinderheim genutzt wurde, in den Rang eines Baudenkmals erheben. Solche Vorbedingungen aber machen das J.E.T.Z.T-Haus zum idealen Treffpunkt für die Adressaten des Vereins, die sich hinter der Abkürzung finden lassen: J.eder ist E.ingeladen, T.atsächlich Z.eit zu T.eilen.

Die Übersetzung als „generationenübergreifendes Begegnungszentrum“ wurde zum Halloween-Fest greifbar, hier hatten Helfer, Eltern und Kinder gleichermaßen ihren Spaß, wüst geschminkte, aber äußerst lebendige Zombies wirbelten zwischen untoten Aufpassern, namentlich Hexen und Unterweltkriegern umher und ließen zwischen Basteln und Kuchenessen (natürlich nicht ohne Zucker-Spinnweben und Schoko-Leichenbrand auf dem Gebäck) in der Grusel-Disco die vermutlich auch schon schwer angestochene Sau raus.

Gleichzeitig fand im schwer zugänglichen Kellergewölbe die Pressekonferenz statt, wo sich nicht nur der zuvor scheck-geschmacklich zu Unrecht missachtete Scheckträger Breidenbach als durchaus zungenfertig erwies: „Ich habe ja vorher gar nicht überblickt, wie schön das hier ist“, freute er sich, die richtige Adresse für stolze 5.000 Euro gefunden zu haben. „Die Gesellschaft lebt vom Ehrenamt“, und das will die Mainova als großer Energieversorger in der Region unterstützen. Da das Begegnungshaus von vielen Privatleuten, aber auch Vereinen genutzt wird und neuerdings sogar für Asylbewerber eine Küche bereitstellt, hat die Mainova mit einem Scheck gleich viele Menschen erreicht.

Besonders der Vereinsvorsitzenden Frauke Bohm bescherte er auch „ruhigere Nächte“, eine große Last sei ihr von den Schultern gefallen bekennt sie, denn der Verein lebt überwiegend von Spenden, der bewusst niedrige Mitgliedsbeitrag von 24 Euro im Jahr reicht nicht mal für die Miete („Das kann man sich bei 240 Mitgliedern leicht ausrechnen.“) Ihr Dank ging auch an ihre ehrenamtlichen Mitstreiter, nette Nachbarn und die vielen externen Spender und Helfer. So hat unter anderem eine Fachfirma Öltanks gratis eingebaut und die Firmlinge haben gemeinsam mit den Konfirmanden und einem Bagger den Garten verschönert.

Mit einer 72-Stunden-Aktion im Jahr 2010 hatten viele Glashüttener das Märchenschloss aus dem Dornröschenschlaf erweckt, erinnerte Bürgermeister Thomas Fischer, der sich bei der Mainova als Informant betätigt hatte, von einem „besonderen Verein“ war dabei die Rede und seinem „unheimlichen Facettenreichtum“. Vor kurzem konnte sich dieser auch der Stadtverwaltung gegenüber hilfreich erweisen, denn denn diese musste sechs Asylbewerber aufnehmen. Zimmer hatte man ja für sie gefunden, aber es fehlten ein Gemeinschaftsraum und vor allem eine Küche zur Selbstversorgung. Diese aber hatte das J.E.T.Z.T-Haus zu bieten, so dass hier „neuerdings wahrhaftig gelebte Integration“ stattfindet, bis hin zu Topfgucken und Probieren der afrikanischen Küche.

Pädagogisch und religionswissenschaftlich sicher nicht unbedeutend: Die kleinen Monster sind ihre Kinder... Dahinter stehen (gesellschaftlich, ohne direkte Verwandtschaft) Bürgermeister Thomas Fischer (v. li.), Mainova-Vorstand Norbert Breidenbach, J.E.T.Z.T.-Vorsitzende Frauke Bohm sowie ihre Mitstreiterinnen Helen Gould-Kopf und Katja Löffler.

Foto: Friedel



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