Plädoyer für mehr Gegenwartsklarheit

Nie war das Philosophieren, das Denken, so gefragt wie heute. Laut Autor Gert Scobel läuft es sogar derzeit den Naturwissenschaften den Rang ab. Foto: Schemuth

Königstein (el) – Cogito ergo sum – „Ich denke, also bin ich“ – ein jeder, der sich schon mal mit der Philosophie und dem dahinter stehenden Prozess des Denkens beschäftigt hat, ist bestimmt schon mal über dieses bekannte Zitat von René Descartes gestolpert. Ein Zitat, das einiges in Gang setzt, wenn man es denn zulässt und sich auf die Prozesse, die da folgen könnten, einlässt. Ein Sich-Einlassen auf das Vorgetragene war auch am Dienstagabend im Haus der Begegnung mit der Einladung der Königsteiner Akademie verknüpft. Etwa 120 Interessierte und Aufgeschlossene waren der „Einladung zum Denken“ von Wilhelm Engel, Leiter und Gründer der Königsteiner Akademie, die sich seit 25 Jahren mit der persönlichen Weiterbildung befasst, gefolgt. Und dies unter der von Engel aufgestellten Prämisse „Aufmerksam sein hilft, unser Denken in erfreuliche Bahnen zu lenken“. Wie das funktionieren kann, dass man selbst durch die bewusste Steuerung seines eigenen Denkens immer mehr zum Lenker und Bestimmer seines Lebens, seiner Gedanken und Gefühle werden kann, das wollte und sollte ein jeder für sich in Erfahrung bringen. Galt es doch an diesem Abend die Brücke vom Denken zum Dialog zu schlagen – Letzteres ein Feld, auf dem die Akademie mit ihren Seminaren seit vielen Jahren tätig ist.

Doch zunächst bedurfte es eines Exkurses in das Denken an sich als wissenschaftlicher Vorgang. Einleitende Worte dazu gab es von Dr. Susanne Nordhofen, Leiterin der Bischof-Neumann-Schule, die sich von dem Abend erhoffte, dass sie durch ihn neue Impulse werde bekommen können, die wiederum zum Nachdenken anregen. Dabei sei das Denken doch im Grunde ganz einfach, man müsse nur zum Beobachter seiner eigenen Gedanken werden, philosophierte Nordhofen, um mit dem Zitat, dass Gedanken wie wilde Affen in der Welt herumturnen, zu verdeutlichen, dass es gerade das gezielte Steuern der eigenen Denke ist oder eher gesagt, das Unvermögen dies zu tun, was einem selbst oftmals im Wege steht.

„Denk-würdig“ sollte der weitere Verlauf des Abends sein, zu dessen Hauptteil man den 3-sat-Moderator Gert Scobel eingeladen hatte, der unter anderem dafür sorgte, dass man eine kleine Einführung in die Weltgeschichte der Philosophie erhielt.

Warum das wichtig ist? Damit weitere Schichten im eigenen, oft angestaubten Denken freigelegt werden konnten, um einem zu offenbaren, dass man sich erstmals darüber Gedanken macht, was eigentlich passiert, wenn man denkt und welche Muster dabei aktiviert werden. Andererseits deckte Scobel auch auf, dass sich die Wissenschaften derzeit in der Krise befinden, was wiederum der Philosophie zu einem derzeitigen Comeback verholfen habe.

Als Ausdruck dessen, in welcher Sackgasse sich die Wissenschaft befindet, zitierte Scobel Wolf Singer, der vor kurzem einen Kongress mit den Worten „Wir müssen uns klarmachen, dass wir über das Gehirn so gut wie gar nichts wissen“ eröffnet hat. Nicht gerade beruhigend diese Vorstellung, zumal jene wesentlichen Fragen, die man an die Wissenschaft deligiert habe, laut Scobel, plötzlich unbeantwortet zurückkämen. Hinzu komme, dass man in einer komplexen Zeit lebe, die vielen Menschen immer mehr Schwierigkeiten bereite.

