Intellektueller Nonsens, Swing und eine Soulstimme, die für Gänsehautmomente sorgte

Kelkheim (ju) – Ein lauer Sommerabend, kleine Wölkchen zogen über den azurblauen Himmel, das Schlosshotel Rettershof ruhte zwischen blühenden Bäumen, und dann war es auch vorbei mit dem Idyll.

Ulrich Tukur & Die Rhythmus Boys

Vier mehr oder weniger galante Herren oder Damen (man konnte sich nicht sicher sein) betraten die Bühne, die im Schlosspark aufgebaut war. Sie hätten unterschiedlicher nicht sein können – Ulrich Tukur & Die Rhythmus Boys. Es hält sich hartnäckig das Gerücht, Tukur hätte die Combo ausschließlich nach optischen Gesichtspunkten zusammengestellt. Die Tanzkapelle besticht tatsächlich durch ihren guten Geschmack mit Dirndl und Krachlederner, wohingegen Tukur im Khakibraun der 20er Jahre aufläuft, mit Hosen fast bis unter die Achseln und der berühmten kurzen Krawatte, stilecht zur Musik, die die Boys im Anschluss präsentieren.

1995 gründete der bekannte Filmschauspieler und Musiker Ulrich Tukur die Tanzkapelle Ulrich Tukur & Die Rhythmus Boys. Die Band interpretiert mit großer Leidenschaft für Entertainment und Gesang neben Eigenkompositionen vor allem Evergreens.

Vor Publikum spielen die Musiker im Rahmen ihrer „Es leuchten die Sterne“-Tour ihr ganzes Talent aus und baden in vollendeter Ironie und einem Faible für nostalgische Unterhaltungsmusik der Goldenen Zwanziger und Vorkriegsjahre in gut gelaunten Melodien. Vorneweg Ulrich Tukur, der sich im Rampenlicht als wahres Zirkuspferd zeigt. Er spielt Klavier und Akkordeon, bietet Varieté, Kabarett und Theater und ist manchmal einfach nur herrlich albern. „Intellektueller Nonsens auf hohem Niveau“ – so fasste es ein Zuschauer zusammen. Allein seine Mimik ist umwerfend komisch, seine Selbstironie überzeugend und seine angeblichen Anekdoten aus seinem Leben sorgen für diverse Lacher. Die Tanzkapelle besticht durch ihr musikalisches Können – sie swingt, jazzt und rockt sogar. Ihre Arrangements lassen bekannte Klassiker in neuem Licht erscheinen, dazu legen die galanten Herren auch mal eine „flotte Sohle“ auf‘s Parkett, sehr zum Amüsement des Publikums. Der Entertainer Tukur mit seinem verschmitzten Lächeln führt seine Zuhörer und Zuschauer durch eine Manege voller Poesie, Irrwitz und Wortspielereien, dazwischen, so ganz heimlich, rutscht dann auch der ein oder andere Flachwitz durch, ganz zum Erstaunen des Akteurs – nicht!

Das Publikum goutierte diesen Leckerbissen deutscher Bühnenkunst mit Standig Ovations, bevor Tukur und seine Rhythmus Boys im blauen Nebel der „La Paloma“ von der Bühne verschwanden. Und dann leuchteten auch die ersten Sterne am Himmel.

Joy Denalane & MIKIs Takeover! Ensemble

Da konnten die musikbegeisterten Kelkheimer gerade mal kurz durchschnaufen und sich von Ulrich Tukur „erholen“, da stand schon das nächste Highlight im Schlosspark auf der Bühne.

Soul-Ikone Joy Denalane, die mit ihrer samtenen Stimme den deutschen Soul salonfähig machte, präsentierte Songs aus ihrem aktuellen Motown Album „Let yourself be loved“. Doch wo sonst Schlagzeug, Bass und Keys den Ton angeben, übernahmen Konzertflügel, Kontrabass und Klarinette. Ausnahmegeiger, Konzertmeister, Rapper und Texter Miki Kekenj begleitete Denalane mit seinem kammermusikalischen Takeover! Ensemble auf der Bühne. Gemeinsam präsentierten sie ein emotional-grooviges Programm, das die Grenzen zwischen Soul und Klassik sprengte. Es fühlte sich an, als ob man im heimischen Wohnzimmer sitzt – so nah gab sich die Soul-Queen. Zwischen den Stücken plauderte sie mit Miki, gab Einblick in ihr privates Leben.

Es sind ganz persönliche Werke, die sie präsentierte. Werke, in denen sie ihre unterschiedlichsten Facetten und Lebenserfahrungen kreativ verpackt. Mit „MIKIs Takeover! Ensemble“ sind aufregende Arrangements entstanden – mitreißend, sphärisch, intim … und natürlich unplugged! Ein Hörgenuss für das Publikum, das ganz nah dran war, denn Denalane ließ es sich nicht nehmen, auch mal die Bühne zu verlassen und sich unter die stehenden, klatschenden und begeisterten Zuhörer zu begeben.

Die gebürtige Berlinerin Denalane war das dritte von sechs Kindern und erhielt den Namen Joy („Freude“). Der Vater, ein Südafrikaner, hatte sich während seines Studiums in Deutschland in Denalanes Mutter, eine Heidelbergerin, verliebt und blieb in Deutschland. Die Musik war ihr in die Wiege gelegt worden. Mit 19 startete sie ihre Karriere, der Durchbruch kam 1999, als die Hiphop-Band Freundeskreis für ihr Duett „Mit dir“ nach einer passenden Sängerin Ausschau hielt und sie in Joy Denalane fand. Frontmann Max Herre erobert ihr Herz, die beiden werden ein Paar, bekommen zwei Kinder, trennen sich und finden wieder zusammen. Musikalisch probiert sie Vieles aus, geht zurück zu ihren afrikanischen Wurzeln und erlebt eine Karriere, in der ihr Name Programm zu sein scheint.

Mit „MIKIs Takeover! Ensemble“ begab sie sich nun auf eine neue abenteuerliche Reise, die, wenn man das Kelkheimer Publikum fragt, sehr gelungen ist. Und so fanden an diesem Abend zwei scheinbare Gegenpole in größter Harmonie zusammen.

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