„Geschichte hilft uns zu verstehen, woher wir kommen, wohin wir gehen“

Kelkheim (ju) – Mit den Worten von Rüdiger Kraatz, dem ehemaligen Vorsitzenden des Museumsvereins, lässt sich das vergangene „Gagernjahr“ sehr gut beschreiben. Jetzt erinnert ein weiterer Film an die gelebte Demokratiegeschichte in Hornau und das Erbe der Familie von Gagern.

Die Freiherren von Gagern gehören zu den bedeutendsten politischen Familien Deutschlands in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Selbst renommierte internationale Nachschlagewerke wie die Encyclopaedia Britannica berichten über das politische Wirken von Hans Christoph, Friedrich, Heinrich und Max von Gagern.

Fast ein halbes Jahrhundert lang war das Hofgut im heutigen Kelkheim-Hornau von 1818 bis 1866 im Besitz der Freiherren von Gagern. Von hier aus gingen wichtige Impulse für die politische Entwicklung Deutschlands und in der Frankfurter Paulskirche aus.

Vier Kelkheimer kommen zu Wort

Die vier Kelkheimer Ex-Landrat Berthold Gall, Michael Jung, Vorsitzender des Vereins „Bürger für Hornau“, Heimathistorikerin Christa Wittekind und Hildegard Bonczkowitz, Spenderin und Vorsitzende der Bürgerstiftung, erinnern in dem Film „Gelebte Demokratiegeschichte – Hornau und das Erbe der Familie von Gagern“ von Filmemacher Johannes Romeyke an historischen Orten an die Rolle der Gagern für die Demokratieentwicklung.

Berthold Gall erinnert vor der Tafel am Großen Mannstein an den „Staufenschwur“ der Brüder Heinrich, Max und Friedrich von Gagern. Dort oben schworen die drei Brüder, sich für eine Einheit Deutschland einzusetzen. „Dass sich der Einsatz, dass sich das Engagement und sich die Kraft, die man dafür braucht, lohnt, sich für andere Dinge einzusetzen, insbesondere für die Demokratie heute mehr denn je, haben diese Drei bewiesen“, so der ehemalige Landrat.

Als Grundlage für unsere heutige Verfassung sieht Michael Jung, der vor dem Gagernhaus steht, das Engagement der von Gagern um 1848. Christa Wittekind erklärt vor der Martinskirche, der „kleinen Paulskirche“, wie wichtig es sei, jungen Menschen das Verständnis für Politik und Demokratie zu vermitteln. Hildegard Bonczkowitz, die sich mit viel Engagement für die Errichtung der Gagernanlage einsetzte, macht deutlich, dass „dieses Denken für Einheit, Freiheit, Demokratie und die Rechte auf Redefreiheit“, ein Stück weit den Gagern zu verdanken sind, die sich dafür einsetzten.

Erinnerungspunkte

Die zahlreichen Erinnerungspunkte, die im neuen Film über die Freiherrn von Gagern hervorgehoben werden, sind ein wichtiger Baustein in der von der Stadt in Auftrag gegebenen Dokumentation, die auf der Homepage und auf You-Tube kostenlos angeschaut werden kann. Mit ihm wurde das „Gagernjahr“ abgerundet, welches das Kulturreferat um die ehemalige Leiterin Beate Matuschek rund um das Jubiläum 175 Jahre Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche mit vielen Höhepunkten kreiert hatte. „Mir war zum Beispiel nie so bewusst gewesen, welche wichtige Rolle die Martinskirche in ihrer Form (sie wurde der Paulskirche in Frankfurt nachempfunden) spielte. Aber sie nahm eine tragende Rolle ein“, stellt sie fest. Auch so entstehe ein identitäststiftender Stolz auf die eigene Geschichte.

Ob Martinskirche, Hofgut, Alter Friedhof, Gagernweg oder Gagernanlage, in ganz Hornau finden sich Spuren, auf denen gewandelt werden kann. Und das Engagement zahlt sich aus: Im vergangenen Jahr wurde die Stadt mit ihren Gagern-Gedenkstätten Teil der „Orte der Demokratiegeschichte“.

Demokratie begreifen

„Der neue Film soll dazu anregen, diese Punkte zu besuchen“, wünscht sich Matuschek, die von Gruppen weiß, die gezielt solche Orte in Deutschland bereisen, um die Entstehung der Demokratie in Deutschland zu begreifen und zu erleben, wie schwer der Weg bis ins Heute war. „Denn viele nehmen die Demokratie als selbstverständlich hin, es war jedoch ein langer, beschwerlicher Weg dahin“, gibt Stadtarchivar Julian Wirth zu bedenken, der eng mit Beate Matuschek an der Gagerngeschichte arbeitete. Mehr als 200 „Orte der Demokratiegeschichte“ gibt es inzwischen – Kelkheim schmückt sich als erste Gemeinde im Main-Taunus-Kreis mit dieser „Auszeichnung“.

Und wie lebendig diese Orte werden können, zeigen zwei Schüler der Max von Gagern Grundschule in dem Film. Sie wissen ganz genau, warum ihre Schule diesen ehrenvollen Namen bekommen hat und geben ihr Wissen gern preis. Schön auch das Wiederhören mit Michael Quast als Sprecher, der Kelkheim das Gagern-Theaterstück „Revolution und Rosen“ auf den Leib schneiderte und in der Rolle des Heinrich von Gagern brillierte. Und dann war da noch der Besuch von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zur Eröffnung der Ausstellung „Demokratie weiter denken“.

Ausstellung ins Museum

„Ich würde mir diese Ausstellung in einem neuen Museum wünschen. Es wäre der würdige Rahmen für das, was wir geschaffen haben“, gibt Matuschek zu verstehen. Es wäre ein tolles Ziel für das Jahr danach. Markus Lang, Projektleiter der „Orte der Demokratiegeschichte“, betont im Film, dass er beeindruckt sei, dass in Hornau die Erinnerung so gepflegt, dass nach dem „wo komme ich her?“, „wo sind meine Wurzeln?“ geschaut werde. „Das ist ein urdemokratischer Akt“, gesteht Lang. Deswegen trat er auch an die Stadt heran und gab die Eingliederung in die besondere Route bekannt. Nun hängen an der Martinskirche, am Friedhof und am Staufen die Plaketten.

Christa Wittekind und Hildegard Bonczkowitz blicken noch einmal auf die Entstehung der Gagernanlage mit ihren 10 Steinen, den Rosen und Apfelbäumen und der Boule-Anlage zurück. Damals, das 150-jährige Jubiläum stand vor der Tür, stand das Gelände zum Verkauf. Reihenhäuser und ein Mehrfamilienhaus sollten hier entstehen, doch Bonczkowitz schaffte es gemeinsam mit dem damaligen Bürgermeister Thomas Horn, dass der Platz erhalten blieb und heute ein Erinnerungsort ist. Wittekind habe für ihre Einstellung und ihren Einsatz in einer Bürgerversammlung einige Kritik dafür geerntet. „Aber letztendlich haben wir es geschafft.“

Die Steine symbolisieren die Familie von Gagern. Die Eltern seien zwar etwas dick geraten, schmunzelt Wittekind ob der Fülle der Blöcke, „aber hoffe doch, dass der Stadt der Platz noch lange erhalten bleibt“.

Ein Ziel habe sie allerdings leider nicht erreicht, erklärt Bonczkowitz augenzwinkernd: „Den Zusatz ‘Gagernstadt‘ auf den Ortseingangsschildern hab ich leider nicht bekommt.“



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