Königstein – „Deutschland ist das beste Land der Welt“, strahlt Dr. des. Moris Samen vom Fachdienst Asyl. Seine Mutter in Kamerun findet das auch. Seit Januar ist der 36-Jährige zuständig für die Betreuung der 130 Königsteiner Flüchtlinge. Seit ein paar Wochen hat er sein Büro direkt vor Ort am Kaltenborn, wo 60 Asylbewerber leben.
Die Königsteiner Woche wollte von dem Diplom-Soziologen und promovierten Ethnologen, der auch Lehrkraft im Fach Ethnologie an der Universität Frankfurt ist, wissen, welche Probleme und Chancen es gibt und welches sein persönlicher Wunsch ist.
KöWo: Was genau ist Ihr Job?
Moris Samen: In Königstein leben zurzeit Zeit 130 Flüchtlinge aus Afghanistan, Eritrea, Syrien, Pakistan, Iran und Somalia, die ich seit Januar 2016 betreue. Ich bin ihr Ansprechpartner in allen Lebensfragen. Ich habe immer ein offenes Ohr und bin sogar bei Ehekrisen zuständig (lacht). Ich habe mich zum ehrenamtlichen Integrationslotsen ausbilden lassen, weil es mein Herzenswunsch war, Menschen, die als Flüchtlinge in Deutschland ankommen, eine Hilfestellung zu geben. Dabei habe ich viele Problemfelder erkannt und aus eigener Initiative ein Konzept zur Optimierung der Integrationspolitik erstellt. Dieses Konzept hilft mir jetzt vor Ort, die Flüchtlinge besser zu integrieren. Für mich ist Königstein Vorreiter für eine bessere Integration und für ein ausgeglichenes Zusammenleben. Zu meinem Konzept gehört, dass auf Leistungen Gegenleistungen erfolgen sollten. So habe ich neben anderen Maßnahmen einen Putzplan für die Unterkünfte eingeführt. Auch diverse Renovierungsarbeiten werden in eigener Regie von den Asylbewerbern ausgeführt. So kann aus einer Notunterkunft ein Zuhause, zumindest auf Zeit, werden.
KöWo: Welche Probleme gibt es?
Moris Samen: Eine falsche Betreuung hat Auswirkungen auf das ganze Leben. Wenn die Flüchtlinge sich selbst überlassen werden, schwach sozialisiert sind, besteht die Gefahr, dass sie zu Sozialfällen werden. Aber ich bin optimistisch: Wenn es überall so gut läuft wie bei uns, dann schaffen wir das. Ein weiteres Problem ist das Klischee vom reichen Deutschland, das die meisten Flüchtlinge aus den sozialen Medien (viele kommunizieren über Facebook) kennen. Sie glauben, dass hier nur dicke Autos gefahren werden und das Geld auf der Straße liegt. Bei Ankunft Reichtum? Die Realität sieht anders aus und besteht zunächst aus Warten, bis Anträge bearbeitet und Sprachkurse bewilligt sind.
Köwo: Welche Chancen sehen Sie?
Moris Samen: Die Flüchtlingswelle ist eine Herausforderung für unsere Gesellschaft, da-rüber bin ich mir im Klaren. Sie hält uns einen Spiegel vor: Unsere Gesellschaft muss sich in dieser Situation über die eigenen Werte klar werden. Deutsche Werte wie Fleiß, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit haben dieses Land zum Erfolg geführt. Die Frage lautet: Wer sind wir und wie leben wir? Ein solides Fundament muss jetzt geschaffen werden, dann kann man über Chancen reden. Die Art und Weise, wie wir die Flüchtlinge integrieren und gleichzeitig das soziale Gleichgewicht erhalten, sagt etwas über unsere Gesellschaft aus, die sich selbst als offen und tolerant wahrnimmt. Ich halte allerdings nichts von zu viel Toleranz: Wer in unser Land kommt, muss das Land, die Menschen und die Kultur respektieren. Wer hierher kommt, muss sich anpassen! Auch wenn es unterschiedliche Weltanschauungen gibt, will ich dazu beitragen, dass das Experiment gelingt. Dafür ist Aufklärung nötig: Viele Fremde kennen unsere Normen und Werte gar nicht. Die Vermittlung sehe ich als meine Aufgabe. Viele ergreifen die Chance und es macht Spaß, das zu sehen! Sie werden es schaffen.
