Ist die EU fit für die Weltpolitik? – „Innovationen fördern und Errungenschaften bewahren“

Schneidhain (hhf) – „Hat das alte Europa noch genug Kraft für den Wettbewerb der Zukunft?“, fragte sich nicht nur Moderator Reinhold Siegberg in der Einleitung zur letzten Werbeveranstaltung für die Teilnahme an der Europawahl im Rahmen der Vortragsreihe „Offener Treff für jedermann“. Während im Dorfgemeinschaftshaus nebenan gerade die Wahlvorstände für ihre Aufgaben am Tag der Abstimmung instruiert wurden, machten sich etliche Interessierte im evangelischen Gemeindehaus am Hohlberg Gedanken um die Langfristigkeit der bisherigen Zukunftspläne des Staatenbundes.

Kurzfristig dagegen war Dr. Wolfgang Muno eingesprungen, um das Referat „Die EU in der Weltpolitik“ für Professor Arne Niemann zu halten, der sich ungeplant auf den Weg nach Brüssel hatte begeben müssen. Wie sein Chef arbeitet Muno – als Lehrkraft für besondere Aufgaben – an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Eben dort, aber auch in Carácas hat er Politikwissenschaft, Ethnologie und öffentliches Recht studiert, 1996 den Magister und 2003 die Promotion absolviert. Seither fungiert er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Mainz sowie an den Universitäten von Würzburg, Koblenz-Landau und der Fernuniversität Hagen. Neben einer Vertretungs-Professur an der staatswissenschaftlichen Fakultät der Uni Erfurt von 2011 bis 2013 bewährte er sich auch als Gastdozent in Europa, USA, Lateinamerika und Indien.

„Europa in Theorien und etwas Praxis“ vorzustellen, das ist das Hauptanliegen von Dr. Wolfgang Muno, der von der Vorstellung eines „etwas machtlosen Parlamentes“ nichts mehr hören will: Viele Gesetze werden mittlerweile schon vor der Verabschiedung in Berlin in Brüssel vorgelegt, „wenn sie atmen, wenn sie sich bewegen, sind sie von europäischen Regeln betroffen.“ Was intern zwar funktioniert, aber noch nicht deutlich genug in den Köpfen der Menschen angekommen ist, bedarf aber vor allem in Sachen Außen- und Sicherheitspolitik noch gewaltiger Nachbesserungen, was bereits Kommissionspräsident Barroso 2012 forderte. Mit der bisher fleißig verfolgten Erweiterungspolitik ist es dabei nicht allein getan, immerhin rangiert der Staatenbund quantitativ mit 28 Ländern und mehr als einer halben Milliarde Einwohnern derzeit zwar hinter Indien und China, aber noch vor den USA oder Japan im globalen Gefüge. Qualitativ galt die EU 2010 als größte (Außen-)Handelsmacht der Welt und bekommt auch in den Bereichen Lebenserwartung, Internetverbreitung und Alphabetisierungsgrad gute Noten. Gelingt es, einen „wirtschaftlichen Block“ mit den USA zu bilden, wäre auch die zukünftige globale Dominanz im Welthandel gesichert, auch die Entwicklungspolitik bringt als „positiver Machtfaktor“ weitere wichtige Staaten in EU-Nähe.

Nicht nur im Hinblick auf über 60 Jahre Friedenssicherung in Europa und den funktionierenden Binnenmarkt hält Muno daher die Wahrung bisheriger Errungenschaften für eine der wichtigsten Aufgaben des neu gewählten Parlamentes, mahnt aber auch zur Förderung von Innovationen bis hin zur Schaffung militärischer Macht. „Die EU wäre von ihrer Ausstattung her ein mächtiger Faktor in der Welt“, wenn zur Absicherung der wirtschaftlichen Stärke eine eigene Armee zur Verfügung stände und nicht im Ernstfall etwa Truppentransporter aus den USA oder Russland angemietet werden müssten. Genau das aber ist regelmäßig der Fall, denn unter Beteiligung einzelner Mitgliedsstaaten gibt es bereits sehr wohl militärische Missionen der EU, zum Beispiel in Kroatien, Palästina oder am Horn von Afrika.

Schon in den 50er-Jahren hatte es erste Überlegungen zu einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft neben der Wirtschaftsgemeinschaft gegeben, doch gelang es nie, sich zu einigen, sicher auch, weil die Nato als westliches Verteidigungsbündnis hier einige Lücken füllte. Erst 1999 gelang es, mit dem Posten des „Hohen Repräsentanten“ einen Missstand abzustellen, den Henry Kissinger einmal so ausdrückte: „Wenn ich in Europa anrufen will, weiß ich gar nicht, wen ich anrufen soll.“

Noch immer gibt es gut vier verschiedene Telefonnummern, zwischen denen sich Kissinger entscheiden müsste, auch wenn Catherine Ashton sich als „Hohe Repräsentantin“ seit 2009 redlich um eine Klärung der Kompetenzen bemüht.

Genau dort aber klemmt es vom System her: Nur dann, wenn alle Staaten eine gemeinsame Position finden, funktioniert Außenpolitik in der EU bisher in einzelnen Bereichen, meist aber gilt „kein Konsens – keine Außenpolitik.“ Am Beispiel der unterschiedlichen Abhängigkeitsgrade der EU-Staaten von russischem Erdgas führte der Hochschullehrer die Gründe für das zögerliche Handeln in der aktuellen Ukraine-Krise anschaulich vor: Seine Frage nach Handlungsmöglichkeiten entfachte eine rege Diskussion im Publikum. Fazit: „Wie sollen 28 Außenminister eine gemeinsame Außenpolitik finden, wenn es schon hier im Saal so viele verschiedene Meinungen gibt?“

Als positiven Nebeneffekt beim Überwinden solcher Hürden hat die EU auf internationaler Ebene allerdings eine andere Qualität erreicht, denn sie ist stark im Verhandeln, was sie zuletzt in der Vermittlung zum Atomprogramm des Irans unter Beweis stellte. Wie bereits erwähnt, konnte das aber nur funktionieren, weil sich mangels Eigeninteressen alle 28 Mitgliedsstaaten einig waren.

Übersehen wird dabei aber, dass Eigeninteressen eben gelegentlich verteidigt werden müssen – was auf EU-Ebene hervorragend funktioniert, muss dringend auf Welt-Ebene gehoben werden, eventuell auch mit einer militärischen „Absicherung“ im Rücken, denn „Sanktionen in der Wirtschaft treffen immer auch die eigene Wirtschaft, sie sind ein stumpfes Schwert.“

Letztendlich ist auch die bisherige Erweiterungspolitik zu überdenken, die natürlich durch Aufnahme weiterer Staaten stets Frieden und Wohlstand gesichert hat. Umgekehrt stellen Mitgliedskandidaten wie die Türkei oder die Ukraine die Gemeinschaft vor neue Probleme, die bis in die künftige Außenpolitik reichen. Unter dem Strich also bleiben genügend Hausaufgaben für die Politiker zu bearbeiten, und damit die richtigen Bearbeiter an den Schreibtischen sitzen, die mehr wollen als Bananen vermessen, bleibt laut Wolfgang Muno nur eines: Wählen gehen, denn die EU ist mächtiger, als man denkt.

Baute seinen Vortrag zu einem lebendigen Seminar mit reger Publikumsbeteiligung aus: Dr. Wolfgang Muno im „Offenen Treff für jedermann“.

Foto: Friedel



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