Digitalisierung und Wertediskussion: Braucht das Land neue Werte?

Schneidhain (gs) – Mit dieser spannenden Frage beschäftigte sich Prof. Andreas Büsch von der Katholischen Hochschule in Mainz auf Einladung des „Offenen Treff für Jedermann“.

Seit Beginn des Jahres ist die Vortragsreihe unter der Leitung von Dr. Christian Lauer unter die Überschrift gestellt, wie die Digitalisierung unser aller Leben beeinflusst. Prof. Büsch setzt sich im Rahmen seiner Lehrtätigkeit an der Katholischen Hochschule sowie als Leiter der Clearingstelle Medienkompetenz (Projekt des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz und der Katholischen Hochschule Mainz) mit diesem Thema auseinander. Die von ihm behandelte Frage nach der Notwendigkeit neuer Werte setzte eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Thema Medienethik voraus. Doch was ist Medienethik eigentlich? Was hat die Frage nach Moral und Ethik mit der Digitalisierung zu tun? Büsch betrachtete diese Fragen in seinem Vortrag aus einer eher wissenschaftlichen Perspektive, was es seinen Zuhörern manchmal nicht ganz leicht machte, seinen komplexen Gedankengängen zu folgen und seine Schlussfolgerungen nachzuvollziehen.

Medienethik

Nüchtern betrachtet untersucht Medienethik den Zusammenhang zwischen medialem Ausdruck und menschlichem Verhalten. Die Frage lautet: „Wie stellen wir Zusammenhänge, Informationen und Wissen in digitalisierter Form zur Verfügung und welches Verhalten resultiert aus dieser Darstellung“? Besonders deutlich wird dieses Zusammenspiel, wenn man sich mit angewandten Algorithmen beschäftigt. Welche Daten werden wie verarbeitet, gewichtet und aufgrund von Erfahrungswerten dem jeweiligen Nutzer präferiert zur Verfügung gestellt?

Aufgrund von Algorithmen erhält jeder Nutzer eine individuelle Auswahl von Suchergebnissen, wenn er beispielsweise eine Anfrage bei einer Suchmaschine eingibt. Aufgrund von gespeicherten Präferenzen, die in den Algorithmen verarbeitet wurden, führt die gleiche Suchanfrage bei verschiedenen Nutzern zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die bedingen jedoch auch gegebenenfalls unterschiedliche Reaktionen der Nutzer, womit der „mediale Ausdruck“ (Auswahl der angezeigten Informationen) unser Verhalten durchaus beeinflussen kann. Die Frage dabei ist, ob uns dies bewusst ist und ob diese Beeinflussung überhaupt wünschenswert ist.

Kulturrevolution

In einer zunehmend digitalen Welt können wir uns dem Datenfluss und den vielfältigen Informationen kaum entziehen. Doch werden alle Informationen lückenlos zur Verfügung gestellt, oder erfolgt eine Vorauswahl, die der Nutzer als solche gar nicht wahrnimmt? Die Überlegungen mündeten in der Fragestellung nach den zugrundeliegenden Werten, nach denen den Nutzern Informationen zugänglich gemacht werden. Darin verbirgt sich auch eine gesellschaftliche Komponente, die mit der Revolution in der Kommunikation, wie wir sie gerade erleben, einhergeht. Büsch sprach in diesem Zusammenhang von einer Kulturrevolution, die er an der Neudefinition von Hierarchien und dem möglichen Zugriff auf fast unbegrenztem Wissen festmacht. Informationen sind immer und überall verfügbar und der Mensch kommuniziert nicht nur mit Menschen, sondern durch „tippen, wischen, touch oder Spracherkennung“ auch mit Maschinen in Gestalt eines Handys oder Tablets. Arbeitswelten verändern sich.

Soziale Spaltung

Digitale Nomaden, die von immer anderen Orten ihre Arbeit verrichten können, ersetzen den Mitarbeiter, der bisher täglich sein Büro aufsuchte. Wissen stammt nicht mehr aus Papierakten oder Büchern, sondern wird aus der Cloud abgerufen und steht allen Mitarbeitern gleichermaßen zur Verfügung. Im Umkehrschluss bedeuten diese tiefgreifenden Veränderungen aber auch, dass Menschen ohne Zugriff auf digitale Medien von der Entwicklung ausgeschlossen werden. Aus der digitalen Spaltung wird eine soziale Spaltung. Die vermeintliche Freiheit, die uns die digitale Welt eröffnet, ist laut Büsch jedoch das eigentliche Kernproblem. Durch die allgegenwärtigen Algorithmen wird der Informationsfluss undurchschaubar, interessengeleitet und stark personalisiert. Überspitzt betrachtet werden wir von Algorithmen gesteuert. Hier findet sich die ethische Problemstellung in der Bevorzugung der Personalisierung vor dem Gemeinwohl, welches immer stärker in den Hintergrund gerät. Die eigene Meinung steht für viele im Vordergrund und diese wird mit allen Mitteln vertreten. Die negativen Auswüchse manifestieren sich in solch unschönen Verhaltensweisen wie Cybermobbing, Hate-Speech oder Internet-Trollen. Diese Betrachtungen führen unweigerlich zu der Frage, ob nicht mehr Augenmerk auf Medienethik gelegt werden sollte und ob nicht grundlegende Regeln für das Miteinander im digitalen Netz formuliert werden sollten. Daran knüpft auch die Frage nach neuen Werten für die digitale Kommunikation an. Prof. Büsch verneint diese Frage zunächst.

Kritische Auseinandersetzung

Seiner Auffassung nach bedarf es eher einer „Rekonstruktion“ klassischer Werte. Die Wahrung der Menschenwürde und die Ausübung von Toleranz sollten auch in der medialen Welt eine Selbstverständlichkeit sein. Es bedürfe einer „Kultur der Digitalität“, um den negativen Auswüchsen in der Kommunikation entgegenzuwirken. Auf der anderen Seite bejaht Büsch die Formulierung neuer Werte, weil er die Meinung vertritt, dass „die Grundlagen der Informatik strukturell die Sphäre des Individuums und seine Verantwortung übersteigen“. Einfacher gesagt sind die Menschen nicht in der Lage, die übergeordneten Zusammenhänge in der Digitalität vollständig zu erfassen und zielgerichtet mit ihnen umzugehen. Hierzu benötigen sie Hilfen, die in Form von Normen oder Werten formuliert und festgelegt werden müssten. Doch welche Werte sollten dies sein?

Büsch formulierte zunächst einen individuellen Wert, der an die grundsätzliche Moral der Nutzer appelliert. Darüber hinaus betrachtet er den gesellschaftlichen Zusammenhang und fordert einen vernünftigen Wertepluralismus und die Anerkennung eines fortschreitenden Wertewandels. Grundsätzlich fordert er eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Digitalität und warnt vor Euphorie, aber auch vor Panikmache. Für Büsch wäre es wünschenswert, dass jeder Nutzer eine gewisse Haltung offenbart und sich „vernünftig“ im Netz verhält – ganz so, als spräche er mit einem physischen Gegenüber. Einmischung bei Grenzüberschreitungen wäre wünschenswert, um in einer Welt der Individualisierung Gemeinsamkeiten zu erhalten und sich darüber auszutauschen.

Dr. Christian Lauer (links) mit seinem Referenten Dr. Andreas Büsch.
Foto: Scholl



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