„Tue die Dinge dann, wenn du es kannst, nicht, wenn du es musst“

Das ROTHENBERGER TEC Center nach dem Neubau. Die neue Fertigungshalle (hinten) schafft Platz für die Produktionserweiterung (+4.400m²) und neue Arbeitsplätze, inklusive einer verdoppelten Ausbildungswerkstatt. Die Fotovoltaikanlage auf dem TEC Center hat eine Leistung von 1.000 kWp.Foto: Rothenberger

Sensoren an den Handschuhen der Mitarbeiter ermöglichen bei der Druckherzmontage eine Überwachung jedes Arbeitsschrittes. Per Bildschirm über dem Arbeitsplatz werden die weiteren Schritte angezeigt. Dadurch könne fehlerfrei produziert werden. ROTHENBERGER ist das erste Unternehmen, das diese Technologie nutzt.

Noch ist Platz in der neuen Produktionshalle. Nach und nach werden die Maschinen aufgestockt. Im hinteren Bereich befindet sich der mit 270 m2 großzügige Ausbildungsbereich für die derzeit 41 Azubis.Fotos: Judith Ulbricht

Kelkheim (ju) – Was haben Thomas Manns „Buddenbrooks“, Veuve Clicquot und das Familienunternehmen Rothenberger gemeinsam?

Die Buddenbrooks sind eine Lübecker Kaufmannsfamilie, die im Roman „Buddenbrooks: Verfall einer Familie” porträtiert wird. Die komplexe Erzählung erstreckt sich über vier Generationen und beschreibt den allmählichen Niedergang der Familie.

Veuve Clicquot hingegen ist ein berühmtes Champagnerhaus. Es wurde 1805 von der Witwe (französisch: „veuve”) Barbe-Nicole Clicquot Ponsardin übernommen. Mit nur 27 Jahren verliert sie ihren Ehemann François Clicquot und wird damit zur Veuve, zur Witwe. Aus der 7-jährigen Ehe bleibt ihr ein mit 100.000 Flaschen eher kleiner Champagnerbetrieb, den der Vater ihres Mannes 1772 gegründet hat. Anstatt sich ihrem Schicksal hinzugeben, überzeugt sie ihren Schwiegervater, den Betrieb an sie zu verkaufen. Als sie im Jahr 1866 mit 88 Jahren stirbt, hinterlässt sie ein international operierendes Unternehmen mit einem Absatz von über 750.000 Flaschen. Bis heute ist das Unternehmen für seine hochwertigen Champagner bekannt und hat eine lange Tradition in der Weinherstellung.

Die Firma Rothenberger ist ein deutsches Unternehmen mit Sitz in Kelkheim, das sich auf Werkzeuge und Maschinen für die Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik spezialisiert hat. Sie bietet eine breite Palette von Produkten für Installateure und Handwerker an und kann sich heute zu den Weltmarktführern in diesem Segment zählen.

Obwohl diese drei Entitäten unterschiedliche Branchen vertreten, teilen sie dennoch eine Gemeinsamkeit: Sie sind alle in ihren jeweiligen Bereichen bekannt und haben eine lange Geschichte und Tradition. Die Buddenbrooks sind eine literarische Familie, Veuve Clicquot ist ein renommiertes Champagnerhaus, und Rothenberger ist ein etabliertes Werkzeugunternehmen. Ihre Geschichten und Erfolge spiegeln die Vielfalt menschlicher Unternehmungen wider. Und sie zeigen, dass Familien-unternehmensnachfolge nicht immer so ist, wie man es sich vorstellt.

75 Jahre Rothenberger

Auf eben solch eine lange Tradition und erfolgreiche Firmengeschichte blickte Rothenberger vergangene Woche zurück. Das Unternehmen, das am 24. Mai 1949 vom Ingenieur Edwin Rothenberger als Handelshaus in Frankfurt gegründet wurde, feierte just an diesem Tag 75 Jahre später sein Jubiläum mit einem Festakt im TEC Center in Fischbach.

