Königstein (hhf) – Es ist gar keine so ausgefallene Idee, in rund 120 Städten gibt es so etwas schon. Dafür, dass die Idee sogar richtig gut ist, spricht – neben den Erfahrungsberichten aus den anderen Kommunen – weiterhin, dass sie in Königstein (mindestens) drei greifbare Väter hat. Der Verein für Denkmalpflege, der Verein für Heimatkunde und der Lions Club Königstein gehen, um im literarischen Bild zu bleiben, seit rund einem Jahr damit schwanger, nun haben die Lions den Stein ins Rollen gebracht.
Bei einem gemeinsamen Treffen mit Vertretern der drei Vereine, Bürgermeister Leonhard Helm (unterbrach seinen letzten Urlaubstag), einigen fachkundigen „Normalbürgern“ und Lokalpolitikern besichtigte Egbert Broerken zunächst den Altstadtbereich und kam dann zu dem Ergebnis, dass die Idee hier auch umsetzbar ist – und er muss es wissen, denn „er hat‘s erfunden“.
Bei einem nicht allzu eiligen Gang durch Soest (Ziel: Künstlercafé) fiel ihm eine Stadtführung auf, in deren Verlauf sich ein Historiker bemühte, einer Gruppe Sehbehinderter wenigstens die wichtigsten Gebäude zu beschreiben, denn die Vermittlung einer Stadtansicht, eines Ensemble-Zusammenspiels oder wenigstens des Stadtplanes als Übersicht schien unmöglich. „Das muss doch auch besser gehen“ dachte sich der bildende Künstler und kam bald auf das Begreifen durch be-greifen, denn er hatte Erfahrung mit der Herstellung von Bronzeobjekten. Die zündende Idee ist ebenso einfach wie genial: Ein maßstabsgetreues Stadtmodell aus Bronze.
Kein ganz billiger Werkstoff, wohl auch deswegen stand die erste Umsetzung der Soester Idee in Münster, aber zum Beispiel wetterfest und en bloc fest montiert auf einem Betonsockel schwer genug, um Dieben zu widerstehen. Und auch Schmutzfinken haben wenig Chancen, ein Bronzemodell ist leicht mit Wasser zu reinigen, nur bitte nicht mit scharfen Zusätzen oder Heißwasserdüse: „Das hat mal ein Hausmeister versucht, danach wurde alles grün“, warnt Broerken davor, die Patina künstlich zu beschleunigen.
Grünspan oder gar Staub setzen die dreidimensionalen Stadtpläne aber selten an, denn sie sind zum Anfassen gemacht und verlocken auch dazu. Schnell stellte sich heraus, dass nicht nur Blinde einen hohen Erkenntnisgewinn aus den Modellen zogen, auch Kinder können schwer ihre Finger davon lassen und schließlich entdeckten auch die Erwachsenen den Vorteil von Erfahrungen mit allen Sinnen – beinahe überall, wo so ein Bronzemodell aufgestellt wird, wird es in kürzester Zeit auch zum neuen Treffpunkt für die Stadtführungen.
Eine wichtige Voraussetzung ist aber, den richtigen Maßstab für das Modell zu wählen, nicht zu klein und fummelig, aber auch nicht so groß, dass das Gefühl für den Überblick verloren geht. „Der Maßstab 1:500 hat sich bewährt, da kann ich noch einzelne Dachgauben abbilden“ zählt der Künstler ganz trockene Fakten auf, „man kann Dinge etwa bis in den Zwei-Millimeter-Bereich ertasten“ (sofern der ganze Finger dort hin kommt). Von solchen Vorgaben lässt er sich sogar einen Teil der Gestaltung vorschreiben, denn der Maßstab begrenzt den Ausschnitt aus dem Grundriss: Je größer das Stadtgebiet, desto kleiner müssen die Häuser werden, sonst wird das Modell zu weitläufig. Zu viele kleine Häuser werden aber wieder unübersichtlich und so bleibt letztlich nur, sich für einen bestimmten Bereich des Stadtgebietes zu entscheiden, sinnvollerweise in der Regel die Altstadt.
Das ist nun der Grund, weshalb Egbert Broerken sich erst einmal selbst eine Stadtführung anhören und mehr noch ansehen muss, bevor er sich überhaupt eine Meinung zur Machbarkeit eines neuen Bronzemodells bilden kann, außerdem bestimmen dessen Größe und Aufwändigkeit natürlich auch den Preis.
