100 Königsteiner sammeln 1.000 Kilo Müll

Sauberhaftes Königstein mit besonderen Fundstücken: (v.l.) Dorothea Stäbler, Stadt-Mitarbeiter Frank Hanisch, Lena Kilian, Gabriele Krause-Hisgen mit der verlorenen Motorradbrille und Brigitte de Jager haben auf halber Strecke schon einiges eingetütet. Fotos: Schramm

Königstein (as) – Samstagmorgen kurz vor 9 in Königstein: Der Kapuzinerplatz leuchtet bereits in Gelb und Orange, den Farben der Signalwesten. Die werden in Kisten ausgegeben, ebenso Arbeitshandschuhe in verschiedenen Größen. Denn die Königsteinerinnen und Königsteiner wollen in den nächsten drei Stunden den Müll einsammeln, der sich an den Straßen und Gehwegen sowie auf den Plätzen und Grünanlagen in ihrer Stadt angesammelt hat. Es sind rund 100 Menschen, darunter knapp 20 Kinder, die bei der Aktion „Sauberhaftes Königstein“ dabei sind. „Es sind viel mehr als erwartet“, freut sich der städtische Veranstaltungschef Ronald Wolf, der eigentlich noch für einige Tage in Elternzeit ist, aber an diesem Samstag mithilft. Die Organisation haben an diesem Tag sein Kollege im Veranstaltungsmanagement Florian Fuchs und Thorsten Vlegels, der Leiter des städtischen Betriebshofs, inne. Der hat auch sechs Fahrzeuge mitgebracht mit ebenso vielen Kollegen, die für den Abtransport der vollen Müllsäcke verantwortlich sind, aber natürlich auch richtig mit anpacken und so ein bisschen die Leitwölfe spielen werden für die einzelnen Gruppen. Bevor es losgeht, begrüßt Bürgermeisterin Beatrice Schenk-Motzko die „Stadtgesellschaft“, denn der Müllsammeltag ist nicht nur soziales Engagement für die Umwelt, sondern auch ein Treffpunkt und eine Gelegenheit zum Austausch. Dem gelb-orangefarbenen Grüppchen gehören einige Vertreter des Magistrats und der politischen Fraktionen an, die Pfadfinder sind wieder zahlreich vertreten, engagierte Bürger aus den Vereinen wie Andrea Schlosshan und Dorothea Stäbler vom Freundeskreis Asyl mit einem jungen Mann aus Guinea sind dabei und viele Bürger, die sich einfach für ihre Heimatstadt stark machen.

Dazu gehören auch Gritt und Dietrich Leimsner, die, wie viele, schon seit Jahren mitmachen. „Wenn wir es schön haben wollen, müssen wir uns auch darum kümmern“, lautet ihre Devise. Brigitte de Jager, die aus der Region Karlsruhe stammt, lange in Wiesbaden zu Hause war und erst seit einem Jahr in Königstein wohnt, nennt noch einen anderen Beweggrund. „Für mich ist es eine gute Gelegenheit, Leute und die Gegend kennenzulernen, und ich kann mein Sozialkonto damit ein bisschen auffüllen“, sagt sie. Etwas Soziales tun, der Gesellschaft etwas zurückgeben – das sind starke Motive, sich zu beteiligen. Der zuletzt häufiger von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bewusst als Mahnung benutzte Satz, der John F. Kennedy zugeordnet wird, mag dafür stehen: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann. Frage, was du für dein Land tun kannst.“

Sieben Touren durchs Stadtgebiet

Derweil haben sich die Teilnehmer an einem Infotisch auf dem Kapuzinerplatz über die sieben von der Stadtverwaltung ausgearbeiteten Müllsammeltouren orientiert, auf die es sich einigermaßen gleichmäßig zu verteilen gilt. Burgberg mit Woogtal, Innenstadt, Altstadt mit Limburger Straße, Siedlung, Heuhohlweg bis Schwimmbad sind Schwerpunkte. Die Falkensteiner sammeln auf Initiative des Heimatvereins ebenfalls an diesem Tag, auch die Grundschule und die katholische Kita in Mammolshain sowie die Grundschulen Königstein und Schneidhain machen zu unterschiedlichen Terminen bei derAktion nit. Von den regelmäßigen Teilnehmern werden in diesem Jahr nur die weiterführenden Schulen Königsteins ein wenig vermisst.

Und dann schwärmen alle aus, bei perfektem Sonnenwetter, das die einstelligen Plusgrade angenehmer erscheinen lässt. Nur eines reicht bei dem großen bürgerschaftlichen Engagement nicht aus: Es sind nicht genug Handgreifzangen für alle da, aber mit Handschuhen kann man es auch ohne Zange mit dem weniger appetitlichen Teil des Unrats in unserer Landschaft aufnehmen. Das permanente Bücken sorgt dann auch noch für zusätzlichen Frühsport, bei dem man durchaus ins Schwitzen kommt. Zumal der voll und voller werdende Müllsack, den jeder mit sich trägt, durchaus mal zehn oder mehr Kilogramm wiegen kann. Das wird sich später zeigen. Glasflaschen sind schwer!

Eine Zehnergruppe, darunter der Autor dieser Zeilen, nimmt sich, zusammen mit dem städtischen Baumpfleger Frank Hanisch, den Ortsrand mit den Bundesstraßen B455 und B8 und dem Waldparkplatz des Opel-Zoos sowie die Straße nach Mammolshain vor. Jenseits der Ortsausgangsschilder sind eigentlich die Straßenmeistereien zuständig, aber jeder, der regelmäßig die B8 befährt, weiß auch – allein schon wegen der seit Wochen mit Abfall übersäten Bankette und Straßengräben zwischen Fußgängerbrücke und Johanniswald –, dass es hier noch länger mit einer Säuberung dauern könnte. Anpackend sind sie, die Königsteiner! Dank der Warnwesten kann man sich auch am Rand von Straßen, auf denen schneller gefahren wird, mit einem halbwegs guten Gefühl bewegen. Zwischenfälle bleiben am ganzen Aktionstag zum Glück aus.