KöWo: Wie klappt die Integration?
Moris Samen: Sie klappt nur, wenn wir uns kümmern. Eine wichtige Rolle spielen hier die Paten der Flüchtlinge, die ihnen die Hand reichen und ihre Ansprechpartner sind. Das geht über die Sozialarbeit hinaus und nur mit ihrem Einsatz gelingt es, jeden Einzelnen in die Gemeinschaft zu integrieren. So finden die jungen Flüchtlinge so etwas wie Familienersatz, Menschen, denen sie vertrauen. Ich sage ihnen auch klipp und klar, dass diese Hilfe nicht selbstverständlich ist und sie etwas zurückgeben können. So waren 25 Flüchtlinge bei der Aktion „Sauberes Königstein“ mit dabei und haben Müll, gemeinsam mit Königsteiner Bürgern, eingesammelt. Auch beim Burgfest haben viele fleißig mitgeholfen. Ein Afghane geht mit gutem Beispiel voran und sammelt täglich unaufgefordert Abfall im Park ein.
KöWo: Wie hilfsbereit sind die Königsteiner?
Moris Samen: Ich bin beeindruckt von der Hilfsbereitschaft, vor allem der Paten, die sich spontan bereit erklärten, die Neuankömmlinge zu unterstützen. Die Patinnen und Paten helfen bei Behördengängen, vermitteln Sprachkurse, organisieren Arztbesuche und helfen im Alltag. Für alle Seiten erfreulich sind gemeinsame Ausflüge und gegenseitige Einladungen zum Essen und Feiern, die allen Spaß machen. Die Paten haben ein persönliches Interesse an ihren Schützlingen, und so wird aus dem formellen Verhältnis schnell ein informelles – so entstehen Freundschaften! Ich halte allerdings nichts davon, Flüchtlinge mit Handys und anderen Geschenken zu überhäufen. Das ist das falsche Signal. Ich glaube an das Belohnungsprinzip: Wer fleißig zum Deutschkurs geht, hat eine Belohnung verdient, wer anderen hilft auch.
KöWo: Wie ist die Stimmung?
Moris Samen: Viele Flüchtlinge sind jung und wollen arbeiten, sie sind mit etwas gutem Willen auch einsetzbar, denn viele haben ein nützliches Handwerk gelernt. Sie sind Automechaniker, Schreiner, Bäcker, Koch und auch Ingenieur-Studenten sind darunter. Eine Stelle oder anfangs auch nur ein Praktikum würde es vielen erleichtern, sich in die Gesellschaft einzugliedern. Falls Sie eine Stelle anzubieten haben, können Sie sich direkt an den Fachdienst Asyl wenden, der versucht mit möglichst wenig Bürokratie, geeignete Stellen zu vermitteln. Viele 1-Euro-Jobs sind ebenfalls möglich.
KöWo: Was ist Ihr persönlicher Wunsch?
Moris Samen: Ich bin Sozialarbeiter aus Leidenschaft! Ich wünsche mir, dass wir es durch Integration schaffen, eine kulturelle Vielfalt zu schaffen, die Deutschland zu einer starken Nation innerhalb eines besseren Europas macht. Deutschland ist für mich ein Leuchtturm in der Flüchtlingspolitik.
Wenn Europa die Werte des Humanismus vertritt, muss es entsprechend diesem Grundsatz auch Fremde aufnehmen, die in Not geraten sind. Freiheit und Demokratie werden auch von denen herbeigesehnt, die um Leben und Tod kämpfen. Es geht letztendlich um Menschlichkeit und um den persönlichen Einsatz. Ich glaube an das, was ich vermittle und ich glaube daran, dass es die Neuankömmlinge hier schaffen werden. Eine Million Flüchtlinge versus 80 Millionen deutsche Bürger – da sollte doch der Rahmen für Integration vorhanden sein.
Der Individualismus muss hinten anstehen, wenn es um eine menschliche, eine soziale Gesellschaft geht. Jeder kann sich fragen, was er zum Gelingen beiträgt.
Die Flüchtlinge kommen hierher mit ihren Träumen und Werten und können uns neue Impulse bringen. Sie glauben an etwas, im Gegensatz zu unserer modernen Gesellschaft, die vom Egoismus geprägt ist.