Königstein (hhf) – Obwohl der frühere – und mittlerweile verstorbene – Stadtarchivar Heinz Sturm-Godramstein ein ganzes Buch über „Juden in Königstein“ verfasst hat, weist die Heimatgeschichte dieser Bevölkerungsgruppe beträchtliche Lücken auf. Rund um die Verlegung der Stolpersteine wurden und werden einige davon in diesen Jahren geschlossen, doch handelt es sich dabei um Menschen und Schicksale aus dem vorigen Jahrhundert. Aus den davor liegenden Zeiten weiß man aber noch immer sehr wenig: Erstmals werden 1294, dann noch einmal 1301 zehn „Judenwirte“ in Königstein genannt, darauf folgt eine große Leere im Dokumentenschrank, die sich bis ins 17. Jahrhundert zieht.
Genau hier setzt Lokalhistoriker-Matador Rudolf Krönke seit Beginn des Jahres nun den Hebel an, ein schwieriges Unterfangen, aber der Auslöser befindet sich in seinem Keller, nämlich eine Mikwe, ein jüdisches rituelles Tauchbad, eben aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Und dort dürfte sich wohl niemand so gut auskennen wie der Vorsitzende des Vereins für Heimatkunde, der sich seit langem mit der Geschichte der Hauptstraße ebenso beschäftigt wie mit Kellerführungen. Und letztendlich ist der kleine Rolf in diesem Haus aufgewachsen, hat je nach aktueller Körpergröße neben den möglichen auch etliche unmögliche Winkel inspiziert.
Keine Frage, dass solch ein Fund der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden muss, daher lud der Hausherr am vergangenen Samstag gleich zu drei Führungen ein – jeweils maximal 12 Personen, damit es nicht zu eng wird. Während die einen Besucher trotz Voranmeldung nicht erschienen, nutzten andere - auch spontan – die Gelegenheit, an dem heißen Tag für eine Stunde in die kühlen Räume unter der Erde abzutauchen. Ein Bad konnte dort freilich niemand nehmen, auch der Weinschrank blieb verschlossen, und doch wurde der Gang über die Kellertreppe jedes Mal wieder zu einem eindrucksvollen Erlebnis. „Nicht die Menge ist entscheidend, sondern das Interesse, das man mitbringt“, erklärte Krönke seine Motivation und freute sich besonders, dass im Rahmen eines Familienausfluges auch die jüngste Generation vertreten war.
Mit Rücksicht auf die Größeren gab es allerdings die ersten Einführungen im Hinterhof noch bei Tageslicht und aufrechtem Gang. Ein Speer aus finnischem Birkenholz von den Olympischen Spielen 1936 markierte das Geburtsjahr des Drogisten-Sohnes, von dem aus dem gleichen Jahr auch ein Foto überliefert ist, was damals noch keine Selbstverständlichkeit war. „80 Jahre habe ich mich jetzt hier herumgedrückt“, vor allem als Kind mit oder ohne Dreirad jeden Winkel inspiziert, „ich dachte, ich kenne mich hier aus.“ Freilich hatte er auch die komische Delle in der Ecke des Kellers registriert, sie jedoch zunächst als einen Rest des Umbaus von 1927 eingestuft.
An Weihnachten 2015, genauer am 27. Dezember, zog er schließlich mit Sohn Oliver und einer Schaufel in die Tiefe, um auch dieser Ecke auf den Grund zu gehen. Schnell kamen die Grundrisse eines quadratischen Lochs, gemauert aus Ziegelsteinen, und einer dreistufigen Treppe zum Vorschein und eine erste Vermutung stellte sich ein. Diese bestätigte sich, als Gerd Pfaff von der Baufirma Alexander Pfaff die weiteren Erdarbeiten (kostenfrei) übernahm und dabei auch noch einen Abwasserkanal entdeckte. Sicherheit gab schließlich die zuständige Archäologin vom Landesamt für Denkmalpflege: Es handelt sich um eine Mikwe aus dem 17. Jahrhundert.
„Mikwen sind in unserer Gegend wahnsinnig selten“, freut sich Rudolf Krönke, „ein Kleinod“, besser erhalten als das Tauchbad in der Gerichtsstraße.
Scherben einer Glasflasche, die vielleicht sogar aus dem 16. Jahrhundert stammt und allerlei weitere Kleinfunde gab das Erdreich schließlich frei, mit dem das Loch verfüllt worden war. Diese Fundstücke sind inzwischen im Keller ausgestellt, dazu eine Schautafel und allerlei zeitgenössische Einrichtungsgegenstände, um ein Gefühl für den Raum in früherer Zeit zu vermitteln. Der Keller ist nämlich älter als das Haus darüber und entsprechend oft umgebaut worden, zuletzt hatte man ihn mit Holzpfählen verstärkt, um im Zweiten Weltkrieg als Luftschutzraum zu taugen, dazu kam ein Rettungsloch zum Nachbarkeller.
Sicher ist auch, dass das Haus darüber nach dem Stadtbrand von 1792 neu erbaut worden war, vielleicht hatte man damals die ursprünglichen zwei Kellerräume miteinander verbunden – offensichtlich ist die Verfüllung der Mikwe aber schon vorher geschehen. „Vielleicht ist der Grundwasserspiegel zurückgegangen“, überlegt der Heimatforscher, denn damit wurde das Tauchbad gefüllt, eine andere Zuleitung gibt es nicht. Stattdessen fanden sich noch immer feuchte Tonklumpen in den Ritzen zwischen den Ziegelsteinen, mit denen man die Wasserzuleitung abgedichtet hatte. Daraus erwächst eine andere Theorie: Eventuell wurde der Wasserablauf zum Problem, der möglicherweise so lange durch die Kellerwand ins Freie neben dem dortigen Stadttor führte, bis dort um 1680 ein Nachbarhaus gebaut wurde, dessen Bewohner sich nicht über das Abwasser der Nachbarn freuten.