Königstein (aks) – Der Literaturwissenschaftler, Dr. Michael Hesse, stellt gleich am Anfang klar, dass das Krimigenre allgemein eine große Affinität zum spirituellen Überbau hat. Das Thema Schuld und Sühne, im christlichen Sinne also die Sünde, entspricht der abendländisch-christlichen Tradition. Das klassische Krimischema geht so: Es passiert ein Verbrechen, die Recherche beginnt und führt zur Bestrafung des Täters. Heute Abend sollen hier im Literarischen Kabinett vor allem jene Krimis besprochen werden, die einen Bezug zum Thema Kirche haben bzw. in einem christlich-religiösen Umfeld spielen. „Detektive“ sind typischerweise Pfarrer und Mönche, aber auch Äbtissinnen und Nonnen, die zutiefst mit der Kirche verbunden sind, und die manchmal auch spirituelle Zweifel an der eigenen Berechtigung plagen, über den Täter zu richten. Den überführten Täter erwartete nicht selten die Todesstrafe.
Bei Adam und Eva und dem Apfelraub fing alles an: Ein guter Einstieg für Dr. Michael Hesse, für den auch die Bibel ein Krimi im weitesten Sinne ist – er grinst. Die Salomonischen Urteile zählen zweifellos zu den ersten Gerichtskrimis. Auch Fred Vargas und Patrick Roth erwähnt er am Rande, die aus einem Bibelthema einen spannenden Roman machen und sogar Georges Simenon, der bekannte französische Krimiautor, hat sich ausdrücklich mit dem christlichen Thema Sünde auseinandergesetzt.
Hesse wird konkret, als er den Autor Gilbert Keith Chesterton erwähnt, einen überzeugten Katholiken und seinen berühmt-berüchtigten „Pater Brown“. Zwischen 1910 und 1935 erschienen 49 einzelne Erzählungen. In Deutschland hat der unvergleichliche Heinz Rühmann sein Bild geprägt: Ein spitzzüngiger und scharfsinnig denkender Pater als Miss-Marple-Verschnitt, der gerne überall mitmischt. Ihn interessieren weniger die Indizien, vielmehr will er als Menschenfreund helfen und findet psychologisierend die Erklärung, die zur Aufklärung der Verbrechen beiträgt. Auch der Täter erhält seinen spirituellen Beistand, denn Pater Browns Überzeugung nach ist der Täter durch seine Tat bereits gestraft.
Peter Tremayne erschuf in seinen Krimis die Figur der Schwester Fidelma, einer Nonne, die im 8. Jahrhundert in Irland das keltische Christentum, das nicht zum Zölibat verpflichtet war, gegen das römische Christentum verteidigt und in diesem Kampf selbst fast zu Grunde geht. Sie ist auch hochgebildete Staatsanwältin und Schwester des Königs. Der Leser erhält spannende Einblicke in das historische irische Rechtssystem, das nicht nur besonders ausgeklügelt war, sondern den Frauen Gleichberechtigung zugestand. Der Autor selbst machte nie einen Hehl aus seinem Anti-Katholizismus.
Ellis Peters lässt seinen Protagonisten Bruder Cadfael im 12. Jahrhundert knifflige Fälle lösen. Der Mönch ist der Prototyp des kirchlich-christlichen Ermittlers, der sich als ehemaliger Soldat ins Mönchleben zurückzieht. Das 14. Jahrhundert wird von Paul Harding und seinem Bruder Aethelstan kritisch beleuchtet. In all diesen Krimiserien handelt es sich meistens um ein Ermittler-Duo, wo neben dem christlichen Mönch auch Sheriffs und Coroner auf der Bildfläche erscheinen, die den Tatort und die Motive aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten und nach diversen Motiven fragen.
Am bekanntesten ist den meisten Lesern, auch in dieser kleinen Runde, „Der Name der Rose“ von Umberto Eco, ein Roman, der im Mittelalter spielt und in dem jeder Aufklärungsversuch noch weitere, noch grausamere Verbrechen nach sich zieht. Niemand wird sie je vergessen, die derben und skurrilen Bilder, vor allem seit der Verfilmung, die zum Teil im Kloster Eberbach (Rheingau) entstand.
