Childaid wird zehn Jahre alt – wie alles begann

Dr. Martin Kasper, hier aufgenommen während eines Vortrages im Rahmen seiner Stiftungsarbeit, gründete vor zehn Jahren zusammen mit seiner Frau Childaid Network.

Königstein – Dr. Martin Kasper ist in seinem Leben viel herumgekommen. Er kann lange Abende fesselnd über Abenteuer, Begegnungen und Eindrücke von diesen Reisen abseits ausgetretener Pfade erzählen. Aber ein Erlebnis hat ihn mehr geprägt als alle anderen: Er war zu Fuß unterwegs in einer atemberaubend schönen Kulturlandschaft, bei Banaue auf der Insel Luzon, aud den Philippinen, ausgezeichnet als Weltkulturerbe der UNESCO. Über Jahrtausende hatten Bauern dort mühevoll Terrassen in die mehrere tausend Meter hohen Hänge geschnitten. Nach heftigem Monsunregen klarte es auf und die Sonne spiegelte sich in den frisch bepflanzten und gefluteten Reisfeldern – ein wirklich paradiesischer Anblick.

Nur eine Frau war im Dorf zurückgeblieben, weil sie hochschwanger den anderen nicht mehr auf den Feldern helfen konnte. Sie lud die Wanderer zum Tee ein – und bald kam man ganz persönlich über das Leben im Dorf und die Herausforderungen der Reisbauern ins Gespräch. Auf die Frage, wann ihr Baby denn auf die Welt kommen würde, antwortete sie: „Bald, aber es wird ja sowieso nicht überleben.“ Zu Beginn der Regenzeit waren die Erntevorräte erschöpft, die Menschen hatten nicht mehr genug zu essen. Dagegen vermehrten sich im schwülheißen Tropenklima Keime und Moskitos prächtig. Die Erfahrungen zeigten, dass in dieser Gegend alle in der Regenzeit geborenen Kinder in wenigen Wochen an Krankheiten wie Malaria oder Durchfall starben.

„Dieser Satz der jungen Frau in Banaue hat mein Leben verändert,“ gesteht Dr. Kasper. „Ich konnte und kann nicht akzeptieren, dass an einem der schönsten Fleckchen Erde Kinder keine Überlebenschance haben, nur weil die Eltern sie vor Infektionen nicht schützen können. Wir haben uns damals geschworen, dass wir das uns Mögliche tun werden, um das zu ändern.“ „Ich habe mich schon immer sozial engagiert,“ sagt Dr. Martin Kasper. Als Ältester von sechs Geschwistern hat er in der Familie früh Verantwortung übernehmen müssen. Während seiner Schulzeit am Max-von-Laue Gymnasium in Koblenz, wo er 1976 Abitur machte, engagierte er sich als Schulsprecher. Parallel zum Studium an der TH Karlsruhe, an der er 1980 sein Diplom als Wirtschaftsingenieur ablegte, gab er Gastarbeiterkindern kostenlos Nachhilfestunden. Zu seiner Zeit an der University of California in Berkeley (USA), wo er 1983 promovierte, fuhr er regelmäßig mit gleichgesinnten Kommilitonen von San Diego über die mexikanische Grenze nach Tijuana, um dort Kindern zu helfen, die in und von den Müllhalden ihr Leben fristeten. Auch später haben er und seine Frau einen großen Teil ihrer Freizeit und Ressourcen für bedürftige Kinder investiert.

Doch nach außen hin prägte eine beeindruckende Karriere das Leben des jungen Ingenieurs. Schon mit 30 Jahren war er Geschäftsführer der Hako-Werke in Bad Oldesloe. Dann wechselte er in die Geschäftsleitung der Linde AG in Aschaffenburg und wurde 1996 Managing Partner bei Accenture in Kronberg, einem der weltweit führenden Managementberatungs-, Technologie- und Outsourcing-Dienstleister. Der Börsengang von Accenture machte den Vater von drei Kindern finanziell unabhängig. Gemeinsam mit seiner Frau Dr. Brigitta Cladders beschloss er deswegen 2006, seinen Lebenstraum zu verwirklichen: Kindern eine Zukunft zu geben, die nur deswegen keine haben, weil sie am falschen Ort geboren wurden. Als 48-Jähriger gab er seinen Job auf, um sich ohne Gehalt ganz dieser Aufgabe zu widmen.