Nach etlichen Stunden und Runden vor Ort und natürlich auch einem Blick vom Burgturm war sich die „Entscheidungsfindungskommission“ einig: Es ist machbar, es ist vorteilhaft für nahezu jeden Menschen in und um Königstein und der ideale Standort ist der Kapuzinerplatz. Die Grenzen des Ausschnittes könnten einen Radius um die Burg bis zum Schwimmbad erfassen, eine längliche Form von etwa 1,20 auf 1,50 Metern schlösse die wichtigsten Kernbereiche ein – mit der Villa Rothschild zum Beispiel könnte es allerdings allmählich schwierig werden. Selbstverständlich ließe sich ein zweites Modell, zum Beispiel „rund um den Falkensteiner Burgberg“ oder das Kapuzinerkloster in größerem Maßstab jederzeit nachreichen.
Natürlich könnte man auch Zusatzinformationen wie zum Beispiel den Verlauf ehemaliger Stadtmauern mit einbeziehen, grundsätzlich beginnt Egbert Broerken mit Fotografien der einzelnen Häuser, erstellt auf deren Basis einzelne Modelle und fügt sie schließlich zum Stadtbild auf einer topografisch korrekten Unterlage zusammen. Wie aus einem Wachsmodell schließlich im „Wachsausschmelzverfahren“ die Bronzegussform entsteht, lässt sich erraten.
Bei einer Herstellungsdauer von knapp einem Jahr und dem nicht ganz billigen Material Bronze lässt sich aber auch erahnen, dass der Spaß nicht ganz billig wird. 25.000 Euro sind eine durchaus realistische Schätzung und grob überschlagen (bei geschenktem Material ein Monatsverdienst von 2.500 Euro) sicher nicht unverschämt.
Dennoch haben weder die Lions alleine, noch die drei Vereine gemeinsam so viel Geld im Sparstrumpf. Die Stadt kann aufgrund der angespannten Haushaltslage (die mittlerweile sogar unaufmerksamen KöWo-Lesern hinlänglich bekannt sein dürfte) gar nichts zuschießen, hier genießen natürlich Flüchtlingsunterkünfte oder Straßensanierung höhere Prioritäten als die Anschaffung eines Kunstwerkes, und sei es neben aller Ästhetik auch noch so sinnvoll.
Jegliche Unterstützung nicht finanzieller Art sei dem Projekt aber sicher, versprach Bürgermeister Leonhard Helm und das Projekt hat auch schon einen Namen: „Stadtmodell für Sehende und Blinde“, so Heinz Alter, hat der Lions-Club Königstein sein neuestes Kind getauft und hofft unter dieser Bezeichnung auf Spender und Sponsoren. „Ab einer bestimmten Höhe können wir ja das Wohnhaus des Spenders im Modell vergolden, das ist technisch gar kein Problem“, scherzt Künstler Broerken und legt dann einen ernsthafteren Vorschlag nach: Auf seiner Internet-Seite „www.blinden-stadtmodelle.de“ lassen sich als Entscheidungshilfe viele seiner bisherigen Modelle im Bild betrachten.
Wer nun von der guten Idee überzeugt ist – das dürfte leicht der Fall sein – und sein Scherflein beitragen will, kann den Betrag über folgende Bankverbindung beisteuern:
Lions Club Königstein, IBAN: DE23 5019 0000 0300 2111 27, BIC: FFVBDEFF. Verwendungszweck: „Stadtmodell für Sehende und Blinde“.
Von diesem Modell-Beispiel aus Basel weiß der Autor aus eigener Erfahrung, dass es dort nicht nur überaus beliebt ist und hervorragende Dienste leistet, sondern viele der von den Königsteinern geäußerten Vermutungen bestätigt. So dient es unter anderem als Treffpunkt für Stadtführungen und ist problemlos zu reinigen.
Foto: Alter
Nicht nur für Sehbehinderte macht das Bronzemodell die Orientierung leichter (wichtige Gebäude sind sogar in Blindenschrift auf ihrem Dach erklärt). Eine mehrsprachige Anleitung hilft, auch sprachliche Barrieren letztendlich durch be-greifen zu überwinden. Der vom vielen Anfassen blanke Würfel hilft schließlich naturwissenschaftlich weniger begabten Menschen, sich den Maßstab durch ab-greifen besser vorzustellen.
Foto: Alter