Von den christlich geprägten Krimis geht es flugs zum Block der jüdischen Ermittler, schließlich soll die Zeit von eineinhalb Stunden informativ genutzt werden. Hier lobt Michael Hesse besonders Harry Kemelman, dem es mit Rabbi Small („Am Freitag schlief der Rabbi lang“) auf 150 Seiten gelingt, Verbrechen in einer jüdischen Gemeinde in USA aufzuklären. Faye Kellerman bearbeitet neben dem jüdischen auch das Gender-Thema in ihren Krimis. Sie reizt es besonders, sich mit dem orthodoxen Judentum auseinanderzusetzen. Das Interessante an all diesen Werken ist vor allem die Beschreibung verschiedener Kulturkreise, in die man als Leser regelrecht hineingesogen wird. Weitere Autoren sind Batya Gur und Michael Ochajon.
Den Buddhismus behandelt besonders spannungsreich Eliot Pattison in seinem Krimi „Das Auge von Tibet“, in dem, bei allem ernüchternden und grausamen Realismus, auch die Menschlichkeit zum Zuge kommt und am Ende immer ein nachhaltiges Gefühl des Friedens und der Ruhe beim Leser bleibt.
Eher Ethno-Krimis sind die von Tony Hillerman („Der Kojote wartet“), der sich mit den sozialen Problemen der Navajo-Indianer im modernen Amerika auseinandersetzt, wo Alkohol und Arbeitslosigkeit die alte Kultur immer mehr zerstören. Hier besteht das Ermittler-Duo aus einem Polizisten und einem angehenden Schamanen. Ahnenkult, Stammesbräuche, Mythologie und Aberglaube werden hier zu einer explosiven Mixtur, die es zu durchschauen gilt und die mitreißende Einblicke in die reiche Tradition einer Minderheit vermittelt.
Soweit die vordergründige und bekanntere Krimiliteratur mit religiösen Themen: Michael Hesse ist selbst überrascht, dass er erst nach hartnäckiger Forschung bei Autoren mit protestantischen Protagonisten fündig wurde. Der autobiografische Aspekt ist hoch, da die meisten Autoren selbst amtierende Pfarrer sind wie beispielsweise Gerhard Brüning mit „Wer seine Sünde leugnet“, Christian Hartung, der seine Titel aus biblischen Texten wählt, die nach Martin Luther klingen wie „Lass ruhen zu deinen Füßen“. Aufhorchen lässt Krimi-Fans Pfarrer Matthias Fischer, der gleichzeitig Kampfsportlehrer ist und dessen Heldin eine Pfarrerin ist, die Kriminalfälle löst. Das wäre Michael Hesse durchaus mal eine Lesung wert – das gibt er spontan zu.
Zum Schluss dann der Offenbarungseid: Hesse hat keinen einzigen muslimischen Krimi gefunden. Da wäre also durchaus noch eine Lücke für ambitionierte – und furchtlose –Krimiautoren. Auch zum Thema Hinduismus als Krimi hat er nicht viel gefunden außer vielleicht „Bangalore Masala“.
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Das Literarische Kabinett findet regelmäßig zu unterschiedlichen literarischen Themen statt. Es bietet Literaturfreunden einen Ort, sich in geselliger Lunde über ihre Lektüre-Erfahrungen auszutauschen und neue Lese-Anregungen mitzunehmen.
Termine entnehmen Interessierte bitte der Homepage www.LitKabinett.de.
Literatur-Tipps „Krimi und Kirche“
Serien (jeweils der 1. Band der Reihe)
Pater Brown (Chesterton, Gilbert Keith: Pater Brown und das blaue Kreuz)
Schwester Fidelma (Tremayne, Peter: Nur der Tod bringt Vergebung)
Bruder Cadfael (Peters, Ellis: Im Namen der Heiligen)
Bruder Aethelstan (Harding, Paul: Die Galerie der Nachtigallen)
Äbtissin Helewise (Clare, Alys: Sei geweiht der Hölle)
Schwester Frevisse (Frazer, Margret: Die Novizin)
Rabbi David Small (Kemelman, Harry: Am Freitag schlief der Rabbi lang)
Rina Lazarus/Pete Decker (Kellerman, Faye: Denn rein soll deine Seele sein)
Michael Ochajon (Gur, Batya: Denn am Sabbat sollst du ruh‘n)
Chan (Pattison, Eliot: Der fremde Tibeter)
Joe Leaphorn/Jim Chee (Hillerman, Tony: Wolf ohne Fährte)
Michael Held (Hartung, Christian: Lass‘ ruh‘n zu deinen Füßen)
Clara Frank (Fischer, Matthias: Die Farben des Zorns)
Mrs. Wilcox (Richards, Emilie: Mrs. Wilcox und die Tote auf der Terrasse)
Einzelkrimis
Eco, Umberto: Der Name der Rose.
Brüning, Gerhard: Wer seine Sünden leugnet
Brüning, Gerhard: Wotans Wut