Kelkheim (ju) – Lisa ist anders als die anderen! Das sieht man ihr nicht an und Menschen, die sie treffen, könnten nicht unbedingt sagen, was anders ist. Dieses Anderssein ist auch nichts Schlechtes, es macht Lisa zu der, die sie ist. Und das ist gut so. Lisa hat eine Lernbehinderung, die ihr die Teilhabe am normalen Leben immer wieder verwehrt. Das liegt nicht unbedingt an ihr, sondern an dem System, in dem Menschen wie sie heutzutage zurecht kommen müssen. Um so wichtiger, dass gerade in Deutschland die Inklusion und die Teilhabe vorangetrieben werden. Und Lisa möchte nicht still zuschauen, bis sich etwas tut. Gemeinsam mit ihrer Mutter Heike Löw möchte sie eine Selbsthilfegruppe ins Leben rufen, die sich an junge Menschen mit Lernbeeinträchtigungen und Lernbehinderung richtet. Immer montags will man sich treffen, um sich gemeinsam auszutauschen, sich Tipps zu geben, Hilfestellung bei Behördengängen zu geben und noch viel wichtiger – Freundschaften zu schließen, gemeinsam auch mal etwas zu unternehmen.
Langer Leidensweg
Hinter Lisa und ihrer Familie liegt ein langer Leidensweg. Der Druck, wenn man anders ist als die anderen, ist immens. Wenn man an der Schule den versprochenen Hauptschulabschluss nicht machen darf und sich auf die Sonderschule abgeschoben fühlt. Damals, als Lisa ihren Abschluss machte, hießen diese Schulen noch Sonderschulen, heute hat man sich eines Besseren besonnen. Es sind Förderschulen, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, jeden am Leben teilhaben zu lassen und ihn so gut es geht darauf vorzubereiten, egal wie die Voraussetzungen sind. Für Lisa kam dieses Umdenken zu spät. „Mit einem Sonderschulabschluss kann man nicht viel anfangen. Ausbildungsplätze zu finden war und ist schwierig“, weiß die inzwischen 30-Jährige. Ihre Eltern investierten aus eigener Tasche in ihre Ausbildung. Doch alles scheint für Lisa nicht das Richtige zu sein. Sie sucht ihren Platz im Leben und findet ihn nicht. Wenn es so weit kommt, passieren meist Dinge, die man als Eltern unbedingt vermeiden möchte. Lisa gerät in die falschen Kreise, sucht nach Aufmerksamkeit und wird doch immer unglücklicher. Bis sie es schafft, sich zu befreien. Am Tiefpunkt ihres jungen Lebens reift der Wunsch nach einer Gemeinschaft, nach einer Gruppe, die Halt gibt. Unterstützung erhalten Mutter und Tochter von der Selbsthilfekontaktstelle des Main-Taunus-Kreises. Diese übernimmt die Organisation der Selbsthilfegruppe. Heike Löw ist dankbar dafür. „Ich habe lange gebraucht zu verstehen, dass sich das bei Lisa nicht auswächst. Das ist ja immer noch die Hoffnung, die man als Mutter in sich trägt. Doch eigentlich wurde es nur noch schlimmer, weil der Frust wächst“, weiß sie. Wie soll ein Kind auch damit umgehen: mit dem Anderssein, mit der Lernschwäche, mit dem Mobbing, den Depressionen? „Eine Behinderung darf dem Lebensweg doch nicht im Weg stehen. Wir müssen es als Gesellschaft doch schaffen, solchen Menschen wie Lisa eine Chance zu geben“, appelliert die Mutter. Auch Lisa möchte nicht „aussortiert werden“, möchte, dass man die Stärken von Menschen wie ihr wahrnimmt, anerkennt. „Natürlich sind wir nicht so belastbar wie gesunde Menschen, aber wir haben unsere Stärken, zum Beispiel im musischen Bereich. Wir können gut mit Tieren und Kindern.“ Empathie, Sensibilität, das sind Worte, mit denen sich Lisa identifiziert – wenn man sie lässt. „Wir müssen den Selbstwert und das Selbstbewusstsein dieser Kinder stärken, sonst verlieren wir sie, obwohl sie ein wichtiger Baustein dieser Gesellschaft sind“, wünscht sich Heike Löw. Und Lisa: Die ist sich sicher, von so einer Gruppe zu profitieren. „Es macht einem Mut, wenn man sich austauscht. Man sieht, dass es anderen auch so geht, dass andere mit genau solchen Problemen zu kämpfen haben wie ich. Das motiviert mich.“
Selbsthilfegruppe
Die Selbsthilfegruppe von Lisa und ihrer Mutter richtet sich an Menschen zwischen 16 und 40 Jahren, die mit einer Lernbehinderung, Lernschwäche oder geistigen Beeinträchtigungen leben. Bei einem ersten Treffen soll eruiert werden, ob es auch Interesse an einer Gruppe für die betroffenen Eltern gibt. Dann könnte man eventuell alle drei Monate ein gemeinsames Treffen organisieren. Wer sich angesprochen fühlt, wendet sich bitte an die Selbsthilfekontaktstelle des MTK unter Tel. 06192-2012807 oder per E-Mail: Selbsthilfekontaktstelle[at]mtk[dot]org.