Dr. Helmut Rothenberger, der genau einen Tag nach der Gründung des Unternehmens durch seinen Vater das Licht der Welt erblickte, hielt eine emotionale Rede, bei der er auch mit Kritik an der derzeitigen Politik nicht zurückhielt. Locker, légere stand er auf der Bühne, mit abgelegter Krawatte, „denn das sei nicht mehr zeitgemäß, hab‘ ich mir sagen lassen“, witzelte er in Anspielung auf die Veränderungen, die innerhalb von 75 Jahren nicht nur den Kleidungsstil maßgeblich beeinflussten. Auch das Unternehmen Rothenberger befindet sich in einem ständigen Prozess der Erneuerung, Weiterentwicklung, Fortentwicklung und dem sich Wiederfinden in einem Familienunternehmen. Und Familie wird hier großgeschrieben. Vier Generationen unter einem Dach, die mit Optimismus und Investitionen an den Standort Kelkheim glaubten und glauben. Das 75-jährige Jubiläum widmen die Familie Rothenberger und die ROTHENBERGER Group ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Alle gehören zu einer Familie, das heißt: Die Unternehmenswerte werden von allen gelebt. So hat das Familienunternehmen in den letzten 75 Jahren jede Krise überwunden und ist gestärkt aus ihr hervorgegangen. „Ein Grund mehr, dieses Jubiläum der Belegschaft zu widmen“, so Dr. Helmut Rothenberger.

Dass ROTHENBERGER ein innovatives Unternehmen ist, lässt die neue Produktionshalle erahnen. Lichtdurchflutet bietet sie Platz für etliche Maschinen, die zur Produktion der vielfältigen Werkzeugpalette notwendig sind. Vieles ist inzwischen voll automatisiert, wie die Herstellung der Pressbacken. Eine Sensorüberwachung sorgt dafür, dass effizient gearbeitet wird, Ausfälle können so schnell behoben, Maschinen flexibel angepasst werden. Überhaupt sorgt die Digitalisierung im Unternehmen für ganz neue Möglichkeiten. Gerade im Bereich der Dokumentation sei sie immens wichtig, weiß Vorstandschef Dr. Christian Heine zu berichten.

Modernste Technik

Es ist schon beeindruckend, wenn man sieht, wozu moderne Technik heute möglich ist – selbst Dr. Helmut Rothenberger zeigt sich immer wieder begeistert. So zum Beispiel beim Werkzeug-Lagersystem, das von einem Azubi vorgeführt wird und die Besucher zwar nicht mit Werkzeug, aber einer Tüte Gummibärchen versorgt. Auch das smarte Paternosterregal, das auf die Idee des Teamleiters Werklogistik zurückgeht, sorgt für große Augen. Auf kleinstem Raum werden hier die technischen Komponenten zur Werkzeug-Maschinenherstellung gelagert. Die raumhohen Regale sind voll automatisiert und an SAP angebunden. Durch die komplette Digitalisierung der Paternosterregale werden Fehler und Stillstände effektiv vermieden. Der sogenannte RO Gimat kann bis zu 46 Tonnen einlagern, „deswegen mussten wir extra das Fundament darunter verstärken“, verrät Rothenberger.

Und weiter geht die Tour durch die neue Halle. Die Investition in die Zukunft zeigt sich im hinteren Teil. Dort wurde ein 270 m2 großer Bereich nur für die Azubis eingerichtet. Genau auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich das Herzstück – der Entwicklungsbereich. Hier „rauchen“ die Köpfe, hier werden neue Produkte entwickelt, bestehende verbessert und die Produktion wird noch effizienter „gedacht“. Darunter das Prüflabor, denn bei ROTHENBERGER wird nichts dem Zufall überlassen. Viel Know-How steckt in den einzelnen Prüfständen, vieles wurde selbst entwickelt. Durch ihre Mobilität können sie flexibel eingesetzt werden.