Da liege es auf der Hand, dass wir Menschen uns nach Erklärungen bemühen, nach etwas, das uns Halt gibt – die Philosophie. In diesem Zusammenhang analysieren wir den Gebrauch unserer Sprache, legen sie auf die Waagschale, hinterfragen „woher weißt du das denn?“ Allerdings handele es sich hier um Fragen, die man nicht mit dem Lexikon beantworten könne, so Scobel, wie etwa jene nach einem gelingenden Leben – was sei das überhaupt, wie lasse sich so etwas definieren. Peter Bearie habe daher das Philosophieren mit der folgenden Beschreibung versehen: Es sei der Versuch, begriffliches Licht in wichtige Erfahrungen des Lebens zu bringen. Michael Hampe mahnt eher dazu, die neue Art des Denkens nicht überzustrapazieren und als Allheilmittel heranzuziehen, schließlich sei mit der Philosophie nicht etwa die Antwort auf wissenschaftliche Fragen verknüpft. Das müsse man zu trennen wissen. Und doch keimt die Hoffnung auf, dass man auf die Anforderungen der heutigen Zeit anders und neu gewappnet reagieren kann und dass es an einem selbst ist, dies zu tun. Und das in einer Ära, in der die Umwelt jeden Tag aufs Neue unsere Organisationsstruktur strapaziert, vor manchmal schier unlösbare Herausforderungen stellt. Doch jetzt haben wir die Wahl. Wir können sie steuern, diese Emotionen und müssen sie sogar an die heutige Zeit adaptieren, um nicht weiter Gefahr zu laufen, dass wir sonst unserer Zeit hinterherhinken, mit unserem Handeln nicht mehr „up to date“ sind. Zum Glück müssen wir nicht monoton reagieren, sagt Scobel, wir haben die Feinsteuerung im Griff, „merken, was passiert“. Wenn wir in Verbindung mit unseren Emotionen stehen, dann folgt das Denken als logische Konsequenz daraus, was uns oftmals auch dabei hilft, die Denkmuster der anderen zu entschlüsseln. Dabei ist es ein ganz klarer Prozess, den Scobel als Autor von „Warum wir philosophieren müssen. Die Erfahrung des Denkens“ (Fischer Verlag) da aufzeigt, nur seien wir uns dessen oft nicht bewusst. Dabei habe uns die Philosophie mit dem nötigen Rüstzeug – nämlich der systematischen Befragung unserer alltäglichen Erfahrung – ausgestattet. Das könnten die Wissenschaften nicht leisten.

Daran knüpfte wiederum Wilhelm Engel in seinem Vortrag an, der die Aufmerksamkeit aller im Saal nach innen zu lenken suchte, um sie auf die nächste Stufe der „Reise“ vorzubereiten, den Dialog, der gleichzeitig – wie bereits berichtet – das Spezialgebiet der Königsteiner Akademie darstellt. Der Boden war also durch den Gastreferenten bestellt, doch würden die Zuhörer daran anknüpfen können und vor allem wollen? Dazu musste eine weitere „Schraube“ justiert werden, jene, die für „Gegenwartsklarheit“ zuständig ist, wie Engel referierte, denn nur wer diese Eigenschaft seinem Gegenüber transportiere, der erziele auch eine Präsenzwirkung. Das bedeutet auch für das Gehirn, dass die grauen Zellen angestrengt werden und eben nicht wie so oft auf „Automatik“ umschalten, um dann ein gewisses Programm – auch in der Unterhaltung mit anderen – abzuspulen. Der Tenor: Nur wer diesen Automatismus abstellt, der kann wertvolle Diskussionen und Gespräche führen.

Gemeint ist der eigene Umgang mit der Aufmerksamkeit – ein wichtiger Punkt, der dem Gegenüber vermittelt, dass man bei der Sache ist und ihn wahrnimmt. Doch auch hier könne einem das Unterbewusstsein oft einen Strich durch die Rechnung machen. So etwas müsse trainiert werden. Engel rät: Um innere Widerstände abzubauen, müsse nie das benannt werden, was man nicht haben wolle, stattdessen müsse das Gegenteil angesteuert werden. Der innere Dialog und seine Wechselwirkung (Worte, Bilder, Gefühle) – das sei der Schlüssel zur Schaffung von mehr Aufmerksamkeit.



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