Das Ehepaar gründete mit eigenem Kapital die Stiftung Childaid Network mit dem Ziel, Bildung in abgelegene Regionen zu bringen. Mit Bildung kann der Teufelskreis der Armut durchbrochen werden. Untersuchungen der Vereinten Nationen zeigen, dass jedes zusätzliche Schuljahr das Leben einer Frau um zwei bis drei Jahre verlängert und die Kindersterblichkeit ihrer Nachkommen halbiert. Aber weltweit gehen immer noch mehr als 100 Millionen Kinder nicht zur Schule. Etwa 150 Millionen werden als Sklavenarbeiter ausgebeutet. Und mehr als 250 Millionen junge Menschen im schulpflichtigen Alter können nicht lesen und schreiben. Dennoch werden nur zwei bis drei Prozent der weltweiten Entwicklungshilfe in Grundbildung investiert. „Wir haben uns dem Ziel verschrieben, allen Kindern den Zugang zu Bildung zu vermitteln, so dass sie ein selbstbestimmtes Leben in Würde gestalten können. Natürlich schaffen wir das nicht alleine, aber in Netzwerken und mit Gleichgesinnten kann in unserer Generation diese Vision Wirklichkeit werden“, betont Dr. Kasper. Die Stiftung begann mit ihren Projekten in Nordost-Indien. Dies ist eine der ärmsten Regionen der Welt – doch isoliert und vergessen. In dem landschaftlich reizvollen Gebiet am Fuße des Himalaya leben hunderte Ethnien mit eigener Kultur und Sprache in abgelegenen Dörfern. Ohne elektrischen Strom, ohne Straßenanbindung und ohne Trinkwasser ist ihr Überleben aber zunehmend gefährdet. 90 Prozent der Erwachsenen sind Analphabeten, denn es gibt dort selten Schulen und nur wenige Lehrer. Die Lebenserwartung ist gering und die Kindersterblichkeit erschreckend hoch: Vier von zehn Kindern in den Bergen sterben immer noch, bevor sie das fünfte Lebensjahr erreicht haben. Deswegen migrieren viele Menschen in die großen Städte. Doch wer z.B. in die Millionenstadt Guwahati, die Hauptstadt von Assam, zieht, um dort sein Glück zu versuchen, endet oft in den Slums oder auf der Straße. „Die Situation in den Bergen von Nordostindien hat mich an die Situation in den Bergen von Banaue erinnert“, berichtet Dr. Kasper. „Wir müssen das ändern, aber Almosen sind keine Lösung. Wir wollen die Menschen befähigen, ihr Schicksal selber zu verändern. Grundbildung und berufliche Qualifizierung sind dafür die besten Grundlagen. Sie verändern Strukturen nachhaltig“, so fasst Dr. Kasper die Konzeption der Arbeit der Stiftung Childaid Network zusammen. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeitet er eng mit starken Partnern und Organisationen vor Ort zusammen. Diese sorgen zum Beispiel dafür, dass im Dorf eine Hütte zur Verfügung gestellt wird, damit die Kinder unterrichtet werden können. Childaid Network finanziert die Ausbildung und die Gehälter der Lehrer, die dort Jugendlichen, die nie zur Schule gehen durften, nachträglich Lesen, Schreiben und Rechnen, aber auch Hygiene und erfolgreiche Methoden der Landwirtschaft vermitteln. Neben den Schulen für Minderheiten, Flüchtlinge, Straßenkinder und andere Randgruppen werden inzwischen auch viele Aktivitäten zur Berufsbildung gefördert. Junge Menschen erhalten die Gelegenheit, im dualen System unterschiedliche Berufe zu erlernen, um Geld verdienen und später eine Familie ernähren zu können. Seit der Gründung 2007 förderte die Stiftung über 110.000 junge Menschen direkt – mit mehr als 6,5 Millionen Euro Projektmitteln – indirekt verbesserte sich damit die Lebenssituation von mehr als einer halben Million Menschen in entlegenen bitterarmen Gebieten Südasiens. Aktuell werden mehr als 30.000 Kinder und Jugendliche in den Projekten der Stiftung in Nordostindien, Nepal, Bangladesch, Myanmar und Laos erreicht. Eine Erfolgsbilanz, die sich sehen lassen kann.

Childaid Network wird am 27. April 2017 zehn Jahre alt. Für Dr. Kasper ist dies kein Grund, sich zur Ruhe zu setzen. Im Gegenteil: Er und sein großes, überwiegend ehrenamtliches Team sehen dies als Ansporn, mit viel Schwung im Netzwerk mit Gleichgesinnten weiter zu wirken. Sie wollen erleben, dass ihre Vision überall Wirklichkeit wird und alle Kinder weltweit eine Chance auf eine gute Grundbildung erhalten.

Für die nächsten Wochen und Monate sind viele Aktionen und Kampagnen vorgesehen, die das Netzwerk für bedürftige Kinder ausweiten sollen. So referiert Cornelia Richter, Stiftungsrat von Childaid Network und Vorstand der GIZ am 23. Mai um 19 Uhr im Haus der Begegnung zum Thema Herausforderungen in der Entwicklungszusammenarbeit. Für den 31. Mai ist in Frankfurt ein großer Aktionstag mit Schulsprechern zum Thema Kinderrechte geplant.



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