Ein Abend im Kelkheimer Rathaus voller Emotionen, offener Fragen und der Suche nach Verständigung
Kelkheim (ju) – Die Luft war dicht im großen Sitzungssaal des Kelkheimer Rathauses. Rund 150 Bürgerinnen und Bürger waren gekommen – nicht aus Neugier, sondern aus Sorge. Die geplante Flüchtlingsunterkunft an der Benzstraße, mit Platz für bis zu 300 Geflüchtete, bewegt die Gemüter in Münster.
„Das ist zu viel für unseren Ort“, sagte ein Besucher, und seine Worte hallten sinnbildlich durch die Reihen. Bürgermeister Albrecht Kündiger zeigte Verständnis: Ja, die Zahl wirke auf den ersten Blick groß. Doch sie dürfe nicht isoliert betrachtet werden – nicht ohne Kontext, nicht ohne Perspektive.
Zahlen und Wirklichkeit
Aktuell leben rund 8.600 Geflüchtete im Main-Taunus-Kreis, verteilt auf verschiedene Städte und Gemeinden. Aktuell werden dem Kreis etwa fünf bis sieben Menschen pro Woche neu zugewiesen – ein überschaubares Maß. Die bestehenden Unterkünfte sind derzeit nicht ausgelastet. Warum also jetzt ein neues Heim für bis zu 300 Menschen?
Landrat Michael Cyriax begründete den Vorstoß mit Weitblick: „Wir müssen vorbereitet sein – für den Fall, dass sich die Lage ändert.“ Ziel sei es, Geflüchteten dauerhaft ein Zuhause auf Zeit zu bieten, ohne auf Notlösungen wie Turnhallen oder Containeranlagen zurückgreifen zu müssen.
Modulbauweise: Praktisch, menschenwürdig, deeskalierend
Errichtet werden soll das Heim in moderner Modulbauweise – ein System, das schnelle Umsetzung ermöglicht, aber auch auf die Bedürfnisse der Bewohner eingeht. Jede Einheit verfügt über eine eigene Kochnische und ein eigenes Bad – bietet Platz für 2 bis 3 Personen. Damit wird ein zentrales Konfliktpotenzial, wie es häufig in Unterkünften mit Gemeinschaftsküchen oder -sanitäranlagen entsteht, bereits im Vorfeld deutlich entschärft. Es geht um Würde, Privatsphäre – und um Alltagstauglichkeit. Der vierstöckige Bau soll bis Ende März 2026 stehen.
Die Pacaradas: Integration aus eigener Erfahrung
Verantwortlich für das Projekt sind die Brüder Ernest und Elvir Pacarada – selbst einst Geflüchtete aus dem Kosovo, inzwischen erfolgreiche Unternehmer. Sie leben auf dem Gelände in der Benzstraße, direkt dort, wo auch die neue Unterkunft entstehen soll. Integration ist für sie kein Konzept, sondern gelebter Alltag.
„Wir kümmern uns persönlich um dieses Projekt – mit Herz und Erfahrung“, betonte Ernest Pacarada. Gemeinsam führen die Brüder ein Projektentwicklungsunternehmen, sind schon lange Partner des Kreises. Mit ihrem selbstentwickelten, patentierten, modularen System wurde auch schon die Flüchtlingsunterkunft in Liederbach errichtet. Ihre eigene Geschichte ist ein Beispiel dafür, dass Integration gelingt, wenn Menschen die Chance erhalten, anzukommen – und mitgestalten zu dürfen.
Verständnis ja, Vertrauen fehlt noch
So stark das persönliche Engagement der Betreiber ist – viele Besucher des Abends fühlten sich dennoch unzureichend mitgenommen. Immer wieder wurde deutlich, was aktuell fehlt: ein Sicherheitskonzept, das Ängste ernst nimmt. Ein Integrationsplan, der Fragen beantwortet: Wer bietet Sprachkurse an? Wer vermittelt in Arbeit? Was geschieht im Konfliktfall?
Die Stadt versprach Nachbesserung. Es soll eine weitere Infoveranstaltung geben, gemeinsam mit der Polizei, dem Amt für Integration und eventuell mit der Sozialarbeit des Kreises – diesmal mit konkreteren Antworten und um Ängste um das eigene Sicherheitsgefühl abzubauen. Denn: Die Integration neuer Nachbarn braucht Strukturen. Und Vertrauen entsteht nicht durch gute Absichten allein, sondern durch belastbare Konzepte.
Kommunen zahlen drauf
Ein besonders heikles Thema blieb an dem Abend nicht unangesprochen: die Kostenfrage. Häufig wird angenommen, Bund und Land würden die Ausgaben für die Flüchtlingsunterbringung vollständig übernehmen. Doch die Realität sieht anders aus: Zwar gibt es Pauschalen pro untergebrachter Person, doch diese reichen in der Regel nicht aus, um die tatsächlichen Kosten zu decken. Unterbringung, Betreuung, Verwaltung und Begleitstrukturen – all das zahlen am Ende die Kommunen drauf. Kelkheim ist damit nicht allein, es ist ein bekanntes und bundesweit kritisiertes Problem.
Kriminalität: gefühlte und echte Realität
Auch die Frage nach der Sicherheit wurde diskutiert. Viele Menschen verbinden mit steigender Zahl an Geflüchteten ein erhöhtes Risiko für Kriminalität, das wurde auch bei den Wortmeldungen der Zuhörer sicht- und hörbar. Doch die Statistik des Main-Taunus-Kreises spricht eine klare Sprache: Straftaten durch Geflüchtete sind äußerst selten. Landrat Cyriax betonte: „Die gefühlte Wahrheit deckt sich oft nicht mit der Realität.“ Auch Kündiger erklärte, dass es in der Stadt keine Auffälligkeiten gegeben habe. „In der größten Unterkunft in der Frankfurter Straße mit rund 100 Bewohnern gab es in vielen Jahren keine nennenswerten Vorfälle“, so der Rathauschef.
Zusammenleben beginnt mit Zuhören
Was bleibt, ist ein Abend voller Stimmen – aufgewühlt, kritisch, aber auch offen. Münster steht vor einer Herausforderung, ja. Aber auch vor der Chance, zu zeigen, wie Integration von Beginn an gelingen kann: mit Offenheit, Planung, Respekt – und dem Willen, einander wirklich zuzuhören.
Eine Herausforderung – aber auch eine Chance
Der Infoabend machte deutlich: Die Sorgen in der Bevölkerung sind echt – und verdienen Aufmerksamkeit. Doch genauso real sind die Chancen: Menschen, die Krieg und Verfolgung entkommen sind, verdienen eine faire Chance auf ein neues Leben.
Mit durchdachten Konzepten, Kommunikation und Vertrauen kann aus Skepsis Schritt für Schritt Verständnis werden. Integration beginnt nicht erst bei der Einweihung – sie beginnt mit einem offenen Gespräch auf Augenhöhe.