Wolfgang Seifen „tanzt“ auf den Pedalen der digitalen Orgel

Stephan Paxmann schafft es immer wieder renommierte Organisten nach Münster zu holen: hier Wolfgang Seifen.Foto: Zellhofer

Kelkheim (tz) – Es war ein „Hochgenuss“ für den Verfasser dieses Artikels in der Nähe von Prof. Wolfgang Seifen auf der Zuhörerbank zu sitzen, um seine Virtuosität beim Bespielen der digitalen Orgel von St. Dionysius in Kelkheim-Münster ganz nah zu beobachten. In der Reihe der „Improvisationen an der Orgel“ war es zunächst das letzte Orgelkonzert und viele erinnern sich noch an das Letzte mit Sophie-Veronique Cauchefer-Choplin. Sie improvisierte ohne Noten mit ständigem Blick auf die Leinwand den 90-minütigen Stummfilm „Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen“ aus dem Jahre 1927.

„Improvisation ist das freie Spielen mit Kopf und Fingern auf der Orgel“, so hob es Stephan Paxmann in seiner Begrüßung hervor. Ohne Notenvorgaben spielt dabei der Musiker groß angelegte Orgelwerke, aber mit Ideen, Melodien und Harmonien aus dem Stegreif. Nichts ist aufgeschrieben und folgt einer spontanen musikalischen Eingebung. Mit den motivierenden Worten „Auf glückliche Finger“ übergab er dann das Wort und vor allem die Tasten und Pedalen an Wolfgang Seifen.

Das Konzert mit Wolfgang Seifen war „oberste Qualitätsliga“. Es fing mit einem Präludium und Fuge im Stile des deutschen Barocks an. In seinen einführenden Worten ging Seifen darauf ein, dass das Präludium (Vorspiel) erst durch Bach und Buxtehude seine besondere Bedeutung fand. Bei dem von ihm gespielten Präludium auf der digitalen Orgel war Bach unverkennbar. Auf die Frage, welche Präludien er für seine Improvisationen zugrunde legte, gab er die einfache Antwort: „Es ist das gesamte Vokabular von Bach-Präludien, das in meinem Kopf gespeichert ist und diese Bausteine nutze ich dann für meine spontane Komposition.“

Es folgte eine französische Suite im Barockstil. Und als besonderes Klangerlebnis stellte Stephan Paxmann die digitale Orgel auf den Orgelklang einer alten, barocken französischen Orgel um: auf die Intonation nach Jean Esprit Isnard von 1773. Isnard war Orgelbauer in den Zeiten der französischen Revolution. Diese Zeiten waren begleitet von der Zerstörung von Kircheninventar inklusive der wertvollen Orgeln. Glücklicherweise hatte Isnard eine rettende Idee, als die Revolutionäre in seine Kirche kamen und alles nieder reißen wollten: er spielte auf der Orgel die Marseillaise. Und voller Begeisterung für diese Musik ließen die Eindringlinge von ihrem Vorhaben ab und retteten so eines der bedeutendsten Zeugnisse der damaligen Zeit für die Nachwelt. Die sieben Sätze der Suite selbst zeugten von allerlei farbenfrohen Klängen, die mit knarrenden Trompeten, tiefen Krummhörnern und eleganten und weichen Flötenklängen überzeugte. Man wunderte sich, dass alles nicht komponiert war, sondern spontan gespielt wurde!

Der krönende Höhepunkt des Konzertes war die „Symphonie pour Grand Orgue“ – die große Symphonie für die große Orgel der St. Dionysius Kirche. Die Orgel sei dabei wie ein großes Orchester, so erklärte Seifen und hierzu musste Stephan Paxmann eine romantische französische Orgel im Stile von Cavaille-Coll aus dem 19. Jahrhundert einrichten und auf dem Registertableau die entsprechenden Reiterbeschriftungen anbringen.

Neben dem wuchtigen Allegro zu Beginn der Symphonie beeindruckte vor allem das mitreißende Scherzo; hier spielte Wolfgang Seifen auf allen vier Manualen der Digital-Orgel im ständigen Wechsel. Einige Male gelang es ihm sogar, mit den Fingern einer Hand übergreifend zwei Manuale simultan zu bespielen – eine wahre Meisterleistung. Öfter hatte man bei dieser Orgelsymphonie den Eindruck, die Tasten wären aufgeheizt, da der Fingerkontakt sich im Zehntel-Sekundenbereich bewegte. Hier wurden Schlagzeuge simuliert – es sind die perkussiven Facetten, die man auch auf einer Orgel darstellen kann, wenn man es so wie Wolfgang Seifen beherrscht. Er beherrschte auch den „Tanz auf den Pedalen“ mit schnellen Tonübergängen mit einem Vibrato und Tremolo – nur mit den beiden Füßen gleichzeitig gespielt. Dies kam im Finale der großen Symphonie für den direkten Beobachter zum Ausdruck. Die Besucher spürten in jeder Minute, welche Glanzleistung im Sinne der Meisterkonzerte hier von Wolfgang Seifen erbracht wurde. Mit reichem Applaus und minutenlangen „Standing Ovations“ brachte das Publikum seine Begeisterung zum Ausdruck.

Das weitere Meisterkonzert kommt aus dem Vatikan am Mittwoch, 23. Oktober, um 19.30 Uhr mit Josep Sole Coll, niemand geringerem als dem Organisten des Papstes aus St. Peter im Vatikan!

Neue Idee zur „Orgel 2.0“

Nachdem die neue digitale Orgel in Kelkheim-Münster in den zweieinhalb Jahren seit dem Eröffnungskonzert nicht nur in Kelkheim und der Region Main-Taunus und Frankfurt, sondern auch weit darüber hinaus viele Musikfreunde und vor allem auch internationale Titularorganisten und Konzertorganisten begeistert hat, ist nun die Idee zu einer spannenden Erweiterung der Orgel geboren: Die Erweiterung der digitalen Orgel mit echten Orgelpfeifen zu einer neuen Hybridorgel – zur „Orgel 2.0“. Die alte, leider überhaupt nicht mehr bespielbare Pfeifenorgel, kann leider nicht mehr saniert werden. Allerdings gibt es mit den neuen Technologien der letzten Jahre die Möglichkeit, einige der alten Pfeifenregister (ca. 20) für den Aufbau einer neuen, kleineren und vor allem mobilen Pfeifenorgel zu nutzen. Diese Pfeifen können über den digitalen Spieltisch der bestehenden Orgel gespielt werden und gemeinsam mit den digitalen Registern der gesamten Orgel erklingen. Eine echte Hybridorgel der besonderen Art und eine echte Seltenheit in dieser Größe in Deutschland. Die internationalen Organisten David Briggs aus New York, Paolo Oreni aus Italien sowie Oliver Penin aus Paris haben ihre Unterstützung bei diesem Projekt zugesagt; sie alle waren schon zum MEISTERKONZERT in Kelkheim-Münster. Nun gilt es, ein passendes Konzept zu finalisieren und in der Gemeinde zu diskutieren - und natürlich im weiteren Verlauf auch Spenden für den Aufbau zu sammeln. Wir dürfen schon jetzt gespannt sein, was für weitere Meisterleistungen auf der großartigen Orgel in Kelkheim dann noch möglich werden!



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