Das Thema Umwelterziehung

Mit in der Gruppe ist auch Lena Kilian aus Mammolshain. „Ich habe die gleiche Tour wie im letzten Jahr gewählt. Sie liegt am nächsten an meinem Heimatort und ich bin gespannt, wie viel Müll es diesmal ist“, erzählt sie. Mit der jungen Mutter kommt das Gespräch natürlich schnell auf das Thema Umwelterziehung. Ihre dreijährige Tochter Paula fange schon an, auf dem Spielplatz den Müll aufzuheben, erzählt Lena Kilian, im kommenden Jahr will sie sie vielleicht schon mitbringen zur Sammelaktion. Umso weniger ausgeprägt ist das Verständnis bei ihr, aber auch bei allen anderen Mitsammlern, für Kinder, erst recht für Erwachsene, die ihren Müll einfach unter sich fallen lassen. Es hapere bei vielen Menschen an der richtigen Erziehung, das Elternhaus sei hier in der Pflicht, so der einhellige Tenor.

Hanisch sieht hier sogar einen psychologischen Effekt. Je mehr Mülleimer an einem Ort stünden, desto mehr Abfall lande außerhalb dieser Eimer, so die Beobachtung. Frankfurt mache sich deshalb gerade daran, Mülleimer im öffentlichen Raum deutlich zu reduzieren. In der Hoffnung, dass die Menschen dann eher bereit sind, ihren Müll wieder mit nach Hause zu nehmen. Man kennt diesen Effekt von Urlaub in den Bergen und den Gepflogenheiten auf den Berghütten, wo (fast) jeder Wanderer seinen Müll gerne wieder mit ins Tal nimmt.

Er erzählt, dass der Müllschwerpunkt in Königstein auch nicht etwa ein unbeobachteter Parkplatz ist wie der Waldparkplatz des Opel-Zoos, wo die Gruppe gerade eine kleine Pause macht, sondern die Konrad-Adenauer-Anlage und die Georg-Pingler-Straße aufgrund der belebten Lage. Jeden zweiten Tag würde hier von einem Trupp des Betriebshofs sauber gemacht, die Kehrmaschine fährt unter der Woche sogar täglich. „Es wird von Jahr zu Jahr mehr Müll“, sagt Hanisch, „aber heute auf dieser Tour ist es weniger als letztes Jahr.“ Immerhin etwas, könnte man sagen.

Seine persönlichen „Sammel-Highlights“ findet trotzdem jeder: vom original verpackten Eau de Toilette von Paco Rabanne im Straßengraben über den halben Unterkieferknochen, vermutlich von einem Reh, bis hin zu einer Schwimm- oder Motorradbrille. Erinnerungsstücke werden aber keine gesammelt, alles landet im Müllsack. Die heutigen Funde sind aber noch gar nichts im Vergleich zu dem, was Joachim Helsper an Geschichten beisteuern kann aus bald 30 Jahren Teilnahme an der Königsteiner Sammelaktion. Von einem aufgebrochenen Safe und einer Handtasche mit einem österreichischen Personalausweis kann der frühere stellvertretende Leiter des Fachbereichs Bauen und Straßenbau-Spezialist der Stadt berichten. 30 Jahre? Ja, auch da ist Königstein ein Vorreiter. Die Kampagne „Sauberhaftes Hessen“ gibt es offiziell erst seit 2002, die Königsteiner sammeln aber schon einige Jahre länger an einem Aktionstag im März den Müll vor ihrer Haustüre ein.

Um 12 Uhr ist es wieder geschafft. Alle Müllsammler und die Autos sind zurückgekehrt, die Säcke von der B8 gehören dabei sicher zu den schwersten und der Container auf dem Kapuzinerplatz ist rappelvoll. Insgesamt haben die Königsteiner in den zurückliegenden drei Stunden ihre Stadt um exakt 1,02 Tonnen, also 1.020 kg Kilo Müll erleichtert – ein stolzes Ergebnis.

Es gibt freie Getränke und zur Stärkung zwei Eintöpfe, die wie immer von der KVB-Klinik gespendet wurden. Die Bürgermeisterin gibt die Suppe höchstpersönlich aus, erzählt aber auch von ihrem Müllsammelerlebnis. Die Kabelbinder, die von den längst entfernten Wahlplakaten an den Straßenlaternen und sonstigen Pfosten zurückgeblieben sind, waren ihr ein „Dorn im Auge“.

Verstörende Partydroge

Die größte Aufmerksamkeit finden aber die leeren Lachgas-Kartuschen, die in nicht gerade geringer Zahl gefunden worden sind. „Vorne in der Konrad-Adenauer-Anlage lagen gleich vier davon“, sagt Gritt Leimsner. Erwachsene kennen die Dinger weniger gut, man muss sich erstmal schlau machen, um was es sich hier handelt. Über den QR-Code hat Stadtverordnetenvorsteher Michael Hesse die Anleitung für einen Erdbeerquark gefunden. Wahrscheinlicher ist aber, dass sie von Jugendlichen für einen speziellen „Kick“ und als Mutprobe benutzt worden sind. Eine kleine Umweltsünde mit einem vergleichbar großen gesundheitlichen Risiko … das Lachgas finden viele Müllsammler an einem rundum „sauberhaften“ Samstag dann doch nicht mehr so lustig.

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