Flexibilität und Zukunft

Flexibilität ist ein Wort, das sich durch die 75 Jahre zieht. Denn das Unternehmen musste immer wieder auf Herausforderungen reagieren. Auch was es heißt, sich in einem Familienunternehmen mit der Unternehmensnachfolge zu beschäftigen. Und da kommen die Buddenbrooks und die Veuve Clicquot wieder ins Spiel. Denn die beiden Töchter Dr. Sandra Rothenberger und Dr. Sabine Rothenberger thematisierten beide in ihren Reden den gar nicht so einfachen Weg, um Familie, Unternehmen, Verantwortung und Nachfolge unter einen Hut zu bringen. Denn wie Bismarck seinerzeit behauptete: „Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte und die vierte verkommt vollends.“ Dem wollte sich Dr. Sandra Rothenberger nicht anschließen, aber auch sie weiß, „dass das hochkomplexe Gefüge zwischen Familienunternehmen und Unternehmerfamilie eben gar nicht so einfach zusammenzuhalten ist – vor allem dann nicht, wenn man sich mit der Dynamik beider nicht ‚früh‘ genug auseinandersetzt.“ Das habe man im Hause Rothenberger, aber „erstens kommt es anders und zweitens als man denkt“, zitierte Dr. Sabine Rothenberger Wilhelm Busch. Mit einem Augenzwinkern lässt sie die Vorstellung der Unternehmensnachfolge in den Köpfen der Pionierunternehmer der Nachkriegszeit Revue passieren – der Sohn machts. „Ich denke, auch unser Vater hat sich das mit der Nachfolge bei uns ein bisschen anders vorgestellt. Er hat zwei Töchter bekommen“, scherzt sie sehr zum Amüsement der Gäste. Beide Töchter haben sich im Rahmen der Diskussion um die Zukunft des Unternehmens entschieden, nicht operativ in der Firma tätig zu werden. Dafür übernehmen sie seit 15 Jahren als aktive Gesellschafterinnen Verantwortung. „Wir haben einen Weg gefunden, der uns allen gut gefällt und den wir gemeinsam mit unseren Mitarbeitern und Managern gehen, die gar nicht fremd sind, sondern irgendwie eher Teil der Familie“, so Dr. Sabine Rothenberger.

Das kann CEO Dr. Christian Heine nur bestätigen. Wenn er spricht, spricht er vom Wir, von einer Familie – dem Baum. „Dieser Baum Rothenberger hat starke Wurzeln, aber die Blätter strecken sich nach Innovation“, fasst er das Verhältnis bildlich zusammen. Und dann nennt er den Kit, der Familie, Unternehmen und Mitarbeiter zusammenhält: „Es sind die sieben Grundwerte der Firma: Zusammenhalt als Familie, Vertrauen, Verantwortung, Effizienz, Qualität, Mut und Unternehmergeist.“

Bevor er die große Geburtstagstorte anschneidet, ergreift Dr. Helmut Rothenberger doch noch einmal das Wort. „Ich habe noch vieles vor“, gibt er Bürgermeister Albrecht Kündiger mit auf den Weg, bevor er seiner besten Mitarbeiterin für Geduld und Geleit dankt – seiner Frau Silvia.

Und dann gibt er seinen fünf Enkeln noch einen guten Ratschlag mit auf den Weg: „Der wichtigste Schritt ist der erste Schritt.“

ROTHENBERGER AG

Die ROTHENBERGER AG ist Teil der 1995 gegründeten Dr. Helmut Rothenberger Holding GmbH, die einen Umsatz von circa 2 Milliarden Euro mit 6.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwirtschaftet. In den nächsten drei Jahren wird die Holding ein Investitionsprogramm in Höhe von mehr als 300 Millionen Euro umsetzen. So soll in Alsfeld ein modernes, teils vollautomatisiertes Distributions- und Logistikzentrum mit 68.000 m2 Nutzfläche entstehen. Außerdem entsteht in Kelkheim-Münster ein neues Kleinteilelager im Autostore-System. Die Rothenberger Group besitzt mehr als 320 Patente, 14 Produktionsstätten und verkauft in mehr als 120 Ländern.

Dr. Helmut Rothenberger (2.v.li.) hat die 4. Generation an seiner rechten Seite. Gemeinsam mit dem hessischen Justizminister Christian Heinz, Landrat Michael Cyriax, Bürgermeister Albrecht Kündiger und dem Vorstandsvorsitzenden der Rothenberger AG, Dr. Christian Heine, wurde das rote Band zerschnitten und die neue Produktionshalle in Fischbach eingeweiht.Foto: Judith Ulbricht

Auf der Internationalen Fachausstellung Sanitär- und Heizungstechnik (ISH) 1967 stellte ROTHENBERGER das sogenannte R-System vor, das maßgeblich zum Erfolg des Unternehmens beitrug. Das R-System bestand aus Werkzeugen zum Aufweiten, Aushalsen und Biegen von Rohren und ermöglichte Installateuren, ressourcenschonend Rohre miteinander zu verbinden. Damit gelang der Durchbruch am Markt.Foto: Rothenberger

Für die Arbeitsschritte, die die Roboter übernommen haben, wurden früher 6 bis 7 Mitarbeiter benötigt.

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